Über den Rückzug der Kritik, den Vormarsch des Debilen, Ruhm aus der Retorte und den Applaus der Zyniker

Man hat Greil Marcus schon der Klugscheißerei bezichtigt, hat ihn als einen Kulturpessimisten geschmäht oder, schlimmer, als einen unverbesserlichen Snob. Doch wo er Recht hat, hat er Recht. „Rock’n’Roll no longer seems to mean anything“, schrieb er 1992. Kritik, fuhr er fort, finde kaum noch statt, Diskurs sei verpönt und auf winzige, akademisch verkrüppelte Zirkel beschränkt Die ewige Affirmation des Belanglosen züchte Zyniker, „happy to forsake the mysteries of art and culture for the facts of entertainment“. Die hirnlosen Trend-Scouts widersprachen nicht. Sie hohnlachten nun, denn gerade das fänden sie ja total geil. Die Abschaffung aller Koordinaten bewirkte eine allgemeine kulturelle Entropie, deren Sog immer stärker wurde. „Fight for your right to party!“, brüllten die Beasties, und ein aufsehenerregender Artikel in der „New York Times“ feierte „das Ende der Diktatur des guten Geschmacks“. Endlich könne man, so der Autor Stephen Holden, guten Gewissens in ein Celine-Dion-Konzert gehen. Oder Neil Diamond wichtiger finden als Bob Dylan. „For in today’s musical climate, whatever you declare to be art must be art, and forget the snobs who think differently.“

Man muss nicht Greil Marcus heißen, um auf derlei Wahnwitz mit Herzrhythmusstörungen zu reagieren. Beck, der nicht unbedingt im Verdacht musikalischer Senilität steht, erinnert sich mit Schrecken an die Wende zum Fadenscheinigen: „In the early 1990’s, there was this consciousness connecting everyone of my age. A consciousness of mistrust of the rotten fruit We’d all been turned off at that point and were searching for something genuine.“ Sie fanden es und dann wurden sie absorbiert „The industry tried to figure out what we were all about“, berichtet Beck, „and then they just went out and hired a bunch of us.“ Beck hatte Dusel, konnte weiter machen, sich ein paar Freiräume aushandeln, die meisten anderen seiner Mitstreiter wurden „zu Mitläufern umgeschult“, lernten, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen.

Die Branche hat gelernt, „to market the very unmarketability“ von Künstlern, die wider den Stachel locken. Ein Zitat der Janis-Joplin-Biografin Myra Friedman, keine neue Erkenntnis indes. Herbert Marcuse hat schon Mitte der 60er Jahre vor der Vereinnahmung gegenkultureller Entwürfe durch just jene Gesellschaft gewarnt, die damit angegriffen wurde. So war es mit den Hippies, den Punks, der Generation X. Mit dem Unterschied, dass die Infiltration immer professioneller betrieben, das große Aufwischen immer gründlicher getätigt wurde. Kaum eingekauft, begann auch schon der Ausverkauf Nichts, was sich nicht mit Geld präsentabel und massenkompatibel striegeln ließe. Das Hippietum fand via Musical den Weg ins Eigenheim, der Punk durch den schrillen Schnickschnack aus der Boutique im Einkaufscenter, und was Grunge war, spielt keine Rolle mehr, allenfalls in den Wunschträumen von Eddie Vedder. Pop hat an Bedeutung verloren, weil er schon vermarktet sein muss, bevor er gedacht und gemacht ist Doch trifft diese Marginalisierung auch auf jeden anderen Bereich des Kulturbetriebs zu. „Titanic“ war ein tosendes Nichts, und Til Schweiger beherrscht nur einen Gesichtsausdruck. Nirgendwo auch nur der Anflug von Kunst, Bekanntheit ist alles.

„Berühmt“, so die Antwort einer klaren Mehrheit 12-jähriger Schulkinder auf die Frage, was sie einmal werden wollen. Vor zehn Jahren noch wurden in dieser Altersstufe Etappenziele anvisiert Eben Fußballe«; Schauspieler, Musiker. Und dann bitteschön berühmt Klar, kannste wat, biste wat So war das damals, ab man noch meinte, irgendein Talent haben zu müssen, bevor man sich vor Mikros und Kameras aufpflanzen darf. Nicht mehr nötig. Zelebrität gehört längst zu den anerkannten Berufen. Andy Warhol, selbst ein Meister der Mimikry, sitzt jetzt garantiert auf Wolke Y2K und grinst sich eins, unter ihm sein Suppendosen-Kontinuum, in dem wir wuseln und um unsere 13 Minuten im Rampenlicht balgen. Ohne eine nennenswerte Leistung zu erbringen, sieht man mal von den Monicas, Veronas und Naddels dieser Welt ab, die ihren Mann schon stehen müssen, ehe man sie ranlässt an die Tröge der Talk-Shows und Titelseiten. Billiger geht’s, wenn man die Abkürzung via Soap nimmt, quer durch das Quotendickicht, direkt auf den Schoß von Beckmann, Biolek und Schmidt Instant fame, darling. Oder man verdingt sich, sofern man vorzeigbar ist und zum Video-Drill geeignet, an einen Musikproduzenten und beträllert die Gesangsspur eines Retortenhits. Die Ergebnisse dieser erbarmungswürdigen Fließbandproduktion sind rund um die Uhr auf „Viva“ zu bestaunen, aus jeder beliebigen Radiohölle zu vernehmen – und nachzulesen in den Charts von „Media Control“ (nomen est omen).

Sicher, Schund hat’s immer gegeben, in den Charts und darunter. Aber nie in den letzten 45 Jahren so massiert, so ungeniert Nur noch Alarmismus, neuerdings garniert mit Porno. Dagegen hilft keine Moral, denn „Pop richtet sich nach seinen Resourcen“, wie Pete Townshend formulierte. Was indes der Lähmung entgegenwirkt, ist Kritik. Die kommt wenn sie gut ist, von Erleben, Lesen, Denken, Diskurs, Verstehen. Eine bessere Waffe gibt es nicht gegen Dummheit Ein Kampf, der nicht gewonnen werden kann und nicht verloren gegeben werden darf.

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