Die Kraft guter Lügen

Als The Notwist neulich im Münchner Elektro-Club „Rote Sonne“ (Martin Gretschmann ist einer der Betreiber) ihr neues Album „The Devil, Tom + Me“ vorstellten, opferten sie dem Donnergott Thor drei Kälber und schmierten mit deren Blut satanistische Hieroglyphen auf die rohen Wände.

Ein Witz. Natürlich tun Gretschmann und die Gebrüder Markus und Micha Acher auch im Jahre 2008 absolut nichts Unerwartetes. Man kann sich in der Gegenwart dieser doch sehr deutschen Kaltblüter durchaus unbehaglich fühlen. Vor allem, wenn man weniger darauf achtet, was sie sagen, sondern mehr, wie sie das tun. Langsam. Emotionslos. Leise. Legte man den durchschnittlichen Energieverbrauch innerhalb eines halbstündigen Gespräches mit dieser Band zugrunde, müssten die — nach der Demission von Mecki Messerschmidt – einzigen drei übrig gebliebenen festen Notwist-Mitglieder jeweils 150 Jahre alt werden.

Trotzdem sparen wir uns den Kalauer, dass sie ja auch dreimal so lange für ihre Musik brauchen, und kommen direkt zum Wesentlichen: dem Hort der Notwist-Energie. Denn die steckt ganz klar in „The Devil, You + Me“. Derart intensiv seien die einzelnen Arbeitsabschnitte diesmal wieder gewesen, so Markus Acher, dass man immer nur zweieinhalb Wochen am Stück geschafft und danach Pause gemacht habe — „weil wir das während dieser Phasen enorme Konzentrationslevel gar nicht länger aufrechterhalten könnten“. So entstand, über ein langes Jahr verteilt, einmal mehr ein meditatives, Aufmerksamkeit forderndes Album – das stilistisch leider so gut zu „Neon Golden“ passt, dass man bei oberflächlichem Hören versucht ist, den Urhebern Stillstand zu attestieren.

Generell gilt: Die Notwist-Musik findet man entweder genauso langweilig wie ihre Urheber – oder man hat sich mit ihr beschäftigt. Es hat zwar vermutlich keiner darüber nachgedacht, aber dass die Süddeutschen bei iTunes unter „Gospel & Religious“ abgelegt werden, passt eigentlich ziemlich gut. Es haftet diesen meditativen, sich langsam erschließenden Klängen ja tatsächlich etwas beinahe Kathartisches an.

der Titel aufmacht, hätte er schon gepasst. Es geht durchaus auch darum, sich manchmal wegzuwünschen— nur ist es eben nicht unsere zentrale Botschaft. Und dann ist Planet ein in letzter Zeit reichlich inflationär genutzter Begriff. In jeder Kleinstadt gibt’s vier Läden mit dem Wort im Namen: Planet Döner, Planet Rock, Planet was-weiß-ich-was.“ Sie sehen: Manchmal kann Micha Acher sogar lustig sein. Weil er das meistens aber nicht ist – oder so gut versteckt, dass es keiner merkt — und weil die Notwist-Musik neben ihrer wunderbaren Leichtigkeit ja auch furchtbar bedeutungsschwanger klingt und sehr konben, das Ausland fand lobende Worte und schließlich kamen auch die unbegabten Bands, um am Mythos zu partizipieren. Inzwischen ist die Welle abgeebbt. Die einzigen jetzt noch dort wohnenden Protagonisten des Weilheim-Hypes: Gretschmann. Mario Thaler und ein Console-Bandkollege. Und in Thalers Uphon-Studio geht demnächst das Licht aus. Die in diesen Tagen zu Ende gehende Arbeit am zweiten Album der Dresdner Band Polarkreis 18 wird wohl die letzte große Produktion in den durch The Notwist zu Ruhm gekommenen Räumen sein. Sie selbst haben die neue Platte nicht im Uphon aufgenommen, „Let’s just imitate the real until we find a better one“ singt Markus Acher in „Good Lies“. Die guten Lügen, das sind jene, die dafür sorgen, dass man ohne allzu große Blessuren überhaupt durch dieses Leben kommt – ohne ihm zu entfliehen. Sich nicht unnütz aufreiben, Kräfte sinnvoll einsetzen — es ist ein bisschen so wie in Niebuhrs „Gelassenheitsgebet“.

Eigentlich sollte die Platte übrigens „Planet Off heißen, aber das war ihnen dann doch wieder zu eskapistisch. Zu fantasielos außerdem: „Von den Assoziationen, die zeptionalisiert, geht man davon aus, dass hier immer alles ganz genau geplant wird. Tatsächlich werde im Vorfeld viel überlegt und diskutiert, sagt Gretschmann. Aber irgendwann müsse damit auch mal Schluss sein, da sie später meist eh alles wieder über den Haufen werfen, „weil sich viele der vorherigen Erwägungen als ungeeignet erweisen und wir lieber einer spontan auttauchenden Dynamik folgen“.

Ebenfalls Schluss sein muss jetzt mit der unerträglichen Weilheim-Glorifizierung. Es wurden Filme gedreht, Texte geschrie aber immerhin noch mit Olaf Opal und dem alten Freund Thaler dort abgemischt. Aufgenommen wurde zuvor in einem eigens eingerichteten Raum, den The Notwist, Alien Research Center“ nannten – dabei geht es hier ja gar nicht um außerirdische, sondern um hiesige Lebensformen.

„Bring it on home, and keep it warm“ heißt es am Ende von „Good Lies“. Das ist ihnen einmal mehr gelungen. Und beim Abhören des Interviews merkt man plötzlich, dass sie sogar mehrmals gelacht haben.

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