Wenzel Storch – Der Bulldozer Gottes

Der Filmemacher und Autor Wenzel Storch verarbeitete seine katholische Jugend zu einem kuriosen Werk.

Hildesheim ist bekannt für seinen 1ooo-jährigen Rosenstock und für knallharten Katholizismus. Als sich Wenzel Storch einst Gedanken machte über die „großen Söhne der Stadt“ und mal nachzählte, kam er bis zum steifen Mittelfinger: Bernd Clüver, „der Junge mit der Mundharmonika“, ist selbstredend zu erwähnen, Holger Apfel, der „das schöne Amt des stellvertretenen NPD-Bundes-Vorsitzenden“ bekleidet, und der Korvettenkapitän und CDU-Schatzmeister Eckart von Klaeden. Wenzel Storch selbst müsste man da natürlich hinzufügen: den von der Kritik und in Trash-affinen Kreisen vielgelobten, von der katholischen Kirche an die Hölle verratenen Filmemacher, dessen größenwahnsinniges LSD-Märchen „Die Reise ins Glück“ soeben als Doppel-DVD-Deluxe mit gut vierstündiger Making-of-Dokumentation erschienen ist (www.cinemasurreal.com).

Storch ist als Kind in ein Fass mit Acid versetzter Fanta gefallen und sitzt seitdem in seinem eigenen kunterbunten Universum fest – mit ihm als Sonne, um die sich alles andere dreht. Seit zwei Jahren verdingt er sich jetzt auch noch als Teilzeit-Essayist. Weil man mit Musik kein Geld mehr verdienen kann, verlegen sich ja immer mehr Musiker aufs Schreiben — Storchs filmisches Werk hat ihm außer der Reputation als Katholenfresser und visionärer Wirrkopf nur einen großen Haufen Schulden eingebracht, also muss er jetzt auch ran. Gerade hat er einen Band mit seinem „gesamten schriftstellerischen Werk“ erscheinen lassen. „Der Bulldozer Gottes“ (Ventil, 17,90 Euro) kompiliert ziemlich heterogenes Material, Kuli- und Filzstift-Zeichnungen, Gedichte, absurde Kurzprosa, eine Hörspiel-Parodie auf das pädagogisch wertvolle Jugendradio der 70er Jahre, in der Hauptsache jedoch seine mit Fotos, Zeichnungen, Zeitschriftenausrissen, Comics und allerlei anderem Bildmaterial illustrierten Essays. Sieht entschieden nach Gesamtkunstwerk aus.

„Da denke ich an genialische Malerfürsten“, winkt er sofort ab, „die mit deutschem Gruß auf Seifenblasen reiten, sich im Schlamm wälzen und dabei Kinderbücher schreiben. Sowas wie Katja Riemann, die ja nebenher noch schauspielert. Ich hab für das Buch einfach zusammengefegt, was bei mir so rumlag. Die Leute denken ja immer: Man ist bis ans Ende seines Lebens Filmemacher, bloß weil man drei Filme gemacht hat, aber in die Filmwelt bin ich ja auch nur so hineingerutscht. Ich hab nebenher immer auch andre Sachen gemacht. Bilder gemalt, oder auch mal eine Bastelarbeit, irgendwelche Klebebildchen aus Buntpapier, aus Stoffresten und Klinkertapete, oder mal ein Gedicht. Die Sachen kennt nur keiner, weil ich die bislang nicht vorgezeigt habe. Mein Lieblingsbild findet sich übrigens auf Seite 98. Eine erotische Buntpapiercollage mit dem Titel ,In Bed With Petra Pau‘.“

