Wie haben Sie die Hasen zum Sprechen gebracht, Mr. Lynch

Wer die Filme von David Lynch schon immer etwas sonderbar fand, wird sein neues Werk "Inland Empire" nur unter Beruhigungsmitteln vertragen: Der große Regisseur hat die Videokamera entdeckt - und fängt als Experimentalfilm-Novize noch mal von vorne an.

Irgendwann reicht’s ihm halt, und wir sind auch noch schuld daran. David Lynch hat richtig mit der flachen Hand ausgeholt und auf den Tisch gehauen, rein in die Stille, der Löffel scheppert an der Cappuccino-Tasse. „It doesn’t matter!“ ruft er. für einen so Buddha-entspannten Mann komisch energisch, und sogar die Locke bebt in der Fassung. „Das ist doch ganz egal! Immer, wenn man einen Film macht, verschwinden manche Sachen im Lauf der Zeit, andere kommen dazu. Wenn man ans große Ganze denkt, an das, was nach dem Schnitt stehenbleibt, dann trifft man solche Entscheidungen doch im Interesse des fertigen Films.“

Dabei haben wir nur sehr höflich und mit freiwilligem Ehrerbietungsabstand gefragt, was im Endschnitt von Lynchs neuem Film „Inland Empire“ denn tatsächlich übriggeblieben sei von der historischen ersten Szene, die er im Herbst 2003 mit seiner Hauptdarstellerin Laura Dem drehte. In echt experimenteller Stimmung müssen sie gewesen sein: mit der Digitalkamera, einfach mal machen! „Viele Stücke verschwinden im Lauf der Zeit“, regt Lynch sich langsam ab, „weil der Film einem während der Arbeit sagt, wie er werden will. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, hinterher zu fragen, was von der und der Szene übriggeblieben ist. Das ist, als ob man den Bildhauer besucht, ein Bröckchen Stein vom Boden aufhebt und ihn fragt, warum er genau dieses Stück denn abgeschlagen habe. Verstehen Sie das?“

Dass David Lynch, 61, gern Anekdoten vom Dreh erzählt und Blendenwerte erklärt, aber niemals den Inhalt seiner Filme, ist bekannt. Sogar seine neugierigen Schauspieler kriegen von ihm meistens nur die Schutzbehauptung, er wisse ja selbst nicht, was das alles bedeuten soll, warum Charaktere mitten im Film verschwinden oder den Namen wechseln oder plötzlich ein Zwerg rückwärts auf dem Traktor durchs Bild fährt. Die göttliche Laura Dem hat in einem Interview mit der britischen Zeitschrift „i-D“ gesagt, Lynch habe sie nachdem ersten fertigen „Inland Empire“-Screening gebeten, auf ein Blatt Papier zu schreiben, wovon der Film ihrer Meinung nach handle – und er sei überrascht gewesen, wie gut sie es getroffen habe, verrät Dem. Und sonst nichts.

Zu „Mulholland Drive“ veröffentlichte Lynch 2002 im Stil eines Batman-Bösewichts zehn Hinweise, „Beachten Sie den roten Lampenschirm!“, „Wo ist eigentlich Tante Ruth?“. Das Getue kann man stoffelig finden, aber es zeigt auch, dass Lynch gebildet genug ist, um zu wissen, dass ein Autor auf gar keinen Fall die eigenen Werke interpretieren darf. Dass da – allen Beteuerungen zum Trotz und jede Publikums-Befindlichkeit in Ehren – sehr wohl etwas ist, dass man dekodieren, verstehen und missverstehen kann. Und dass die Leute, deren Intelligenz ausreichen würde, um Lynchs Erklärungen zu folgen, auch gleich selbst drauf kommen können.

