WILD UND SCHMUTZIG

ANNA CALVI GEHÖRT ZU DEN TOLLSTEN Gitarristinnen der Gegenwart, sie spielt ihr Instrument gleichermaßen wüst und bedächtig, verletzlich und grob; drumherum lässt sie gewaltige Klangbilder erblühen aus schimmernder Sehnsucht und gemurmelter Angst. Auf ihrem Debütalbum „Anna Calvi“ entwarf sie vor drei Jahren einen rauen, opulenten, höchst eigenständigen Ton: Eine forsch nach vorn gefingerte Bluesgitarre führte durch Lieder über Albträume, Tod, Dämonen und Teufel; drüberweg wölbten sich mal somnambul schwelgende, mal schniefende und schluchzende Streicher; untendrunter klickerte und klackerte eine reiche Percussion. Den Freunden delikat ausgepinselter Ambient-Klänge gefiel das ebenso wie den Anhängern roherer Sounds. Brian Eno vermittelte Calvis Debüt an das Domino-Label und wirkte als Gastsänger mit; Nick Cave lud sie zum Tour-Support für seine Band Grinderman. Bei ihren Konzerten erwies Calvi sich als leidenschaftliche Saitenschredderin. Vor allem aber brillierte sie mit ihrer grandiosen und höchst wandlungsbegabten Stimme: Das Siouxsie-Sioux-Fach des kalten Gothic-Alt-Gesangs beherrscht sie ebenso wie chansoneskes Old-School-Geschmetter nach Art von Edith Piaf.

Das ist auch auf ihrem neuen Album One Breath“ nicht anders. Teufel, Dämonen und sonstige Spukgestalten sind diesmal indes im Mythenhimmel geblieben; stattdessen singt Calvi über die ewigen Themen, die uns im Diesseits berühren: über Liebe und Verlust, Angst vor Veränderung und vor der Unkontrollierbarkeit der Gefühle. Doch so manisch sie auf der Bühne auch wirken mag: Im Interview erweist sie sich als bedächtige, leise sprechende Gesprächspartnerin, die ausführlich und freundlich, dabei geradezu leidenschaftslos rational Auskunft über ihre Musik erteilt. Wenn sie über ihre Songs redet, wirken diese nicht mehr wie Traumabewältigungsmittel, sondern wie stete kleine Fortschritte bei der zunehmenden Verbesserung ihres musikalischen Könnens.

Gitarre, sagt sie, spiele sie seit ihrem achten Lebensjahr, ihre ersten Vorbilder an diesem Instrument seien Jimi Hendrix und Django Reinhardt gewesen. „Reinhardt habe ich schon als Kind mit meinem Vater gespielt. Seine Musik ist so melodisch und zugleich so schräg, es gibt bei ihm überhaupt keine Scheu vor falschen Noten. Und auch wenn er ganz süße Melodien spielt, hat er einen schroffen, fast hässlichen Anschlag, er zerrt an den Saiten und drischt auf sie ein. Diese Mischung aus Melodik und Schroffheit: Die fand ich schon immer toll!“ Am allerschlimmsten von überhaupt allem, sagt sie, fände sie Gitarrenmusik in mittlerem Tempo mit weichem Anschlag: „Smooth Jazz, Pat Metheny und solche Sachen -furchtbar!“ Von Hendrix habe sie wiederum das Improvisieren gelernt und die Freiheit im Umgang mit dem eigenen Instrument, wieder und wieder habe sie sich seinen Auftritt beim Woodstock-Festival angesehen. „Eine Gitarre muss wild klingen! Und schmutzig!“

