Von Havanna bis Köln

Nicht nur in seinen Spielfilmen spielen Songs häufig eine große Rolle. Auch in seinen Essay- und Dokumentarfilmen erleben wir immer wieder den Musik-Enthusiasten und -Fan Wim Wenders

Wenn Autorenfilmer Dokumentarfilme drehen, geht es selten um Objektivität. Vielmehr scheinen sie ihre Persönlichkeit noch deutlicher ins Werk zu setzen als in ihren Spielfilmen. Man denke etwa an Werner Herzogs „Mein liebster Feind“ oder „Grizzly Man“. Auch im Werk von Wim Wenders, der Geschichten immer schon ein bisschen misstraute und dessen frühe Spielfilme zum Teil auch als Aufzeichnungen bundesdeutscher Wirklichkeit funktionieren, spielen Dokumentationen eine große Rolle. Und aus „Lightning Over Water“, der die letzten Tage des Regisseurs Nicolas Ray festhält, der Annäherung an den japanischen Regisseur Yasurij Ozu „Tokyo Ga“ oder einem Porträt des japanischen Modemachers Yohji Yamamoto „Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten“ lernt man ebenso viel über Wenders, sein Verhältnis zu Bildern und dem Kino selbst wie über ihre vorgeblichen Gegenstände.

Auch in seinen Musikdokumentationen schlägt Wenders öfter eine persönliche Note an. Besonders gilt das für THE SOUL OF A MAN, den Film von 2003, den Wenders für Martin Scorseses siebenteiliges Projekt „The Blues“ drehte. Hier porträtiert er seine persönlichen, lang vergessenen Blueshelden Blind Willie Johnson, Skip James und J.B. Lenoir.

Wieviele seiner Filme beschreibt auch dieser eine Reise. Und wie der Titel schon andeutet, gehen auch hier Bewegung und innere Bewegtheit zusammen. Der Blind-Willie-Johnson-Song, der dem Film den Namen gab „fasste diese komplette Reise, von der unser Film handelte, einfach sehr schön zusammen“, so Wenders über das Motiv von „The Soul Of A Man“. „Was kann man über das Leben eines Menschen aussagen, Jahre nach seinem Tod? Was haben diese drei armen Männer hinterlassen, was blieb von ihrer Musik zurück? Wohin hatte ihre Suche sie geführt.“

„The Soul Of A Man“ ist vor allem eine Suche nach den Spuren, die drei Blues-Musiker hinterlassen haben. Da die künstlerisch entscheidenden Jahre von Skip James und Blind Willie Johnson filmisch nicht dokumentiert sind, drehte Wenders Schlüsselszenen ihrer Biografie an historischen Schauplätzen mit Schauspielern und einer alten Stummfilmkamera nach. Zu den anrührendsten Szenen allerdings zählt der Besuch bei dem Künstlerehepaar Steve und Ronnog Seaberg. Die beiden haben in den Sechzigern für das schwedische Fernsehen eine Dokumentation über J.B. Lenoir gedreht, ihn interviewt, ihn gefilmt, wie er in immer absurderen Kostümierungen seine Songs performte. Damals wollte niemand den Film zeigen. Es war schließlich Wenders, der diese Bilder rettete.

Zu den historischen Aufnahmen montierte Wenders Cover-Versionen der alten Songs, gespielt u.a. von seinen Musikerfreunden Bonnie Raitt, Lou Reed, Beck, Lucinda Williams, T Bone Burnett und Nick Cave.

Aus BUENA VISTA SOCIAL CLUB von 1999 hält Wenders seine eigene Person weitgehend heraus und porträtiert äußerst uneitel seinen Freund, den Gitarristen Ry Cooder, und die greisen kubanischen Son-Musiker des gleichnamigen Projekts. Cooder hatte ihm eine Kassette mit damals noch ungemasterten Aufnahmen gegeben, die er mit den kubanischen Musikern aufgenommen hatte, und ihn gebeten, ihn mit seiner Kamera nach Havanna zu begleiten. Nur geleitet von der Faszination für diese ihm fremde Musik, machte Wenders sich auf den Weg. „Der Grund, diesen Film zu machen“, schrieb er später, „war deswegen einzig und allein: herauszufinden, welche Menschen solche Musik machen konnten.“ So entstand ein kleiner, unspektakulärer Dokumentarfilm, den allein in Deutschland 1,2 Millionen Zuschauer sahen. Das größte Publikum, das ein Wenders-Film je hatte.

Ein so großes Publikum war VIEL PASSIERT von 2002 nicht beschieden. Hier porträtiert der Düsseldorfer Wenders die Kölner Rockgruppe BAP, deren Musik er zu schätzen gelernt hatte, als er in den USA lebte. Vor allem wohl, weil sie ihn an seine rheinische Heimat erinnerte. Zudem verbindet Wenders eine lange Freundschaft mit dem BAP-Sänger Wolfgang Niedecken, der – wie er – zunächst Maler werden wollte, bevor es ihn in eine andere Kunstform verschlug. Inspiriert von der BAP-Akustik-Retrospektive „Tonfilm“ entstand vor der Kulisse des Essener Lichtspielhauses ein Konzertfilm, in dem Wenders die BAP-Songs durch Blicke in die bundesdeutsche Vergangenheit in einen historischen Kontext stellt. Marie Bäumer spielt ein Zigarettenmädchen, Joachim Krol den Filmvorführer, Wolf Biermann tritt auf. Und Heinrich Böll versucht in einem Interview mit Niedecken, die Mysterien des Kölschrock zu ergründen.

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