Unbeugsam und unheilig in Nashville

Im Werk von Johnny Cash spiegeln sich die inneren Widersprüche der Historie und Mentalität Amerikas. Viele seiner größten "American Recordings" hat er deshalb lange vor der Bekanntschaft mit Rick Rubin gemacht, weiß Wolfgang Doebeling

American Recordings? Ein ganz alter Hut. Johnny Cash hat zeit seines Lebens nie etwas anderes gemacht. Während im promiskuösen Klima der 60er-Jahre sämtliche Musikstile miteinander kopulierten und nicht selten Bastarde gebaren, hielt Cash unbeirrt an dem fest, was er Country nannte.

Nicht auf bigotte Art wie Bück Owens, der dem Anpassungsdruck mit einem öffentlichen Treuegelöbnis trotzte: „I shall sing no song that is not a country song“, dröhnte der Dogmatiker aus Bakersfield, „I refuse to be known as anything but a country singer.“ Johnny Cash belächelte derlei Schulterschlussmentalität, beteiligte sich nicht an musikideologischen Grenzbefestigungen, ließ aber dennoch keinen Zweifel an seinen kulturellen Bindungen zu. „Hell no, I’m country“, beschied er bündig einen Conferencier, der wissen wollte, ob er nicht manchmal Lust verspürte, etwa ein Rock-Album aufzunehmen. Country Music definierte sich für Johnny Cash nicht an Sounds und Signaturen, der Twang seiner Tennessee Two (oder Three) brauchte weder Steel noch Fiddle, um in den Honky Tonks Gehör zu finden. Wahrhaftigkeit sei der Schlüssel zum Blues der Schwarzen, zum Country der Weißen und zu allen Schattierungen dazwischen, so einfach sei das, gab Cash Ende der 80er Jahre zu Protokoll, wohl wissend, dass diese Botschaft in Nashville verstanden würde.

Einige Jahre zuvor hatte der Mann in Schwarz dem dortigen Establishment noch Tribut gezollt. „I’m very grateful to all of you in Country Music“, beteuerte er anlässlich seiner Aufnahme in die Country Music Hall Of Farne im Oktober 1980, „It was at times a struggle starting out, and there was not always acceptance in the country music Community in Nashville for a longhaired rockabilly from Memphis.“

Worte, die ihm dann in den 90er Jahren nicht mehr über die Lippen gekommen wären. Johnny Cash ging auf Konfrontationskurs zu Nashville, als die Radiostationen aufhörten, klassischen Country zu spielen und stattdessen auf urban geschniegelte Crossover-Produkte ohne Stallgeruch setzten. „Sie firmieren immer noch unter Country-Radio“, zürnte Cash, „aber sie geben George Jones und Merle Haggard kein Airplay.“ Im März 1998 platzierten er und das Label American Recordings gar ganzseitige Anzeigen im Branchenblatt „Billboard“ mit jenem berühmten Foto, das ihn mit erigiertem Mittelfinger und Fuck-you!-Miene zeigt. Nun war Nashville der Adressat – damals ein Fotograf, der Cash beim Soundcheck in San Quentin um eine Pose „for the warden“ gebeten hatte.

Als schließlich Rick Rubin an ihn herantrat, war Cash bereit. Nicht weil er sich gewandelt hätte, sondern weil er in Nashville nicht mehr willkommen war. Man hatte in der Music City USA keine Verwendung für ihn. Eine Schande, befand nicht nur der ehemalige Columbia-Mogul Clive Davis, der Cash in seiner Autobiografie auf das hohe Podest eines „culture hero“ stellte. Ein Held wider Willen, einer, der selbst Helden brauchte. Und sie dort fand, wo gewöhnlich nicht gesucht wird.