Als Calvi vor drei Jahren erstmals auf der Bildfläche erschien, schrieben die meisten Kritiker vor allem darüber, dass hier mal wieder eine Frau an der Gitarre zu hören sei, und versuchten Calvi in der nicht allzu prächtigen Tradition prominenter Rockgitarristinnen zu verorten, von Sylvia Juncosa bis zu Marnie Stern. Schon bei der Erwähnung dieses Umstands verdreht sie die Augen. „Das ist doch lächerlich. Ich bin eine Frau. Und ich spiele eine Gitarre. Das ist alles. Ich glaube auch nicht, dass es eine weibliche Gitarrentradition gibt. Wie ich schon sagte, die meisten meiner Vorbilder sind Männer.“ Weit erstaunlicher als den Umstand, dass sie Gitarre spielt, findet sie selbst, dass sie dazu auch noch singt. Damit habe sie nämlich überhaupt erst vor sechs oder sieben Jahren begonnen. „Ich konnte meine Stimme nie leiden“, sagt sie, aber als der Knoten geplatzt war, als ich mich dann einmal entschlossen hatte zu singen, da habe ich wirklich geübt und geübt und äußerst hart an mir gearbeitet. Ich habe mir wieder und wieder Musik von meinen Vorbildern angehört, etwa von Edith Piaf und Maria Callas und David Bowie “ Hat sie denn professionellen Gesangsunterricht genommen? „Nein, wenn du deine eigene Stimme entdecken willst, dann schadet dir so etwas nur.

Meine größte Hilfe war mein Aufnahmegerät. Ich habe meinen Gesang aufgenommen und angehört und wieder aufgenommen und dann so lange daran herummodelliert, bis ich den Ton fand, den ich treffen wollte.“

Was auch insofern interessant ist, als mir Julia Holter – die sich mit Anna Calvi zwar das Label Domino Records teilt, aber musikalisch doch eher weniger mit ihr gemein hat – vor ein paar Wochen fast das Gleiche erzählte. Auch sie hat erst vor wenigen Jahren mit dem Singen begonnen, und auch bei ihr spielte Homerecording dabei die entscheidende Rolle. Die beiden charismatischsten Sängerinnen der Pop-Gegenwart: spätberufene DIY-Virtuosinnen! Nur dass Holter beim spezifischen Modellieren ihrer Stimme stark auf elektronische Manipulation setzte. „Das ist für mich kein Weg“, sagt Calvi, „ich habe natürlich auch schon alleine mit Multitracking-Recordern gearbeitet und meine Stimme zum Chor gemacht. Aber wenn ich mich zwanzigmal vervielfältigt wiederhöre, bin das eben nicht mehr ich selbst.“

Ihre erste Platte nahm sie dann in einem Trio auf; sie selbst spielte Gitarre und Geige und alle möglichen anderen Instrumente; ihre beiden Mitmusiker Mally Harpaz und Daniel Maiden-Wood bedienten vor allem das Schlagzeug und diverse Perkussionsgeräte. Warum gab es eigentlich keinen Bassisten in ihrer Band?“Weil ich keinen kannte.“ Gute Antwort! „Und weil ich bald merkte, dass ich den Bassisten auch gar nicht vermisse. Im Gegenteil, ich mochte den Raum, der in der Musik dadurch offen bleibt.“ Das Interesse am Raumklang und an der musikalischen Textur sei während ihres Kompositionsstudiums entstanden, damals habe sie viel Debussy und Ravel gehört, aber auch Olivier Messiaen und die Minimal Music des New Yorker Komponisten John Adams.

Besonders Messiaen war ein Vorbild: Er komponiert seine Musik, wie ein Maler ein Bild malt, er benutzt seine Klänge wie Farben.“

Auf der neuen Platte sind die Texturen des Klangs noch prägnanter, noch plastischer geworden; dafür tritt die Gitarre als Instrument scheinbar in den Hintergrund. Manchmal führt sie in die Songs nur noch ein, um sich dann unter Streichern und anderen Orchesterinstrumenten zu ducken; manchmal taucht sie auch erst im Refrain oder im Finale der Lieder auf. „Ja, ich habe diesmal noch stärker versucht, auf dynamische Weise zu arbeiten: zum Beispiel den Klangraum erst aufzufüllen, um ihn dann plötzlich wieder zu leeren; auch auf diese Art kann man ja Gefühle ausdrücken, emotionale Wirkungen erzeugen. Das heißt aber nicht, dass die Gitarre nicht mehr das Leitinstrument ist. Ich hab sie zwar sparsamer, aber gerade dadurch effektvoller einzusetzen versucht: Sie kommt immer in jenen Momenten hinzu, die für die Dramaturgie der Lieder am entscheidendsten sind, an den Wende-und Höhepunkten!“

