Versoffene Goldgräber

YAN BOLDT KLINGT, ALS hätte er einen Aschenbecher verschluckt und eine Flasche Absinth inhaliert. Die Geburtstagsfeier eines Freundes am Abend vor unserem Gespräch dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Geraucht habe er allerdings nicht, versichert er und presst noch schnell eine Entschuldigung für seinen desolaten Zustand heraus, bevor wir über seinen Beruf als Sänger und Hauptsongschreiber von The Deep Dark Woods sprechen.

Gegründet im Sommer 2005 im kanadischen Saskatoon, hat die Band mit „Jubilee“ gerade ihr fünftes Album veröffentlicht. Der Vorgänger, „The Place I Left Behind“, heimste diverse Americana-und Folk-Music-Awards ein. Dass sie in Europa dennoch absurd unbekannt sind, dürfte wohl vor allem dem Umstand geschuldet sein, dass in den vergangenen Jahren einfach zu viele andere Gruppen die gleichen Kauz-Kriterien zwischen, sagen wir, The Band und My Morning Jacket übererfüllt haben. Auch The Deep Dark Woods haben diesen leicht versoffenen Goldgräber-Look, den die Felice Brothers auf ihren ersten Alben so wunderbar verkörperten. Für Boldt ist das aber keine Imagespielerei, er nimmt das mit der Roots-Musik richtig ernst. Die Beschäftigung mit Bluegrass und englischen Traditionals gehört für ihn ebenso dazu wie der Name Deep Dark Woods – die endlos wuchernden amerikanischen Mythen. Oder ein Song, der „Gonna Have A Jubilee“ heißt, dann aber von den einsamen Spelunken, dem endlosen Weg zu sich selbst und der quälenden Frage handelt, warum man sich das alles noch antut, dieses Abgrasen im verdorrten Rock’n’Roll-Heartland als einigermaßen erfolgreicher Verbund gitarrenbewaffneter Troubadoure. „In den USA zu spielen ist für uns härter als in Kanada. Es gibt Tonnen von Bands, und jede versucht die Leute davon zu überzeugen, zu ihren Shows zu kommen. In New York kann man 500 Bands an einem Abend sehen“, meint Boldt. Man verzeiht ihm diese abgedroschene Übertreibung gern, denn dahinter steckt keine Frustration, eher ein nüchterner Realismus. Schlimmer als die großen Städte seien jedoch die Gebiete dazwischen. Manchmal fühle er sich dort an die Bluessänger der Fünfziger und Sechziger erinnert, die man „in Europa wie Könige empfing und ihrer Heimat wie Abfall behandelte“.

So brutal war es für die Deep Dark Woods in den vergangenen Jahren natürlich nicht. Ihre Karriere verlief solide, die Fangemeinde wuchs stetig. Und dann sprach sie auch noch Jonathan Wilson an, als sie 2012 beim Newport Folk Festival spielten. Als dann die Aufnahmen für „Jubilee“ anstanden, engagierte die Band Wilson als Produzent. Gemeinsam zog man – Achtung, Kauz-Kriterium! – in eine Blockhütte in den Rocky Mountains; Strom für Vintage-Orgeln und rare Verstärker war ausreichend vorhanden, nur das Wasser für den Kaffee und die Dusche musste überm Feuer erhitzt werden. Draußen rundeten Pferde und Hühner das Western-Idyll-Panorama ab, das es braucht, um sich in den tiefen, dunklen Wälder der old weird americana zu verlieren. Und als die Band nach drei Wochen wieder rauskam, hatte sie ein Album, das tatsächlich den Spuren der frühen Grateful Dead und The Band folgt, wenn auch in respektvollem Abstand. „Als Songwriter muss man sich in der Musikgeschichte auskennen“, erklärt Boldt, „aber nicht nur in einer bestimmten Phase, sondern in verschiedenen Dekaden.“ Welche seine bevorzugten sind, lässt sich sehr schön auf dem neuen Album seiner Band nachhören.

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