Unter Niveau

Manchen Kenner unserer Diskografien mag es wundern, dass sogar bei einer Auswahl noch Alben berücksichtigt wurden, die als „akzeptabel“ bezeichnet werden müssen. Elton John ist aber insofern ein Sonderfall, als die Differenz zwischen seinen grandiosen Alben in der ersten Hälfte der Siebziger und den mediokren in den Achtzigern, auch Neunzigern eklatant ist. Die Klassiker dagegen sind zwar unbestritten, aber auch längst nicht so angesehen wie typische Klassiker der Rockmusik: Nicht eine einzige Elton-LP wird in den großen Top 100-Listen geführt (in unserer übrigens ebenfalls nicht). Zu sehr gilt Elton als bunter Vogel, Unterhaltungsgenie und tnadman am Klavier – woran er natürlich auch selbst schuld ist.

Abgesehen von zahllosen unnötigen Best-Of- und Live-Alben (es gibt auch eine Sammlung mit „Lo*e Songs“) leistete sich Elton manche Schlamperei. 1979 explodierte das eckige Disco-Inferno „Victim Of Love“ als beispiellosem Opportunismus. Unter Leitung eines Pete Beilotte interpretierte Elton Johnny B. Goode“ auf eine Weise, die gegen jede Uno-Resolution verstößt. Die Platte war in München und Hollywood aufgenommen worden und klingt wie ein Zwitter aus Giorgio Moroder und Frank Farian. „The Fox“ war 1981 ein Mahnmal der Orientierungslosigkeit. Elton war überrascht, wie kapital dieser Flop wurde. „Ice On Fire“ und „Leatherjackets“, der Doppelschlag Mitte der 80er Jahre, etablierten den damals Entgleisten noch vor Phil Collins als Geißel der Menschheit. Je beliebiger und beknackter die Plattentitel wurden, je egaler und ramschiger die Cover-Künsteleien, desto erbärmlicher wurden auch Eltons Songs. Bernie Taupin passte sich der schwindenden Sinnhaftigkeit an: „Blue Eyes“ hatte noch Gary Osborne verantwortet, aber „Nikita“ wurde von Taupin offenbar auf einem Bierdeckel gedichtet Auf dem tapfer betitelten „Reg Strikes Back“ gibt es das unglaubliche „Word In Spanish“ („There’s a word in spanish I don’t widerstand/ But I heard it in a film sometime“) und das skurrile „Mona Lisa And Mad Hatters“, aber auch das schlichte, dennoch lustige „Goodbye Marion Brando“, eine Variation von Billy Joels „We Didn’t Start The Fire“.

In den 90er Jahren war Elton sehr mit der Verwaltung seines Ruhms, seines Vermögens und der Versteigerung seiner Hüte beschäftigt, doch immerhin sahen die paar Werke dieser Zeit wieder aus wie richtige Alben, die jemand ernsthaft verkaufen wollte. Es ist nur eine These, doch die Todesfälle Gianni und Diana verhinderten womöglich eine frühere Beschäftigung mit einem seriösen Comeback. „The Big Picture“ war es noch nicht, dann ging Elton immerzu mit Billy Joel auf Tournee, klagte vor Gericht, bis er endlich den Nachwuchs entdeckte. „Songs Front The West Coast“ ist nicht gerade sein „Time Out Of Mind“, aber doch eine emphatische Platte von zwei Männern, die den ganzen Tag in der Wanne liegen könnten.

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