Wie Burgenbauen im Sandkasten – In seinem Debütroman „Sarah“ erzählt J. T. LEROY von einer randständischen Kindheit zwischen Waschbärpenis-Clubs, Trucker-Tunten und barmherzigen Luden

Echt anmutig sehen sie aus, all die Bordsteinprinzessinnen von Glad, die nur feinste Seide aus China, zarteste Spitzenwäsche aus Frankreich und geilstes Leder aus Deutschland auf der Haut tragen. Wenn man den Penisknochen des Waschbären nicht sehen würde, den sie um den Hals tragen, und wenn man nicht wüsste, was er bedeutet, käme man nie drauf, dass es sich um Jungs handelt.“ Um minderjährige Jungs noch dazu.

Der sanfte, gerechte und auch noch barmherzige Indianer-Lude Glad hat seine „Truckstoplizards“ so hübsch ausstaffiert und mit besitzanzeigendem Totem behängt, auf dass sie den vielen Trucker-Tunten West Virginias, immer mit Spitzenhöschen und Nylons unter der öligen Jeans, im Führerhaus ihrer Zwanzigtonner nach einem langen Arbeitstag die nötige Bettschwere verschaffen. Kein Idyll also, das J. T. LeRoy hier in seinem Debütroman „Sarah“ (Reclam Leipzig, 29,80 DM) beschreibt, doch in der Perspektive des Ich-Erzählers ist es beinahe eins.

Dem blonden zwölfjährigen Jungen, der in einem Motel in der Nähe rumhängt, mit einer Mutter, die sich als Prostituierte verdingt und eher eifersüchtig als entsetzt mitansehen muss, wie der eine oder andere ihrer Freier gleich auch noch bei ihrem Sohn drübersteigt, erscheint Glads Ansinnen, ihn aufzunehmen in seinem Waschbärpenis-Club, als erste große Auszeichnung in seinem Leben. Als die Achtung und Zuneigung seiner Mutter zu verdienen. Er schminkt sich, zieht einen kurzen Lederrock an und beginnt so seine Arbeit als Stricher, lässt sich sogar mit Sarah, dem Vornamen der Mutter, anreden, um ihr noch ein bisschen ähnlicher zu sein. Aber die zweifelhafte Karriere ver- läuft ihm nicht steil genug, weil Glad Rücksicht auf seine Jugend nimmt und ihn nur die harmloseren Kunden bedienen lässt. Also brennt er durch, wird von Le Loup, einem anderen, diesmal allerdings überaus brutalen Luden aufgegabelt und muss in dessen Schmuddelbordell arbeiten.

Nach einer Weile versucht er zu fliehen, wird aber von Le Loup gestellt und grausam misshandelt. Schließlich kann er Glad einen Hilferuf zukommen lassen, und der holt ihn dann tatsächlich wieder nach Hause. Seine Mutter hat sich allerdings in der Zwischenzeit nach Kalifornien abgesetzt, und auch ihm gelingt es nicht mehr so recht, sich wieder einzugliedern in den Kreis der Asphalt-Eidechsen. Wie es weitergeht, erfahren wir vielleicht im zweiten Roman des Autors. Möglicherweise will man es aber auch gar nicht mehr so genau wissen.

J. T. LeRoy erzählt von dem Schrecken einer – seiner eigenen! – sozial randständigen Kindheit, aber er erzählt es nicht anklagend oder gallebitter, wie man es hätte erwarten müssen, sondern so unbeschwert und leichthin, als ginge es ums Burgenbauen im Sandkasten. Offenbar braucht er diesen erzählerischen Weichzeichner, um sich überhaupt der eigenen Geschichte stellen zu können. Ein Versuch der Distanzierung also.

So sind denn wohl auch die beinahe märchenhaften Literarisierungen zu verstehen. Er transzendiert die Realitat, um sie im surrealen Scherz zu bannen oder für kurze Zeit vergessen zu machen. So entstehen dann Passage wie diese: „Ich hörte, dass ein weißschwänziger Hirsch eine der Lizards am Haupttruckstop bestiegen und geschwängert hätte, während sie auf dem Weg zum Diner war. Es hieß, durch ihren geschwollenen Bauch könnte man deutlich kleine Rehhufe sehen. Ich behielt mein Wissen für mich, dass da ein Choctaw-Zauber am Werk war und dass das eindeutig ein Zeichen für mich war.“

Leroy zeigt in solchen Passagen, dass er das Werk Richard Brautigans („Forellenfischen in Amerika“) eifrig studiert hat. Übrigens auch so einer, der seine völlig desolate Kindheit immer wieder mit surrealistischen Privatmythen überschreiben musste. Zufällig scheint also auch diese Erbfolge nicht zu sein.

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