Wer sich an die letzten fünf Minuten von „Mulholland Drive“ erinnert, an die zwei Miniatur-Rentner, die kichernd aus der Papiertüte kommen und in das Haus eindringen, in dem Naomi Watts mitten in der Nacht auf dem Sofa sitzt, Schock-beleuchtet von blauen Lichtblitzen, dann brüllend in den Selbstmord getrieben – so ist „Inland Empire“. Nicht fünf Minuten, sondern knapp drei Stunden lang. Weniger Plot, mehr Cut-up, vom böse bewölkten Theaterhimmel gefallene Monologe und brummender Grusel. Und, genau: sprechende Hasen, die zu dritt in einem Sitcom-Zimmer wohnen. So, dass es auch denen mal richtig zu bunt wird, die sonst alles Wohlige am Kino verachten und die Oscars immer doof finden. Es ist ganz lustig zu sehen, wieviel prinzipiellen Jubel „Mulholland Drive“ damals bekommen hat und wie spürbar stark im Vergleich – nach der Venedig-Premiere letzten September und dem US-Start kurz vor Weihnachten – die Ablehnung gegen „Inland Empire“ ausfällt, obwohl der eine Film so logisch aus dem anderen folgt. Was das zu bedeuten hat, fragt ja schon keiner mehr. Man will doch nur wissen, ob David Lynch es mit Absicht macht oder ohne.

Zur Berlinale 2007 kommt er nur, um Interviews zu geben. Lynch interessiert sich nicht sehr für aktuelle Filme, wie er regelmäßig ohne Scham und Arroganz erklärt. Man hört, dass er mit seiner Freundin in Berlin eingecheckt hat – Lynch war dreimal verheiratet, zuletzt nur einen Monat lang mit der langjährigen Produktionspartnerin Mary Sweeney-, dass alle Termine um seine Meditationszeiten herumgebaut werden und er den ersten Schreck erlebt hat, als er hörte, dass der deutsche Verleih bei den „Inland Empire“-Pressevorführungen die polnischen Dialogpassagen nicht untertitelt hatte. Natürlich wunderte sich keiner.

Aus Versehen stellt die Betreuerin Lynchs Insignien extrem bedeutungsvoll auf die weiße Tischdecke an den leeren Platz: links den kristallenen Aschenbecher, rechts den wie Badeschaum aufgeplusterten Cappuccino. Einige der zehn europäischen Weltpresse-Leute, die schon um den runden Tisch herum warten, denken an die Konferenzraumszene in „Mulholland Drive“, wo der Mafioso den vom Filmstudio servierten Espresso in die Serviette spuckt – David Lynch erscheint dann freilich sehr jovial, mit samtigem Jackett, charakteristisch zugeknöpftem Hemdkragen und dem rätselhaften Haarstrauch, der früher eine nach vorn zeigende Tolle war und jetzt in leichtem Schwung nach oben zeigt und irgendwie hält.

Schwer zu erklären, aber rein physiognomisch wirkt Lynch wie ein Zeitreisender. Ein Gesicht aus den 50er oder 60er Jahren. Die wenigsten Fragen der jungen Leute überraschen ihn, er redet im Ton des geduldigen Lehrers und spricht die Wörter besonders deutlich aus, die man unterstreichen soll.

„Nein, die Ideen für meine Filme kommen selten aus Träumen, obwohl ich die Traumlogik liebe“, antwortet Lynch. Aber wenn er die Logik heben würde, fragt das unschuldige Mädchen weiter, warum seine Filme dann so unlogisch seien. „Ich liebe die Traum-Logik, und meine Filme sind logisch. Logisch. Logisch!“ Nein, es werde keine „Twin Peaks‘-Fortsetzung geben, und ja, er verwende manchmal selbstgemachte Musikstücke für den Soundtrack, aber nur, wenn sie passen.

