Mit Pop gemixt

Ein spritziger Cocktail-Abend mit Frank Spilker zum neuen Album seiner Band Die Sterne

Zum Besuch bei Frank Spilker schleppe ich Schnapsflaschen in den vierten Stock eines Hamburger Mietshauses. Die Wohnung ist groß und hell, am Ende des Flurs liegt das Wohnzimmer mit wehenden Gardinen, Sofa-Landschaft zum Lümmeln und Essplätzen für die Familie (vier Personen) samt Eingeladenen, am anderen Ende die Küche. Dort sitzt man gut, wenn man über Musik reden und dabei Cocktails trinken will.

„Mit Pop gemixt“ heißt nämlich das Cocktail-Rezeptbuch aus den 60er-Jahren, das Herr Spilker während des Interviews nachzumixen hat. Dabei soll „Flucht in die Flucht“, das neue, zehnte Album seiner Band Die Sterne rekapituliert werden. Pop-Mix zieht sich, um kurz die Bandgeschichte aufzurollen, durch die verlässliche Qualität ihrer Musik: Das erste Album, „Wichtig“, definierte 1993 die „Hamburger Schule“ mit, ein Jahr davor gab es die programmatische EP „Fickt das System“, auf späteren Platten die Songs „Universal Tellerwäscher“, „Die Interessanten“, „Big in Berlin“, „Das bisschen besser“. Vor vier Jahren erschien das bislang am stärksten auf Elektro-Sounds setzende Album „24/7“. Tanzbar, Soul-affin und auch mit Pop gemixt waren die Sterne immer. Trotz aller Diskurse, die von ihnen, ihren Fans, den Intellektuellen, den Kritikern und den Punks über die deutschen Texte geführt wurden.

Spilker hat die Küche, in Absprache mit seiner Frau, ein bisschen auf seine Höhe bauen lassen: An der Arbeitsplatte steht man fast wie an der Theke. Zum Einstieg gibt es Moscow Mule mit Gurke und Ginger Beer, das einem die Schuhe auszieht. Spilker trinkt gern, isst gern, kocht gern; neulich hat er Kombucha selbst gemacht. Es läuft „Wo soll ich hingehen“, der erste Track des neuen Albums, der psychedelisch, chorlastig und sehr jung wirkt, ein langes, freundliches Outro hat. Auf der Platte herrscht eine schalkhafte Grundstimmung, die Slidegitarren-Country-Nähe einiger Songs erinnert an Western. „Ich muss an Neu! denken, an Can, an den Soundtrack zu ,Deadlock‘, aber in gutgelaunt“, sage ich. „Findest du?“, fragt Frank „Das freut mich. Wir haben viele einfache Songstrukturen genommen und sie dekonstruiert, um sie dann krumm wieder zusammenzusetzen. Aber die Platte erfüllt mich teilweise sogar mit Euphorie. ,Wo hört das Warten auf/Wann fängt der Anfang an?‘ – ich finde, das klingt sehr jugendlich“, erklärt er. „Ich habe mir Sorgen gemacht, ob man mir das überhaupt noch abnimmt. Doch dann müsste man sich ja fragen, ob man authentisch wirken darf, obwohl man es nicht ist. Ich sehe ein Album immer als eine Art Theaterinszenierung: Ich nehme verschiedene Rollen ein.“

Spilker ist 48. Den größten Teil seines Lebens hat er als Musiker verbracht, seit 20 Jahren erfolgreich gemeinsam mit Bassist Thomas Wenzel und Schlagzeuger Christoph Leich. In „Hirnfick“ erzählt er verklausuliert von einem Stalker, in „Drei Akkorde“ von „dem Gefühl, das man mal hatte – diese drei Akkorde als Zauberformel zu begreifen, mit denen man etwas ändern kann“, in „Mach mich vom Acker“ von der Stadtflucht, dem Weg vom Kaff in die Großstadt, ein Gefühl, das der aus einer Gärtnerfamilie stammende gebürtige Bad Salzufler selbst erlebt hat. Das neue Album bricht nicht mit den Erwartungen, die Sterne-Fans haben, wenn sie denn welche haben. Es ist textlich allgemein genug, um Assoziationen auszulösen, aber genau und elegant genug, um Textzeilen auf der Zunge zergehen zu lassen: „Mit Job scheiße und ohne auch“, oder „Hier kommt die Wende/hier kommt die Flucht in die Flucht“.

Ein bisschen überrascht jedoch „Ihr wollt mich töten“: Das singt Spilker im Duett mit Einstürzende-Neubauten-Gitarrist Alex Hacke, dessen dreckige Countrystimme einen schönen Kontrast zu Spilkers vernünftiger und stets deutlicher Tonlage bildet, dem Song eine kleine Portion verlorenen Nick Cave verleiht. „Ihr wollt mich töten, tut es rasch und fangt bald an, ihr solltet es vollenden, bevor ich euch töten kann“: „Ich finde es schön, weil es eine Zusammenarbeit ist, an die man nicht sofort denken würde“, sagt Frank. „Der Bär“ wird von Thomas Wenzel gesungen, und gibt der Platte an dieser Stelle einen Hüftstoß Richtung Sly Stone – Wenzel brummt zwar nicht ganz so tief und vielleicht nicht ganz so groovy, aber der funky Wille zählt.

Wir mixen Martini-Cocktails zu „Innenstadt Illusionen“, dem musikalisch ungewöhnlichsten Stück: Im Hintergrund singt ein Frauenchor im langsamen, vor sich hinschaukelnden Discobeat „Innenstadt Illusionen – uuuuhhhh!“, während Frank dazu urbane Phrasen spricht: „Bezahlbare Wohnung in den gängigen Vierteln gesucht“ etwa, oder „Nach der Renovierung werden die Preise kaum merklich steigen“ oder „Die Szene finanziert sich überwiegend aus sich selbst heraus“. Gentrifizierung, auf einen Pop-Nenner gebracht. „Wieso schreibst du nicht konkreter, über deine eigenen Erfahrungen?“, frage ich, so gern ich manche Texte auch mag. „Ich finde das technisch schwieriger, weil es oft die feinen Aspekte unterschlägt“, antwortet Frank. „Ich gehe lieber von den Details aus und entwickle eine Person, die in ihnen lebt. Ich habe aber schon daran gedacht, es mal andersherum zu machen.“ Spilker hat 2013 seinen ersten Roman „Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen“ geschrieben, über einen desillusionierten Agenturchef, der auf die Reise nach dem Ursprung seiner Depression geht.

Aus dem Wohnzimmer, wo Familie und Freunde sitzen, werden Wünsche nach weiteren Pop-Cocktails laut. Wir kippen mutig die Reste zusammen. Die rohen Eigelbe für die Prärieaustern verstecke ich ganz hinten im Kühlschrank. In der Hoffnung, dass sie bis morgen halten, und keiner sie heute Nacht noch angeschickert in die Pfanne haut.

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