„Wir neigen zum Drama“

Stevie Nicks über ihre Versöhnung mit Lindsey Buckingham, die Verlorenheit im Internet und die Aufregung vor der großen Tournee

Es ist nicht einfach, Stevie Nicks zu erreichen. Sie lebt zurückgezogen im Großraum Los Angeles; ohne Internetanschluss. So muss das gute, alte Telefon herhalten. Ein Anruf bei der erstaunlichsten Elfe der späten Siebzigerjahre, der sich zu einem länglichen und intensiven Gespräch entwickelte.

Seit Jahren wurde darüber spekuliert, ob Fleetwood Mac noch einmal auf eine große Tournee gehen. Was war letztlich der Auslöser dafür?

2010 veröffentlichte ich mein Album und ging damit das ganze Jahr auf Tour. Weil ich wirklich stolz auf das Album bin, habe ich am Ende des Jahres den Entschluss gefasst, noch ein weiteres Jahr dranzuhängen. Und danach war ich bereit, den nächsten Schritt in Angriff zu nehmen – und der heißt Fleetwood Mac. Ich bin der Meinung, man sollte zwischen Tourneen grundsätzlich mindestens drei Jahre vergehen lassen. Erst dann ist es etwas Besonderes, weil man uns so lange nicht gesehen hat. Nach anderthalb Jahren ist es einfach nicht dasselbe Gefühl.

Besteht die Möglichkeit, dass Christine McVie zumindest als Gast bei der Fleetwood-Mac-Tournee mitwirken wird?

Ich würde sagen, die Wahrscheinlichkeit ist etwa so groß wie die Chance, dass die Erde von einem Asteroiden getroffen wird. Sie hat das Kapitel endgültig abgeschlossen. Kennen Sie dieses Gefühl, wenn man seinem Gegenüber in die Augen blickt und sofort Bescheid weiß: Sie will einfach nicht mehr. Sie will nicht wieder zurück nach Amerika. Sie will überhaupt in kein Flugzeug mehr steigen. Als sie gegangen ist, war das endgültig. Sie hat ihr Haus, ihr Piano, ihr Auto verkauft, ist zurück nach England gegangen und seit 1998 nie wieder zurückgekehrt. Insofern ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie ihre Meinung noch mal ändert – auch wenn wir uns das alle natürlich wünschen würden. Aber ich kann’s mir beim besten Willen nicht vorstellen. Wir lieben sie aus ganzem Herzen – und mussten sie genau aus diesem Grund ziehen lassen.

Wie wird die Setlist aussehen?

Wir werden uns unser gesamtes Repertoire anschauen – und dann macht jeder eine Liste mit den Songs, die er spielen möchte. Es gibt etwa zehn Songs, die wir auf jedem Fall spielen müssen: „Go Your Own Way“, „Landslide“ und „Dreams“ – daran kommen wir einfach nicht vorbei. Aber da Fleetwood Mac nun mal ein Set spielen, das zwei Stunden und 20 Minuten dauert, können wir acht oder neun Songs ausgraben. Und das machen wir gerade: Wir schreiben alle möglichen Kandidaten an eine Tafel – wie in der Schule. Dann spielen wir sie einmal durch und schauen, was funktioniert.

Viele Ihrer Altersgenossen sind dazu übergegangen, eines ihrer klassischen Alben im Ganzen auf die Bühne zu bringen. Haben Sie mal überlegt, „Rumours“ in einem Stück durchzuspielen?

Nein, auch wenn wir natürlich viele Songs von „Rumours“ in unsere Auswahl nehmen werden. Wir hätten sonst einfach zu wenig Zeit, die Songs anderer Alben zu spielen. Wenn wir das wollten, könnten wir das sicher tun, aber das wäre dann eine völlig andere Tournee. Vielleicht machen wir das mal zu einem späteren Zeitpunkt. Es ist ein reizvoller Gedanke, ein derartiges Konzert zu filmen. Dann könnten wir etwas zu den einzelnen Songs erzählen – über all ihre Irrungen und die Experimente im Vorfeld.

Denken Sie darüber nach, noch vor der Tournee neues Material aufzunehmen?

