Unfrieds Urteil: Wie ein Popmusiker einen großen Roman schreibt – und warum Dylan nicht so wichtig ist

Der neue Roman des Erdmöbel-Sängers Markus Berges ist auf der Höhe des großen Gegenwartsthemas Flucht und Fremdsein. Bob Dylan kommt vor, ist aber nicht wichtig. Und dann ist da noch die Erdmöbel-Ebene: Leben definiert sich über Stimmungen.

Wenn ein Popmusiker ein Buch schreibt und dazu noch das Wort Dylan im Titel vorkommt, kann man annehmen, es handele sich um einen Musikroman, um Popliteratur oder gar Dylan-Exegese. Weit gefehlt. Der neue Roman des Erdmöbel-Sängers Markus Berges heißt zwar „Die Köchin von Bob Dylan“ (Rowohlt Berlin), beschäftigt sich aber mit den zentralen Themen dieser Tage: Fremdheit und Flucht.

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Der Jahrhundertmusiker Dylan kommt – als „Bobby“ – schon auch vor, ist aber nicht wichtig. Ich fragte Berges beim „taz“-Gespräch auf der Leipziger Buchmesse, ob das ein grundsätzliches Statement sei, dass Dylan für ein Leben nicht wichtig ist. „Ja“, sagte er. „Ich bin kein Dylanist. Ich finde Dylanismus ein harmloses Vergnügen, aber unnötig.“

Dylanismus ist eine Subkultur von mit ihm alt gewordenen Dylan-Jüngern, die darin aufgehen, jedem Wort des Meisters weitreichende bis maximale Bedeutung zu unterstellen. „Zu denken, man könnte einer Sache oder einer Person auf den Grund gehen“, sagt Berges, „das ist bei Dylan absurd, weil er ja damit spielt.“ (Was übrigens auch für Udo Lindenberg und Harald Schmidt gilt, deren Jünger ich mal war.)

Das ist für viele eh klar, aber für andere ein Schock: Das wahre Leben spielt jenseits von Dylan. Und jenseits von Bob heißt auch jenseits von Pop. Jenseits der ganzen Geschmacksfragen, ob nun ein Kulturprodukt „gut“ oder „kommerziell“ oder „wichtig“ ist. Berges‘ Roman spielt auf zwei zeitlichen Ebenen. Dylan und die Köchin Jasmin kommen auf Tour in die Ukraine. Die Köchin wird damit konfrontiert, dass ein Mann dort ihr verschollener Großvater sein könnte. Das ist Berges‘ Held Florentinius Malsam. Zeitsprung. Er ist 13 und wächst in den 1930ern in einem deutschen Dorf in der UdSSR auf. Lustdorf, in der Nähe von Odessa, am Schwarzen Meer gelegen. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts hatten sich württembergische Wirtschaftsflüchtlinge als „Schwarzmeerdeutsche“ und Bauern auf den fruchtbaren ukrainischen Böden in homogen deutschen Dörfern angesiedelt.

Sie sind deutschstämmig und sie sind „Kulaken“, selbständige Bauern, die von Stalin für die Kollektivierung der Landwirtschaft zu Klassenfeinden erklärt werden. Sein Vater wird umgebracht, Mutter und Kinder werden deportiert. Florentinius darf nach zwei Jahren zurückkehren in diese Parallelgesellschaft, die dann 1941 von den deutschen Nationalsozialisten besetzt oder befreit wird, je nach Sichtweise. Die Einen wollen sie nie als echte Sowjetrussen akzeptieren, für die anderen sind sie keine richtigen Deutschen, immer werden sie als potentielle Heimatverräter angesehen, während der Nazi-Besetzung bringen sie Juden um, nach dem Sieg Stalins werden sie umgebracht oder müssen fliehen oder beides.

Florentinius ist als Sowjetdeutscher ein Mensch, der seit der Ermordung seines Vater nie mehr zuhause ist, sondern immer fremd oder als deutschstämmiger Kulake sogar doppelt fremd. Und immer in Angst, der nächsten Verfolgungswelle des als fremd und damit gefährlich Stigmatisierten zum Opfer zu fallen. Der Ort, an dem man seit der Geburt lebt, ist nie die sichere Heimat, sondern immer die unsichere Fremde.

Das Leben spielt in Wahrheit jenseits von Pop

Damit bewegt sich Berges nicht tief in der Geschichte, sondern voll in der Gegenwart: Es ist ein furchtbares Leben, wenn andere dich zum Fremden erklären und damit zum Feind. Die moderne Fremdheit, die die Figuren „Dylan“ und „die Köchin von Bob Dylan“ spüren, ist dagegen komfortabel. Ohne alles zu verraten: Die bittere, auch auf Flüchtende der Gegenwart übertragbare Pointe des Romans besteht darin, dass Florentinius nur eine Chance hat, um zu überleben: Er muss so radikal fliehen, dass er dadurch ganz verschwunden ist.

Und dann gibt es in dem Buch noch eine zweite Ebene. Nennen wir sie: die Erdmöbel-Ebene.
Die Einzigartigkeit der Kölner Band um den Lyriker Berges und den musikalischen Kopf Ekki Maas besteht darin, dass sie sich den beiden Hauptkategorien deutschsprachigen Pops – politisch oder witzig – verweigern und eine eigene Kategorie definiert haben. Poetische Sprachbilder und Töne verweben sich zu Stimmungen, die in meinem Fall fast immer gleichzeitig Fröhlichkeit und Melancholie bedeuten. Jedenfalls ist man beim Hören eines gelungenen Erdmöbelsongs immer mehr.

Man braucht sich ja nur das Video von Erdmöbels „Goldener Stern“ anzusehen und anzuhören. Boy meets Girl. Aber die Stimmung, die das auslöst, geht weit über Boy meets Girl hinaus.

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Und so ist es auch beim Berges-Sound von „Die Köchin von Bob Dylan“. Wie der Boy Florentinius und das Girl mit der Straßenbahn an den Strand bei Odessa fahren – und ihre Sommersprossen –, das ist eine Geschichte, aber vor allem löst das eine Stimmung aus, mit der man anders lebt als ohne sie.

Es geht nicht um Geschichte, sondern um das Jetzt

Wenn Rock’n’Roll gegen das ewige Leben die Wichtigkeit des Augenblicks setzt – das habe ich aus dem „Musik Express“, Entschuldigung – dann hat Berges doch einen Rock’n’Roll-Roman geschrieben. „Wenn du einen Strandtag erlebst, dich fasziniert jemand, der schläft ein, und du schnupperst an ihm, dann ist das etwas, vielleicht ein Moment für die Ewigkeit“, sagt Berges. Oder ein Moment gegen die Ewigkeit.

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Jetzt könnte man sagen, die Nutzung von Kulturprodukten sei nur Second-Hand-Leben. Doch das stimmt ja eben so nicht, wenn die entstandene Stimmung beim Lesen First Hand ist. Es gibt ein Leben, das man lebt. Daneben gibt es ein Leben, das man fühlt. Und die Großartigkeit des Lebens ist Gefühl. Man kann es selbst in der größten Scheiße spüren. Zum Beispiel wenn man mit einem Menschen spricht, der einen wirklich interessiert. Beide sagen vordergründig nur, was man halt so sagt, aber das stimmt nicht, weil eine Stimmung entsteht, die sich auf das Gespräch rückbezieht und eine Welt jenseits des Gesagten spürbar macht. Und dann geht man seltsam bewegt weg und denkt, was ist denn das jetzt?

Das ist Leben.

Peter Unfried ist Chefreporter der „taz“ und schreibt jeden Dienstag exklusiv auf rollingstone.de

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