Er spricht wie ein Faltblatt über den Segen der Transzendentalen Meditation, der er seit 35jahren anhängt, zaubert dabei mit den gespreizten Händen in der Luft, hält die einzige Zigarette mit den Fingerspitzen am Filter. Er seufzt jedes Mal lauter, wenn wieder eine Frage kommt, auf die seine Standard-Antwort passt: Aus den Ideen, in die er sich verliebt, wird der Film! Er haut mit der Hand auf den Tisch. Als einer gar nicht so blöd fragt, ob er „Inland Empire“ auch ohne Laura Dem gemacht hätte, wird Lynch sogar ein mikroskopisches bisschen gehässig: „Hätte ich ‚Inland Empire‘ vielleicht auch gemacht, wenn ich als Schauspieler ausschließlich Hunde gehabt hätte?“ Keiner fragt, ob er den Film mal schnell erklären könne. Für einfache Gemüter. Vielleicht wartet er ja darauf, würde entkräftet auf die Tischplatte sinken und alles ausplappern.

Denn schon die Geschichte, wie Laura Dem nach 17 Jahren wieder in einen Lynch-Film kam, klingt nach einer dieser umrätselten Ideen. Vor seinem Haus in den Hollywood Hills sei er ihr vor ungefähr dreieinhalb Jahren begegnet, erzählt Lynch, da habe sie ihm mitgeteilt, sie sei eben in der Nachbarschaft eingezogen. „Und wir haben uns beide sehr gefreut, und dann sagte sie: ,David, wir müssen bald mal wieder was zusammen machen!‘, und ich sagte: Ja, müssen wir. Vielleicht schreibe ich was für dich!'“ Aus dem, was er dann tatsächlich geschrieben habe, sei „Inland Empire“ gekeimt. Wenn man den Film sieht, ist es übrigens auch gegen Lynchs entschiedenen Widerwillen relativ leicht zu erraten, welche Szene das war.

Letzten November veranstaltete Lynch ein überschelmisches Happening, stellte an einer prominenten Stelle des Sunset Boulevard eine echte Kuh auf, setzte sich daneben und demonstrierte für die Oscar-Nominierung von Laura Dem. Schon als Sandy in“Blue Velvet“ (1986) und Lula in „Wild At Heart“ (1990) – dem zweitprofitabelsten Film hinter dem uneinholbaren „Elephant Man“ – ist sie zu seiner Licht- und Schlüsselgestalt geworden, zur Türhüterin zwischen Glück und Hölle in Lynchs Werk, das viele verkappt frauenfeindlich finden. „Inland Empire“ wirkt nicht nur so, als sei es allein zu dem Zweck gedreht worden, seine Hauptdarstellerin so extensiv wie möglich alles spielen zu lassen, vom manischen Monolog bis zum Wohnzimmerballett zum Goffin/King-Song „The Loco-Motion“ – die von Laura Dem gespielte Nilcki Grace scheint dem Gesichtsausdruck nach auch der einzige Charakter im Film zu sein, der sich darüber genauso wundert wie die Zuschauer.

Was als Story bleibt: Nikki, natürlich Schauspielerin, wird für einen zwielichtigen Film gecastet. Später erfährt sie, dass eine polnische Produktion desselben Drehbuchs Vorjahren unvollendet blieb, weil die Hauptdarsteller ungeklärt ermordet wurden. Schon da wird die Nacherzählung schwierig, weil die Handlungsebenen wie Zwiebelschalen auseinanderflutschen, alles gleichzeitig zu passieren scheint, bei den sprechenden Hasen plötzlich das Telefon klingelt, Filme im Film ablaufen, Nikki oder die Figur, die sie spielt, oder beide auf dem Hollywood Boulevard einen Schraubenzieher in den Bauch gerammt bekommen und die Sterne im Gehsteig vollbluten. Lynch kommt praktisch wieder da an, wo er als experimentell gesinnter Kunststudent in Philadelphia gestartet war. Die Leute, denen schon“Twin Peaks“ zu kommerziell war, hatten lange warten müssen.