„The everyday life of common folks“ sei es, was ihn inspiriere, die meisten seiner Songs seien Akte der Solidarität mit den vom Schicksal Gedemütigten. Er hat sie alle besungen und für sie gesungen, die Goldgräber und Indianer, die Malocher und Insassen, die Siechen und Immigranten, die Farmer und Feldarbeiter, die Bremserund Heizer, die Süchtigen und Schuldner, die kleinen und großen Ganoven. Ganze Alben hat er ihren Siegen und Niederlagen gewidmet, voller Empathie, und so immer wieder Neuland für sich urbar gemacht. Allein die weitgehend vergessenen Platten der 70er-Jahre, immerhin rund zwanzig, nehmen vieles von dem vorweg, was Rick Rubin anders, karger dingfest machen sollte. „Hello, I’m Johnny Cash“ von 1970 und „Rockabilly Blues“ von 1980 geben der Dekade den Rahmen, beide exzellent, letzteres unter Mitwirkung des Schwiegersohnes Nick Löwe und durchaus energiegeladen. Ersteres noch unter der Ägide von Bob Johnston, der kurz davor die Prison-Shows inszeniert und die Duette mit Dylan dokumentiert hatte. Dazwischen scheint Orientierungslosigkeit zu herrschen. Cash singt für Kinder und unterm Weihnachtsbaum, mit seiner Frau oder Gospelchören, er besingt Junkies, Pferde und Revolverhelden, gibt den Idylliker und Frömmler.

Und überrascht mit narrativen Historienschinken, auch als sonorer Rezitator. ^America: A 200-Year Salute In Story And Song“ erscheint 1972 und feiert legendäre Figuren der Zeitgeschichte, von Abraham Lincoln und Paul Revere bis Daniel Boone. Fünf Jahre später knüpft er mit “ The Rambler“ dialogisch wie musikalisch daran an. „My Americana series“ nennt er diese Alben, deren erstes unter dem Titel „FromSea To Shining Sea“ bereits 1968 erschien. „The land is big“, resümierte Cash in den Linernotes, „Be proud it’s free.“

Es sei nicht Amerika, das ihn zum Patrioten mache, sinnierte Johnny Cash später, sondern „the American people“. Liberal war Cash nicht, jedenfalls nicht im Sinne von Laissezfaire. Mit seinen Highwaymen-Kumpels Willie Nelson, Waylon Jennings und Kris Kristofferson focht er darüber manch harten Strauß. „Johnny ist ein Gerechtigkeitsfanatiker“, übertrieb Jennings lachend, „das Alte Testament birgt für ihn keine Schrecken, er mag den Geruch von Schwefel.“ In Johnny Cash lebe der Pioniergeist der Siedler weiter, für ihn gebe es nur richtig oder falsch, gut oder schlecht, frei oder unterjocht.

Die Welt außerhalb Amerikas leuchtete dem in historischen Zusammenhängen durchaus Bewanderten und ohnehin Wissbegierigen daher nur bedingt ein. „It ain’t right“, murmelte er nur immer wieder, als er im April 1985 die Berliner Mauer in Augenschein nahm, ergriffen, traurig und grimmig. Diese Errungenschaft des Kalten Kriegs mache ihn schon deshalb zornig, erklärte Cash, weil er so viele schöne Erinnerungen mit Germany verbinde.

Fast drei Jahre lang sei er in Landsberg stationiert gewesen, auf einer Air-Force-Base, anfangs der Fifties. „Those were good times“, erinnerte er sich, „I bought me a guitar for less than 20 Marks and started a band, The Landsberg Barbarians. Did you know that?“ No, Sir. „Yeah, we played some Hank and Lefty. Blues, too.“ „Like the topics of his music, the life of Johnny Cash is a complex one“, wusste Biograf Frank Moriarty, und urteilte, die Spannung seiner Musik liege gerade in Cashs beständigem Mühen, diese Komplexitäten in den Griff zu kriegen, sie auszurichten, im Leid wie im Lied. Gewiss keine kleine Kunst. The art qfwalking the line.

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