Wie korrupt ist Deutschland?

Genau wissen wir nicht, wie korrupt es in Deutschland zugeht, denn Korruption ist ein sogenanntes Dunkelfelddelikt. In den Statistiken des Bundeskriminalamtes wird konzediert, dass ein Großteil der Korruptionsfälle unentdeckt bleibt. Auf die Frage nach der Korruption in Deutschland kann es eine Glas-halb-voll- oder eine Glas-halb-leer-Antwort geben.

Glas-halb-voll heißt: Wir dürfen unser Land nicht schlechter reden, als es ist. Transparency International hat vor kurzem den Korruptionswahrnehmungsindex veröffentlicht, in dem 178 Länder in eine Rangfolge nach der wahrgenommenen Korruption gebracht werden. Deutschland findet sich auf einem achtbaren 15., wobei Platz 1 besonders wenig Korruption bedeutet. Glücklicherweise müssen wir nicht Schmiergelder zahlen, damit unsere Kinder in Krankenhäusern behandelt werden, wie dies in manchen Ländern Afrikas der Fall ist. Wir müssen niemanden bestechen, um einen Studienplatz zu ergattern, wie in vielen Fällen in Russland.

Glas-halb-leer heißt: Die Position Deutschlands sieht ganz anders aus, wenn wir uns mit europäischen Ländern vergleichen. Da ist Deutschland nur im Mittelfeld. Die Vorstellung, wir wären in Sachen Korruptionsfreiheit Spitzenreiter, ist naiv. Große Skandale der letzten Jahre haben dies gezeigt.

Helmut Kohl verschweigt bis heute, wer ihm unzulässig Gelder für die Partei hat zukommen lassen und soll für den Friedensnobelpreis gehandelt werden – verkehrte Welt. Bis vor wenigen Jahren war Deutschlands größtes Technologieunternehmen Siemens mutmaßlich über Jahrzehnte hinweg in korrupte Praktiken verstrickt. Vor kurzem begann in Bochum der Prozess im bislang größten bekannt gewordenen Wettskandal im europäischen Fussball. Betroffen sind 17 Spiele in Deutschland aus den Jahren 2008 und 2009.

Daneben gibt es auch eine große Grauzone, wo nichts eindeutig ist, aber ein Geschmäckle bleiben kann. Ein Beispiel ist der sogenannte „Drehtüreffekt“, wenn Politiker durch die „Drehtür“ meist in die Wirtschaft wechseln:

Ein Geschmäckle blieb, als Gerhard Schröder zur Nord Stream AG wechselte, welche die Ostseepipeline baut. Ein anderer Fall war Caio Koch-Weser, ehemaliger Staatssekretär im Finanzministerium, der zur Deutschen Bank wechselte. Erst im Jahr zuvor war in seinem Bereich der Auftrag für den Verkauf von deutschen Auslandsforderungen gegen Russland vergeben worden.

Transparency International setzt sich für eine Karenzzeit von drei Jahren für Politiker ein, wenn es einen Zusammenhang zwischen bisheriger und zukünftiger Tätigkeit gibt. Jüngst wurde der Wechsel von Roland Koch zu Bilfinger Berger heiß diskutiert. Transparency hat dies zum Anlass genommen, erneut die Einrichtung eines Ethikausschusses zu fordern, der unabhängig prüfen soll, inwieweit ein solcher Zusammenhang vorliegt oder nicht.

Ein weiteres Grauzonen-Beispiel: das bekannt gewordene Sponsoring von Parteiveranstaltungen in Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Die CDU hatte potenziellen Sponsoren Gespräche mit Regierungsmitgliedern in Aussicht gestellt. Da dieses Verhalten anschließend rechtlich nicht sanktioniert wurde, zeigt sich erheblicher Handlungsbedarf. Statt dessen wird das Thema im zuständigen Innenausschuss des Bundestages offensichtlich ausgesessen, während die Bürger auch weiterhin nicht erfahren, wer die Parteien mit wieviel Geld sponsert.

Größtes Versäumnis Deutschlands im Kampf gegen Korruption ist die ausbleibende Ratifizierung der UN-Konvention gegen Korruption. Über 140 Länder weltweit haben ratifiziert. Von den G20-Staaten haben 16 Staaten ratifiziert, allein Deutschland, Indien, Japan und Saudi-Arabien fehlen noch. Das ist nicht nur peinlich, sondern macht Deutschlands Stimme im internationalen Kampf gegen Korruption unglaubwürdig.Hinderungsgrund für die ausbleibende Ratifizierung ist die fehlende Verschärfung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung. Die bestehende Regelung verfehlt klar die internationalen Anforderungen. Seit Jahren schieben die Bundestagsabgeordneten eine Verschärfung auf, weil sie nämlich sie selbst betrifft.

Verschiedene Beispiele zeigen, was alles nicht in Deutschland verboten ist: Man darf einem Abgeordneten Geld für ein bestimmtes Abstimmungsverhalten in Fraktionssitzungen zustecken; allein bei Abstimmungen in Ausschuss und Plenum ist das verboten. Man darf dem Ehepartner von Abgeordneten Geld zustecken. Man darf Abgeordneten nach Abstimmungen Geld für ihre gute Arbeit zustecken, die sogenannten Dankeschönspenden. All dies ist hierzulande nicht strafbar. Deutschland knüpft Hilfszusagen für Afghanistan an die Bedingung, die dortige Regierung müsse konsequent gegen Korruption vorgehen. Gleichzeitig schafft der Bundestag im eigenen Land nicht, die Voraussetzungen der UN-Konvention zu erfüllen. Man sieht: Es muss noch einiges Wasser den Rhein herunterfließen, bis das Glas endlich voll ist.

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