Unterwegs im Nirgendwo

Trotz 20jährigem Jubiläum und Internet-Präsenz glaubt David Thomas, Letzter von Pere Ubu, nicht an die Zukunft

Ein verwunschener Pub in Südwest-London ist wahrscheinlich genau der Ort, an dem man am wenigsten erwarten würde, David Thomas zu treffen. Doch der Mann, der 1975 in Geveland/Ohio die sagenumwobene Band Pere Ubu gründete, ist tatsächlich anwesend und mehr als das: Er hat mit jedem Barkeeper, Dart-Werfer und Billard-Stoßer ein persönliches Wort zu reden. Und zu bereden gibt es einiges, denn schließlich war seit Jahren nicht so viel Rummel um ihn zu verzeichnen wie heute. Oder besser um Pere Ubu, deren Namen er im letzten Jahr mit „Ray Gun Suitcase“ revitalisiert hatte, und deren Frühwerk (1975-1982) mit der 5-CD-Box „Datapanik ln The Year Zero“ das längst überfallige Denkmal gesetzt bekam. Dabei sollte sein neues Album mit den Two Pale Boys, „Erewhon“ (rückwärts für „Nowhere“, Kritik in RS 11/96), eigentlich im Vordergrund stehen, denn der Albumtitel reflektiert so gut wie alles, was Thomas zu seinen neuen und alten Wohnorten zu sagen hat.

„Ich bin jetzt seit gut zehn Jahren hier, aber künstlerisch gesehen ist London für mich ein totes Nest. Ich lebe hier mit meiner Frau, aber alles, was für meine Arbeit wichtig ist, findet in Cleveland statt. Ich habe versucht, meine Musik woanders aufzunehmen, aber ich werde das nie wieder tun. Deshalb fliege ich drei- bis viermal pro Jahr rüber.“

Damals bezeichneten sich Pere Ubu per Selbstdefinition als Folk-Band. Anhand ihrer Musik (die von anderer Seite mit den Attributen „Industrial“ und „New Wave“ versehen wurde) war das schwer nachvollziehbar. „Es war Folk in dem Sinne, daß wir uns auf unsere Umgebung bezogen. Das Problem war, daß wir nicht wie eine Hillbilly-Band klangen. Wir kamen aus der Stadt. Und alles, was wir machten, ist auf diese Stadt bezogen.“

Im Gegensatz zu Pere Ubu greifen die Two Pale Boys nicht auf amerikanische Rock-Traditionen zurück, sondern offensichtlich auf europäische Einflüsse.

„Für mich sind das zwei Enden einer Achse. Der Unterschied kommt daher, daß wir Kontext und Umgebung bewußt verändert haben, damit wir zu verschiedenen Arbeitsweisen gezwungen werden. Was die europäischen Einflüsse angeht: Ich bin kein Anhänger der multikulturellen Vorgehensweise. Es macht keinen Sinn, andere Kulturen zu imitieren. Was nützen europäische Musiker, die so tun, als seien sie Amerikaner? Davon lerne ich nichts. Ich will hier keinem Hillbilly-Nationalismus das Wort reden, aber wenn ich Reggae hören will, dann bitte nicht von einer deutschen Band.“

Dagegen wäre einzuwenden, daß der Name Pere Ubu dem Avantgarde-Theater des französischen Autoren Alfred Jarry entliehen ist.

„Sicher, mir haben seine Inszenierungen gefallen. Er hat das Publikum einbezogen, und offenbar hat seine artifizielle Art die Menschen mehr angesprochen als das realistische Theater.“

Der Einfluß von Jarry und seinem absurd-surrealem Humor ist bei Pere Ubu-Konzerten immer gegenwärtig gewesen. Zudem gab’s nicht wenige, die „Vater“ Ubu allein mit Dir und Deinem exzentrischen Auftreten identifizierten.

„Durchaus möglich, aber vieles ist einfach aus der Not entstanden, weil es zwischen den Songs so lange dauerte, bis Allen seinen Synthesizer umprogrammiert hatte. Auf der anderen Seite haben wir zu einer Zeit angefangen, als Rockmusik noch nach vorne blickte. Ich habe Elvis Presley nie als hüftschwingenden Teen-Rebellen gesehen, sondern als den Mann, der die Abstraktion in alte Blues-, Folk- und Country-Idiome eingeführt hat. Wir glaubten damals wirklich, daß Rockmusik zunehmend reifer würde, daß sie zu ernsthaftem Ausdruck fähig sei. Wir dachten, wir seien zur rechten Zeit am richtigen Ort, und daß es unsere Pflicht sei, diese Fackel zu übernehmen und auf die nächsthöhere Ebene zu tragen.“

Ihr habt Euch also eigentlich nie als Avantgardisten empfunden?

„Überhaupt nicht. Wir waren auf der Höhe der Zeit. Mainstream. Da keiner seiner Zeit voraus sein kann, ist Avantgarde nichts anderes als das. Alle anderen hinken hinterher.“

Aber als Eure ersten Platten erschienen, standen sie unter „Punk“.

„Punk! Erstmals waren Mode und Attitüden wichtiger als alles andere. Malcolm McLaren hat das gleich richtig erkannt. Nein, mit Punk hatten wir nichts am Hut. Schau Dich mal um: Heute ist doch alles Punk. Lifestyle, Moden und Attitüden. Und davon sind wir weit entfernt“

Immerhin habt Ihr Euch auch mit dem Niedergang der Zivilisation und industrieller Kultur beschäftigt. Liegt der Unterschied zwischen den alten und den neuen Ubu darin, daß Ihr heute optimistischer wirkt? Ich denke da an diverse Homepages und CD-ROM-Aktivitäten.

„Diese Einschätzung ist mir bekannt, aber falsch. Wir waren damals optimistisch – und heute sind wir es nicht mehr. Der Ausdruck bleak industrial wasteland zum Beispiel stammt von Leuten, die nie in einer Industriestadt gelebt haben. Wer einmal an einem Hochofen erlebt hat, wie die entweichende Hitze den Himmel purpur färbt, kennt die mysteriöse Kraft, die man dabei spürt. In diesem botanischen Sinne existiert unser Cleveland heute nicht mehr. Das gilt für so gut wie jeden anderen Ort aus dieser Zeit. Deswegen ,Nowhere‘. In unserer Stadt, die es nirgendwo gibt, stehen die Hochöfen noch. Deshalb verweigern wir jede Kooperation, wenn unsere Kultur in eine interaktive Lifestyle-Boutique verwandelt werden soll. Was nicht heißt, daß wir uns aus der Realität zurückgezogen haben. Wir unterstützen sie nur einfach nicht mehr.“

Die Konversation schwenkt zu einem leichteren Thema, über das David Thomas indes ebenso eloquent referieren kann: Es geht um Bier, dessen Geschmack David Thomas so sehr liebt. Das herbe deutsche Gebräu mag er nicht, das französische noch viel weniger, das belgische hält er für zu stark und zu teuer, während die großen US-Marken (außer Budweiser) bei entsprechender Kühlung durchaus trinkbar seien. In seiner Stammkneipe, wo wir uns gerade befinden, bevorzugt er eine Mischung aus englischem Bitter und dünnem Ale.

Aber nach drei Pints ist Schluß.

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