Wieder auf den Spuren des Bossa Nova: der US-Brasilianer Arto Lindsay

Es ist mittlerweile schwer zu sagen, ob Arto Lindsay ein Amerikaner ist, der brasilianische Musik spielt, oder als Brasilianer einmal amerikanische Musik gespielt hat. In jedem Fall hat er sein Leben lang mit Proportionen und Kontrasten gekämpft. Er war in den 80er Jahren der stilbildende Gitarrist des neuen New Yorker Jazz, spielte melodiöses Dudeldudeldi, um es dann kunstvoll zu zerhacken – heutzutage besinnt sich Lindsay lieber auf seine Jugend, die er in den 60er Jahren in Brasilien verbrachte.

Mit elf rätselhaft verführerischen Songs ist er auf seiner neuen Platte „O corpo sutil (The Subtle Body)“ der Subversivität des Bossa Nova auf der Spur. Beim Gespräch darüber muß man ihn stottern lassen, am besten stottert man auch, so kommt man seinen Gedankensprüngen von Alban Berg bis zu „(I Can’t Get No) Satisfaction“ hinterher – Lindsay besitzt ein umfassendes musikalisches Wissen und ein sicheres Gespür für jeden, der ihn des Kulturimperialismus verdächtigt. Unterschiede? Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Kulturen, „das Publikum in Brasilien kann in der Regel besser tanzen und musizieren als die Leute auf der Bühne“. Aber eigentlich hat sich Lindsay abgewöhnt, in Begriffen von Nationen zu denken, „ich denke in Plätzen und Atmosphären. Manchmal fühle ich mich als Teil von Brasiliens Musikkultur, manchmal bin ich total außen vor. Und manchmal erzählen mir meine brasilianischen Freunde, wie brasilianisch sie sind und ich nicht“.

„Manchmal“, kein Wort geht flüssiger über Lindsays Lippen. Für den Wanderer zwischen den Welten sind Eventualitäten zum Lebensalltag geworden. Dabei hat er gelernt, Anfeindungen mit abgeklärter Brillanz beizukommen. Er findet den Begriff „World Music“ rassistisch und läßt nur noch Musik zählen, die klingt, „als ob sie einen beißen könnte“. Intensiv, konzentriert, muß sie das Gefühl vermitteln, „daß jemand hinter dir steht, wenn du sie hörst.“ Wie Musik von Miles Davis zum Beispiel. Oder wie die Platten von Brasiliens Vorzeige-Musiker Caetano Veloso, den Lindsay so wichtig findet „wie Warhol für Amerika oder Beuys für Deutschland“.

Seinen Respekt vor „Brasiliens Staatspoeten“ Veloso hat er auf „0 corpo sutil“ vertont. Die Platte ist programmatisches Bekenntnis eines Musikers, der den Bossa Nova ähnlich bedeutsam findet wie den Rock ’n‘ Roll. Und es ist schwierig zu sagen, ob Lindsay mit dieser Einschätzung mal wieder seiner Zeit voraus ist oder Opfer seiner Vergangenheit. Mit dem „subtilen Körper“ hat er jedenfalls einen Titel gefunden, der sehr empfindsam die Wirkung von Brasiliens Musik ausdrückt, die in Menschen etwas bewegt, das sich tänzerisch mit den Mitteln des US-Gymnastik-Kults kaum ausdrücken läßt. Aber daß Lindsay schlau ist, wußte man ja schon immer, neu ist, daß er diesmal seinen klugen Kopf mit genialen Kitsch-Momenten kombiniert. Eine angenehme, süßlich-entspannte Heiterkeit verströmt diese fragile Musik, die sehr selten auch damals bei Lindsays Ensemble Ambitious Lovers aufleuchtete – allerdings noch als ungelenkter Fremdkörper.

„Manchmal habe ich so Anfalle“, sagt Arto Lindsay, „ch meine, man muß ja auch essen.“

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