Unheiliger Lärm
Fast besser als das eigentliche Konzert: die, ,Super Deluxe Collector’s Edition“ des legendären Albums
The Who ++++¿ Live At Leeds
Als die Rolling Stones mit einem Live-Album der US-Tournee vom Spätherbst 1969 den Bootleggern Paroli bieten wollten, die mit „LIVEr Than You’ll Ever Be“ einen richtigen Bestseller vorgelegt hatten, war das ursprünglich als Doppel-LP geplant. Decca winkte sofort ab. Die Idee hielt man dort für kommerziellen Selbstmord. Wieso wiederum Pete Townshend zu dem Entschluss kam, aus dem zweieinviertel Stunden langen Auftritt vom Abend des 14. Februar 1970 für die „Live At Leeds“-LP ganze sechs Songs auszuwählen, klären auch die Liner Notes zum neuen Sammlerteil nicht auf. Mit minimalen nachträglichen Retuschen war die Platte gegenüber dem klangkosmetisch aufgehübschten „Get Yer Ya-Yas Out!“ seinerzeit zwar das quasi wahrhaftigere Tondokument, aber trotzdem alles andere als repräsentativ für die Bühnen-Show der Who. Da die brandneue – mittlerweile fünfte – Ausgabe die Vinyl-LP in nicht korrigierter Original-Überspielung enthält, kann man sich jetzt den Spaß machen, die Aufnahmen mit denen der später produzierten Remix/Remaster-Editionen zu vergleichen.
Für die erste von 1995 hatten Jon Astley und Andy MacPherson richtig professionell neue Vokalspuren für Overdubs aufgenommen. Bei der von 2001 ließ Townshend die Tonleute weitere Korrekturen vornehmen. Die meisten „crackling noises“ der Ur-LP waren längst ausgemerzt. Mit modifizierten Startbits wurde diese dritte Version für das neue Luxus-Teil übernommen. Amüsiert konnte man in den revidierten Langfassungen registrieren, wie Townshend fünf Minuten lang erst einmal die Handlung von „A Quick One While He’s Away“ erzählt; die Bedeutung von Mose Allison und seinem „Young Man Blues“ für den Gang der popmusikalischen Dinge erläutert; die Hits des „Substitute/Happy Jack/I’m A Boy“-Medley kurzerhand zu Oldies aus grauer Vorzeit erklärt. Was er sich alles am folgenden Abend in Hull dann offenbar doch nicht mehr antun mochte. Ansagen vor den Songs beschränkten sich jedenfalls bei den Aufnahmen aus der City Hall auf ein Minimum. Editiert findet man das Set jetzt fast wie eine konzertante Suite – mit „My Generation“ als Finale und ohne „Magic Bus“, in Leeds noch eine epische Zugabe.
Rechtzeitig zum 40. Jubiläum des Albums hatte sich Pete Townshend daran erinnert, dass der Auftritt in Leeds eigentlich nur als Generalprobe für das Konzert am folgenden Tag in Hull gedacht war. Ursprünglich sollte nämlich dort die geplante Live-LP endlich aufgenommen werden. Vorsichtshalber schnitt man aber auch das erste Konzert der Tournee auf dem Pye Mobile mit. Eine weise Entscheidung: Das bei der vorausgegangenen US-Tournee bestens eingespielte Team von Tonleuten meinte zwar, auch in Hull alles hervorragend im Griff zu haben. Aber dann gab es urplötzlich Kabelprobleme beim Bass von John Entwistle während der ersten sechs Songs. „Reparieren“ sich ließ der Hull-Mitschnitt erst jetzt, indem man die digital kopierten Bass-Spuren der Leeds-Aufnahmen perfekt als Overdubs benutzte. Wie trickreich man zu Werke gehen muste, erläutern die Liner Notes. (Polydor)