Was Bob Dylan tut, nur um nicht fotografiert zu werden

Bob Dylan versteckt sich auf der Bühne hinter Kapuze und grellem Licht – aus Frust über Handy-Fans, die ihn filmen statt zuhören.

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Vor sechs Jahren, gegen Ende eines Konzerts in Österreich, geriet Bob Dylan so in Rage über Fans, die Fotos machten und Videos drehten, dass er das Set abbrach, beinahe schwer stürzte und das Publikum ungewöhnlich scharf tadelte. „Macht Fotos oder macht keine Fotos“, fauchte er. „Wir können entweder spielen oder posieren. OK?“

Dylan im Smartphone-Meer

In den letzten Jahren blieb den Fans bei seinen Headliner-Shows gar keine Wahl, da Handys verboten waren. Ordner patrouillierten mit Taschenlampen die Gänge. Und drohten, jeden hinauszuwerfen, der sich nicht an die Regel hielt. Das Ergebnis war ein erfrischend altmodisches Konzerterlebnis, bei dem die Leute tatsächlich die Bühne beobachteten. Und im Moment lebten. Gegen Audio-Mitschnitte wurde zwar kaum vorgegangen, und brillante Aufnahmen kursierten. Doch Video-Dokumentationen blieben rar und oft unbrauchbar, da die Regelbrecher aus großer Entfernung und unter schwierigen Winkeln filmten.

Im vergangenen Sommer jedoch stieg Dylan beim Outlaw Music Festival von Willie Nelson ein. Einer großen Tour durch Amphitheater mit bis zu 20.000 Plätzen. Dort war ein Handyverbot schlicht nicht durchsetzbar. Es gab keine Chance, all diese Sitze zu kontrollieren. Zum ersten Mal seit Jahren spielte Dylan also wieder vor einem Meer aus iPhones. Vorteil: Wenn etwas Besonderes passierte – wie die Rückkehr von „Mr. Tambourine Man“ nach 15 Jahren oder ein überraschendes Pogues-Cover – konnte es am nächsten Morgen jeder auf YouTube sehen. Nachteil: Dylan dürfte das Ganze gründlich genervt haben.

Als die Tour nach einer vierwöchigen Pause am Freitag in Bangor, Maine, weiterging, griff Dylan zu drastischen Mitteln, um auf der Bühne praktisch unsichtbar zu werden. Er setzte sich hinter einen Flügel, stellte das Notenpult hoch, ließ sich von vier grellen Scheinwerfern umgeben und zog die Kapuze tief ins Gesicht. Laut Fanberichten konnten selbst die ersten Reihen kaum mehr als die Spitze seiner Kapuze erkennen. Für den Rest war er nur noch ein schemenhafter Fleck hinter dem Piano – wenn überhaupt.

Frust im Publikum

„In meinen 20 Jahren bei Dylan-Shows habe ich so etwas noch nie erlebt“, schrieb Dylan-Superfan Ray Padgett in seinem Newsletter „Flagging Down the Double E’s“. „Das größere Problem war nicht, dass ich persönlich schlecht sah – boo-hoo, mein Pech! –, sondern dass dadurch die mieseste Stimmung entstand, die ich je bei einem Outlaw-Konzert erlebt habe. Die Leute waren sauer.“

Er schilderte die Unzufriedenheit des Publikums drastisch. „Eine Frau neben mir verbrachte die erste Hälfte damit, sich lautstark zu beschweren und jedem ihre Ferngläser anzubieten, um zu beweisen, dass die auch nichts bringen“, schrieb Padgett. „Ein anderer, der wohl die ganze Zeit still vor sich hin kochte, brüllte schließlich ‚What the fuck!‘ während ‚Blind Willie McTell‘, drängte sich durch die Menge und verließ den Platz. Amüsanter war ein Paar, das mitten im Konzert eine hitzige Debatte begann, ob das da oben überhaupt Dylan sei oder ein Doppelgänger.“

Genervt von Handy-Kultur

Natürlich ist es kein Doppelgänger. Es ist Bob Dylan selbst – er ist nur endgültig genervt davon, dass die Leute das Konzert lieber durch ihr Handy betrachten als mit den eigenen Augen. Und wer will es ihm verdenken? Handys machen Konzerte oft unerträglich. (Ich habe schon 2013 ausführlich darüber geschrieben – und seitdem ist es nur schlimmer geworden.) Beim Oasis-Konzert neulich in Pasadena starrten viele kaum auf die Bühne. Stattdessen machten sie Selfies, filmten Song-Ausschnitte und luden sie sofort auf Social Media hoch. Der Rest von uns wurde von den Bildschirmen geblendet und zu Statisten in fremden Fotoshootings degradiert.

Der Kern eines Konzerts

Dabei ist der Sinn eines Konzerts doch, etwas Besonderes live und unmittelbar zu erleben. Was bringt es, hinzugehen, wenn man die ganze Zeit nur am Handy hängt? Die Bilder sehen miserabel aus, und tausende andere filmen ohnehin jeden Song. Wer das nochmal sehen will, findet es am nächsten Tag ohnehin auf YouTube. Man muss nicht selbst das Video drehen.

Wie George Costanza so treffend sagte: „Wir leben in einer Gesellschaft.“ Wenn wir uns nicht endlich auch so verhalten, wird Bob Dylan womöglich noch mehr zum Unsichtbaren auf der Bühne – oder er singt gleich aus der Garderobe. Bis dahin: Legt die verdammten Handys weg. Bob hat genug.

Andy Greene schreibt für den ROLLING STONE USA. Hier geht es zum US-Profil