Auch klingen die neuen Songs insgesamt wärmer. Die Percussion, die auf dem Debüt oft schneidend-scharf hochgepitcht wurde wie auf den frühen Jesus-and-Mary-Chain-Platten, wirkt nun basslastiger, satter und weicher; ein Übriges tut die Opulenz der Streicher-Arrangements. Vor allem aber, sagt Calvi, habe sie diesmal fast alle Lieder in Dur-Tonarten geschrieben und nicht mehr in Moll. Was aber nichts damit zu tun habe, dass ihre Stimmung sich gegenüber der letzten Platte verändert habe. „Ich wollte mich einfach mal in Dur ausprobieren, weil ich bislang so wenig Übung darin hatte. Es ist ja nicht so, dass alles in Moll traurig klingen muss und alles in Dur heiter. In beiden Registern kann man jedes Gefühl ausdrücken, das man ausdrücken will, man muss nur die Disziplin haben, die es braucht, um das Potenzial jeder Tonart ganz auszuschöpfen.“

Das Wort „Disziplin“ ist wahrscheinlich das meistgebrauchte in unserem Gespräch; immer wieder betont Calvi, dass man sich beim Musizieren selbst disziplinieren muss, um sich künstlerisch weiterentwickeln zu können. Ein sonderbarer Gegensatz zu dem ekstatisch-selbstvergessenen Eindruck, den sie auf der Bühne erweckt. Auch das im Studio gebannte, zu einem Element unter anderen gewordene Gitarrenspiel blüht erst live in seiner ganzen Schroff-und Schönheit auf. Das wirkt, als unterwerfe sich Calvi über die längsten Strecken ihres Schaffensprozesses einem besonders rigiden Selbstkontrollzwang, um dann im entscheidenden Moment die Kontrolle umso effektvoller fahren zu lassen.

So handeln denn auch die Songs auf der neuen Platte vor allem von solchen Momenten, in denen sich plötzlich alles verändert: in denen man, wie Calvi sagt, „die Kontrolle über sich und seine Gefühle verliert“. Sie handeln von der Angst davor, jemanden zu verlieren, ebenso wie von der Angst davor, jemanden aufzugeben, ihm wehzutun. In dem Eröffnungsstück „Suddenly“ singt sie davon, wie eine unbestimmbare Traurigkeit sie überwältigt und dazu bringt, von einem Moment auf den nächsten ihr ganzes altes Leben hinter sich zu lassen. Das epische „One Breath“ umkreist die winzige Dauer eines Atemzugs, die „eine Sekunde, die ich noch zu leben habe“, bevor es passiert, „bevor ich die Worte sage, die alles verändern werden, nach denen nichts mehr so sein wird wie zuvor“.

Ob das persönliche Erfahrungen sind, die hier aufscheinen, mag Calvi im Gespräch nicht offenbaren: „Ich will nicht, dass man mich eins zu eins mit meinen Liedern identifiziert. Eine Musik, die kein Geheimnis mehr hat, ist keine gute Musik.“ Aber wenn man ihr genau zuhört in dem, was sie singt, versteht man noch besser, woher die Spannung kommt, die ihre Musik so besonders macht. Es ist gerade nicht wie immer noch in den meisten Spielarten des Gitarrenrocks die Spannung des ausgelebten Exzesses. Sondern eine Spannung, die aus angstvoll-freudiger Erwartung rührt: aus der Erwartung jenes einen, alles umstürzenden Moments, in dem man sich hingibt und fallen lässt und von der Herrscherin über die Dinge zur Beobachterin wird. Gerade auch zur Beobachterin des eigenen Tuns: gleichermaßen überwältigt und bestürzt von den Kräften, die plötzlich aus dem Inneren treten, aus dem immer fremder werdenden Selbst.

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