Am Ende steht die Überraschung, von diesem flackernden Bilder-Untiefen-Lichtspiel gar nicht so sehr überrascht zu sein. Die Nachttischlampen und roten Vorhänge, die überblitzten Gesichter, schrecklichen Schlafzimmer und fürchterlichen Fahrten durch dunkle Korridore, die Gespielte-Welt-Thematik und das tiefe Gurgeln der Stille, das kennt man. Und „Inland Empire“ fühlt sich an, als wäre außer diesen kleinen Lynch-Signaturen gar nichts anderes mehr übrig, als müssten sie nun die Substanz sein. Drei Stunden Memory im Dunkeln, Auf- und Zudecken.

Vielleicht fragt ja deshalb keiner mehr nach der Geschichte. Weil sie keinen mehr interessiert. Und vielleicht ist das ja gerade das Ziel des Halunken Lynch. Damit wir merken, dass wir die wirklich wichtigen Sachen im Kino gar nicht richtig anschauen und seine schönen Ideen niedertrampeln wie Sightseeing-Idioten.

„Film dauert so lange. Film ist so schwer. Und so tot.“ Am Tisch in Berlin meint David Lynch damit aber nur das Zelluloid und das alte Prä-Piraterie-Business, denn ausgerechnet er, den früher sogar Schnittcomputer anekelten, hat nun das Internet, den Eigenvertrieb und das digitale Home-Video entdeckt. Und das gesamte „Inland Empire“ tatsächlich mit einem im Elektromarkt erhältlichen Sony-PD-150-Camcorder gedreht. „Die kleine Kamera, mit der man 40 Minuten am Stück filmen kann und gleich sieht, wie es später rauskommen wird, Autofokus, kleine Crews, kleine Lampen – ganz wundervoll! Die Chancen, die wirklich magischen Momente zu erwischen, sind viel größer.“ So hatte sogar David Lynch mit Anfang 60 noch sein Digital-ist-besser-Damaskus-Erlebnis, wie Millionen von Teenagern, und es war auch ein nostalgisches Gefühl. „Als wir die Bilder aus der Sony-Kamera auf das große Format gebracht haben, das hat mich an die frühen 35-Millimeter-Filme erinnert. Das Undeutliche, Mehrdeutige, das einem mehr Platz zum Träumen lässt. Ich fand es wundervoll.“

Und weil er schon dabei war, sich die Dinge anzueignen, die ihm eigentlich eh gehören, hat Lynch „Inland Empire“ in den USA auch selbst vertrieben, hat den Film auf einer Premierenreise begleitet, den Kinobetreibern auf die Schulter gehauen, die Lautsprecher selbst eingepegelt. „Man kann auch zwischendurch mal anrufen und fragen, wie der Film so läuft. Und man hat den Stress mit dem ersten Wochenende nicht. „Noooo pressure, very nice.“ Einige Sachen hat Lynch schon vorher auf der Website veröffentlicht, wo man neben seiner eigenen Kaffeemarke im Abonnement auch exklusive Kurzfilme kriegt.

Von dort kommen die sprechenden Hasen. „Rabbits“ war eine Serie in acht Teilen, mittlerweile vom Netz genommen, die er stückweise in „Inland Empire“ hineingeschnitten hat. Wie ein Regisseur das halt macht mit seinem Material.

Am Schluss fragt eine, ob Lynch seinen Beitrag zum 60. Geburtstag des Cannes-Festivals schon fertig habe, und er sagt Nein. „Sie brauchen noch eine Idee?“ schlägt zaghaft jemand vor, und er lächelt und bestätigt das Unterrichtsziel. „Ich brauche eine Idee. Sie haben absolut recht.“ Und irgendwie haben alle verstanden, dass David Lynch nicht deshalb vom Fast-Hollywood-Mann wieder zum kauzigen Experimentalfilmer geworden ist, weil die Idee ihm keine Wahl ließ – nein, dieses Mal war die Kamera zuerst da. Die Kamera war schlauer, sie hat das Drehbuch geschrieben, die Ideen ausgespuckt. Als die Bilder wieder kriechen lernten.

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