Das Herzstück, qualitativ wie quantitativ, sind Storchs Aufsätze. Während in den Zeichnungen, Comics und in den Gediehten immer noch ein gewisser Punk-Dilettantismus herrscht, befleißigt er sich hier – trotz aller ironischen Brechungen und der gewissermaßen Storch-notorischen Ausflüge in die Fäkal- und Urogenital-Sphäre -einer klassischen, bildungsbürgerlichen, mit diversen Lesefrüchten prunkenden Diktion. Und das ist vielleicht das Überraschendste an diesem Buch. Dass Storch sich bei Petzi, bei Karl May, im frankobelgischen Abenteuercomic, bei den Teeny-Pop-Zeitschriften der 70er und 80er Jahre und in den Abgründen der katholischen Erbauungsliteraturgut auskennt, hätte man erwartet, das gehört schon alles zum bekannten Wenzel-Storch-Kosmos. Aber jetzt wird auf einmal intime Kenntnis des bürgerlichen Lesekanons suggeriert-Wilhelm Raabe, Theodor Fontane, Thomas Mann, das hat er alles parat. „Dahinter steckt eigentlich nur, dass ich am Tag 40 oder 50 Seiten lesen muss, weil ich sonst schlecht draufkomme. Vor einigen Jahren hatte ich einen schlimmen Rückfall in Sachen Karl May. In der Zeit habe ich rund 10000 Seiten May in mich reingestopft. Danach dachte ich: Das kann so nicht weitergehen! Probier doch mal was anderes — mal was ohne Trapper und Beduinen. Dann hab ich mir den .Taugenichts‘ von Eichendorff aus der Stadtbücherei geholt. Ich war dann jedenfalls ziemlich schnell angefixt, ich neige ja, wenn ich was gut finde, zu einem gewissen Suchtverhalten. Raabe, Stifter, Tieck – das ist schon sehr erstaunliches Zeug. Gerade das frühe und mittlere 19. Jahrhundert war offenbar eine Blütezeit der psychedelischen Literatur… Da fragt man sich beim Lesen dauernd, was die wohl genommen haben. Alles sehr, sehr eigenartig und sehr ansprechend.“

hat er immer ein richtiges Thema, und die in den Text montierten Bilder übernehmen tatsächlich illustrierende Funktion. Hier zeigt sich dann doch der Filmemacher beim Schreiben. Er habe vor 25 Jahren damit angefangen, Bilder aus Zeitschriften auszuschneiden, erzählt er. Dieser Fundus kommt ihm jetzt zugute. „Mit der Zeit ist das immer mehr geworden, und irgendwann hab ich die Sachen mal sortiert. Nach Themen: Tiere, Blumen, Priester, Muttis, Möbel usw.. Das sind Hunderte von Bildern, aus Sex-und Modezeitschriften, aus Prospekten und Versandhauskatalogen, aus Pfarrbriefen usw. Naja, und wenn ein Text fertig ist, dann mach ich mich halt auf die Suche.“

Einige der Essays fügen sich zu einer kleinen Popgeschichte des Katholizismus. Da geht es um pittoresk-chauvinistische Abenteuerromane aus dem Missionars-Milieu („Der fliegende Pater bei den Eskimos“), um kuriose Kloster-Krimis, katholische Heldengestalten wie das „Maschinengewehr Gottes“ Pater Leppich, der schon in den Fünfzigern den „Tangojünglingen und Barwanzen“ auf der Reeperbahn heimleuchtete, um die „Leibstandarte Jesu Christi“, eine Art frömmlerischer Sondereinheit der SS usw. Eine ziemlich monomanische Kuriositätensammlung. Als ich nach den Gründen für diese polemische Fixiertheit frage, wiegelt er jedoch ab. „Wenn man zwischen Klingelbeutel und Rosenkranz groß wird, dann schleppt man das bis ans Lebensende mit sich rum, das ist nun mal so. Ich hab’s mal überschlagen: Bis zur Volljährigkeit muss ich mindestens 50 000 Kreuzzeichen geschlagen haben. Morgengebet, Abendgebet, hier ein Vater unser‘, dort ein ,Gegrüßet Seist Du Maria‘, dazwischen der .Engel des Herrn‘ und allerlei Tischgebete – das läppert sich. Von daher wär’s komisch, wenn sich das nicht in meiner Filmproduktion niedergeschlagen hätte. Im letzten Film ,Die Reise ins Glück‘ kommt Kirche dann gar nicht mehr vor. Dass der Spuk im Rahmen der Textproduktion dann noch einmal zurückgekehrt ist, hat mich selbst überrascht. Und dass ich inzwischen wieder Freude an den Gottesmännern und ihrem Treiben empfinde, auch.“ Die Freude jedenfalls ist ganz auf unserer Seite.

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