Während die Stones in überdachten US-Arenen eine schnittige Show boten, bemühen sie hierzulande wieder die alten Brücken nach Babylon

Die Bühne ist schwarz, gelbe Warnstreifen markieren ein paar Treppen, die Kulisse besteht aus schwarzen Samtvorhängen, die das Streulicht schlucken. Instrumente, Mikros, Monitorverstärket, sonst nichts. Nach den monströsen Bühnenbauten der letzten drei Tourneen haben die Rolling Stones für ihren US-„No Security“-Aufgalopp eine komplette Kehrtwendung gemacht. Das Programm wurde generalüberholt, die Band spielt härter und wilder, die Stücke sind kürzer, fetziger. Bemühen wir uns um Understatement: Die Stones in der Halle sind fulminant.

So weit die gute Nachricht. Die schlechte: Man wird in Europa wohl kaum in den Genuß dieser quecksilbrigen Show kommen. Wenn die Stones Ende Mai auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart ihren Auftakt-Gig zum letzten Teil der babylonischen „Bridges“-Tour absolvieren, wird da die Bühne vom Vorjahr stehen. Für Open-air-Spektakel sei der schlichte Minimalismus der „No Security“-Plattform einfach nicht geeignet, verlautbart das Büro des hiesigen Veranstalters. Und nein, von etwaigen Entrümpelungen des Repertoires wisse man nichts. Es sei natürlich nicht auszuschließen, daß die Stones ein paar Stücke austauschen, doch ansonsten werde sich bestimmt nichts ändern bis zum Abschlußkonzert im Könler Müngersdorfer Stadion am 20. Juni. Ein Wurmfortsatz der ’98er Tour sind die paar Frühjahrs-Dates nur, Addenda zu den UK-Auftritten, die seinerzeit des lieben Steuergeldes wegen um ein Jahr verschoben wurden.

Ein Jammer, denn was den amerikanischen Fans derzeit geboten wird, ist ein echtes Schmankerl in der an Highlights ja nicht gerade armen Live-Historie der World’s Greatest Rock ’n’Roll Band. Bereits die Ouvertüre sorgt für kollektives Grinsen mit Gänsehaut Via Screen sieht man die Band auf ihrem Weg aus den Katakomben des Backstage-Bereichs zur Bühne. Vier glorreiche Halunken in Desperado-Montur, zerfurcht und finsteren Blickes. Das Bild ist schwarzweiß, der dumpfe Donner der Musik steigert sich zum Crescendo, und in den letzten Paukenschlag fällt der Riff zu „Jumpin’Jack Flash“. Auf den Sitzen hält es längst keinen mehr, und als aus 25 000 Kehlen der Refrain gen Hallendach steigt, hat man das Gefühl, es müsse jeden Moment wegfliegen: „But it’s all right now, in fact it’s a gas…“

Das „United Center“ in Chicagos Madison Avenue, Heimat der „Bulls“ (NBA) und „Blackhawks“ (NHL), ist geschmückt mit den Insignien sportlicher Triumphe. MJ rules. Nur daß es heute nicht Michael Jordan ist, sondern Mick Jagger. „White girls just wanna get fucked all night“, heult er, den Originaltext verdrehend, zur lautstarken Affirmation der weißen Weibsbilder. Vornehmlich männliche Zustimmung erfährt eine Zeile, deren aktueller Bezug zum realen Leben des Sängers freilich auch für spöttische Heiterkeit sorgt: „Some girls give me children/ I only make love to them once.“ Schlierig, sumpfig und sarkastisch, ist „Some Girls“ überhaupt das Beste dieser Performance. Neben einem wunderschönen, Bottleneck-verzierten „You Got The Silver“, einem berückenden „Moonlight Mile“, einem sonisch aufgeladenen „Paint It Black“, einem unheimlichen, bluesig-mäandernden „Midnight Rambler“, einem aggressiv-punkigen „Get Off Of My Cloud“ und einem heiseren und hitzigen „Before They Make Me Run“…

Kein billiges Vergnügen indes. Zwischen 70 und 600 Mark bewegen sich die Eintrittspreise. Was offenbar kein Problem ist. Sonst wäre nicht jeder Fünfte hier ein Teenager, würden nicht tonnenweise T-Shirts abgeschleppt. Geschröpfte ziehen auch nicht singend von dannen oder zahlen den Schwarzhändlern noch ein paar hundert Dollar mehr für ein Ticket zum Zusatzkonzert an gleicher Stelle, gerade mal drei Wochen später. Also wohl doch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

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