Nun, viel Zeit haben wir nicht: Am 15. Februar fangen die Proben an. Wir haben allerdings zwei neue Songs. Neulich besuchte ich Lindsey und blieb gleich vier Tage. Da nahmen wir auch einen Song aus den alten „Buckingham Nicks“-Tagen auf, den wir schon immer geliebt haben, aber aus unerfindlichen Gründen nie veröffentlichten, sondern unter den Teppich kehrten. Nun haben wir mit ihm drei neue Songs. 2013 ist nicht nur 35 Jahre „Rumours“, sondern auch das 40-jährige Jubiläum von „Buckingham Nicks“ und wir hoffen, dass das Album mit diesem verlorenen Song wiederveröffentlicht wird.

Es war toll, wieder ein paar Tage mit Linds zu verbringen. Wir sind mittlerweile alt genug, um das Kriegsbeil zu begraben. Wir haben 1968 angefangen, zusammen Musik zu machen. Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben, und sehen uns heute in einem etwas anderen, einem besseren Licht. Das ist alles ziemlich aufregend. Und das hat gar nicht unbedingt etwas mit Fleetwood Mac zu tun. Die Band weiß über alles Bescheid und ist völlig einverstanden mit unseren Plänen.

Wird „Buckingham Nicks“ als Deluxe-Boxset erscheinen?

Nun, es erschien 1973. Das ist 40 Jahre her. Wir haben Neubearbeitungen der alten Demos. Wir sollten das Album neu herausbringen – und dann sollten Buckingham Nicks auch auf Tournee gehen. Dann wäre 2013 nicht nur das Jahr von Fleetwood Mac, sondern wir könnten „Buckingham Nicks“ als kleinen Extra-Bonbon oben drauflegen.

Heißt das, dass Sie auch die Originalbesetzung zusammentrommeln würden, um mit ihr auf Tour zu gehen?

Es wäre zumindest eine hübsche Idee. Und es wäre der passende Anlass, um das komplette Album auf die Bühne zu bringen. Es wäre sicher abgefahren, mit Waddy Wachtel und anderen Leuten aus San Francisco wieder zusammenzukommen. Für Lindsey und mich wäre es eine verrückte Erfahrung, den alten Songs noch einmal wiederzubegegnen.

Halten Sie in der Zukunft auch ein neues Fleetwood-Mac-Album für denkbar?

Nun, zwei Songs haben wir ja schon mal. Lindsey und die Jungs hatten sie schon Anfang des Jahres aufgenommen. Meine Vocals nahm ich erst später auf, weil ich nach dem Tod meiner Mutter nicht in der Stimmung war, ins Studio zu gehen. Die Jungs haben sich wirklich bemüht, die Aufnahme so klingen zu lassen, als sei ich mit im Studio gewesen.

Was wir mit den Songs anstellen werden, weiß ich noch nicht. Vielleicht veröffentlichen wir sie Anfang des Jahres. Vielleicht bringen wir fünf oder sechs Songs später in diesem Jahr heraus. Wir könnten noch weitere Songs aufnehmen, die nach der Tour erscheinen. Ich weiß es nicht. Ich gehöre nicht mehr zur heutigen Musikszene. Das Musikgeschäft hat sich so verändert, dass ich es nicht mehr verstehe. Ich habe kein Internet, kein Facebook, keine MySpace-Face-Seite und will das auch alles nicht. Und umgekehrt will heute niemand mehr ein Album mit 14 Songs kaufen. Es bricht mir das Herz, aber so ist es nun mal – und ich muss damit klarkommen.

Ich mag falsch liegen, aber ich habe den Eindruck, dass die Dramen, für die Fleetwood Mac früher bekannt waren, endgültig der Vergangenheit angehören. Alles scheint inzwischen sehr sachlich und zweckorientiert geworden zu sein.

Wenn Sie sich da mal nicht täuschen! Wir sind alle sehr dramatische Charaktere, auch wenn sich viel von der alten Wut verflüchtigt hat. Der Ärger kann hier und da wieder hochkochen, steht aber nicht mehr im Zentrum.

Das heißt, es passiert nur noch hinter den Kulissen?

Man könnte durchaus auch auf der Bühne etwas davon mitbekommen. So sind wir nun mal. Lindsey und ich haben immer zu Dramatik geneigt. Das kann gar nicht anders sein, wenn man fast sieben Jahre verheiratet und danach 30 Jahre in einer Band war.

Das klingt nach einer komplizierten Beziehung – um es vorsichtig auszudrücken.

Ja, Vorsicht ist das richtige Wort.

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