„Wir sind die Anti- Eagles“

Lindsey Buckingham über seine Differenzen mit Stevie Nicks, den Bogen von „Rumours“ und die Aufnahmen zu einem neuen Fleetwood-Mac-Album

Eine Woche später ein weiteres Gespräch. Dieses Mal mit dem amerikanischen Widerpart des britischen Bandgründers Mick Fleetwood, der die einstige Bluesrockgruppe zur interessantesten Softrockband der Siebziger trimmte – und zum Millionenseller. Legendär sind die von Sex, Lügen und Gerüchten umrankten Aufnahmen zu „Rumours“, und auf dem Album wurde das Private zur öffentlichen Kunst. Im Verlaufe des Interviews wollte Buckingham immer wieder wissen, was denn „Stevie“ auf diese oder jene Frage geantwortet hätte. Nach all den Jahren sind die Dinge noch immer nicht so einfach. Und bleiben spannend.

Ich habe vorige Woche mit Stevie gesprochen. Sie hält lange Pausen bei Fleetwood Mac grundsätzlich für sinnvoll, weil eine Tournee sonst nichts Besonderes mehr wäre.

Wir hatten ursprünglich geplant, bereits 2012 zu touren. Es war noch nichts konkret, aber wir hatten die Zusagen aller Beteiligten. Doch dann wurde alles verschoben, weil Stevie ihr Album veröffentlichte – und ich meines. Um fair zu sein: Ihr Album erschien ein wenig später. In dieser Band gibt es immer jemanden, der die gemeinsamen Pläne durchkreuzt. Sie bekam mit, dass ich kleine Solo-Konzerte gab, die mir sehr viel bedeuteten und auch der Gruppe zugute kamen. Und ich denke, dass sie das Bedürfnis verspürte, diese Erfahrungen nachzuholen. Es war durchaus verständlich, dass sie das dann möglichst lange auskosten wollte. Ich möchte über die Verschiebung der Tour gar kein Urteil fällen, außer dass es für alle eine Überraschung war. Die Dinge ändern sich immerzu – so ist Fleetwood Mac einfach. Wir sind ständig in Bewegung. Man könnte sogar sagen, dass wir eigentlich alle nichts in einer Band verloren haben. Andererseits machen diese Synergien das Besondere der Band aus. In gewisser Weise sind wir die Anti-Eagles. Wir ziehen nie am selben Strang. Ich habe die Eagles immer dafür bewundert, dass sie genau zu wissen scheinen, was sie wollen -und dass sie es zur gleichen Zeit wollen. Bei uns ist das ganz anders. Wir sind ein politisches Minenfeld – aber immerhin ein interessantes.

Es ist interessant, dass sich diese Dramen nicht mehr in der Öffentlichkeit abspielen. In den Siebzigern konnte jeder alles brühwarm miterleben.

Im Prinzip machen wir noch immer, was wir auch damals gemacht haben, aber wir stehen nicht mehr überall im Mittelpunkt – wir sind eine Gruppe von vielen. Natürlich interessieren sich die Leute noch für uns, aber wir stehen nicht mehr so unter Beobachtung wie damals. Man stelle sich einmal vor, wir hätten „Rumours“ im Overkill der heutigen Medienlandschaft machen müssen. Oh mein Gott! Das Besondere des Albums war es nun mal, dass wir unser Privatleben durch die Subjektivität der Musik offenlegten. Das Private aber löste sich von der Musik und wurde Futter für die Klatschpresse. Das war schon okay, aber es ist nicht gerade das, was man jeden Tag erleben möchte.

Wo wir von „Rumours“ sprechen: Haben Sie mal mit dem Gedanken gespielt, das ganze Album auf einer Tournee zu spielen?

Das ist keine schlechte Idee. Das wäre sogar ziemlich cool. Ich werde das mal ansprechen. Es könnte aber den Spannungsbogen des Konzepts stören, wie wir es uns jetzt vorstellen. Aber hey – andere Bands machen das ja auch. Warum also nicht auch wir? Ich frage mich nur, wie das funktioniert: Besteht das ganze Set nur aus dem einen Album oder spielen sie noch andere Sachen?

Das ist unterschiedlich, aber meistens spielen sie eine Stunde lang andere Songs, machen eine Pause und bringen dann das gesamte Album als zweiten Teil des Sets.

Ich werde in jedem Fall noch mal drüber nachdenken. Das Problem, das ich sehe, ist die Tatsache, dass „Rumours“ aus der Vinyl-Ära stammt. Seite A bildet einen in sich geschlossenen Bogen: Mit „Go Your Own Way“ erreicht sie ihren Höhepunkt, um dann mit Christines Klaviernummer auszuklingen. Seite B fängt dynamisch an und klingt dann langsam aus. Und ich kann mir nur schwer vorstellen, ein Bühnenset mit „Oh Daddy“ und „Gold Dust Woman“ zu beenden. Vielleicht hat das Album ja etwas an sich, was einfach nicht zu diesem Bühnenkonzept passt. Es funktionierte als LP und es funktionierte als Resonanzkörper für unsere persönlichen Wehwehchen zu dieser Zeit. Aber wir werden auf jeden Fall mal darüber nachdenken.

Stevie meint, dass es im Rahmen dieser Tournee keine gute Idee sei.

Natürlich meint sie das. (lacht) Nun, dann sollte ich vielleicht nicht unnötig Streit vom Zaun brechen. Ich muss die Streitereien schon sorgfältig auswählen.

Was möchten Sie denn am liebsten live spielen?

Gute Frage. Wir haben noch keine Entscheidung getroffen, aber man muss sich natürlich vor Augen halten, dass wir an einem Punkt angekommen sind, an dem wir kein neues Material mehr vorlegen müssen – und das kann sehr befreiend sein. Die Leute kommen ja wegen den alten Sachen. Wie ich Stevie kenne, hat sie bestimmt von dem Track erzählt, den sie auf eine Wiederveröffentlichung von „Buckingham Nicks“ nehmen möchte, oder?

Ja.

(lacht) Was hat sie denn dazu gesagt?

Dass man das Album zum 40-jährigen Jubiläum endlich als CD veröffentlichen und vielleicht eine Tour mit den alten Jungs wie Waddy Wachtel ins Auge fassen solle.

Oh, die alte Band mit Waddy Wachtel! Wow. Also, ich würde liebend gerne mit Stevie auf Tour gehen – aber Stevie hat davon gesprochen, diese Konzerte zwischen die Etappen der Fleetwood-Mac-Tournee zu schieben, was mit Sicherheit nicht passieren wird. Es ist logistisch einfach unmöglich und wäre finanzieller Selbstmord, weil man gar nicht genug Auftritte machen kann, um die Ausgaben wieder einzuspielen. Aber ich bin absolut dafür, „Buckingham Nicks“ wieder zu veröffentlichen. Dazu brauchen wir auch ein paar Bonus-Tracks. Ich bin auch nicht zwangsläufig dagegen, ein Set auf der Mac-Tour dazwischenzuschieben – auch wenn das ein wenig von unseren Plänen abweichen würde.

Ich frage mich aber, ob Stevie überhaupt das neue Material erwähnt hat? Ich möchte wetten, das hat sie nicht.

Sie sprach von einen Buckingham-Nicks-Song, der noch als altes Demo existierte und von zwei neuen Fleetwood-Mac-Songs.

Ich erzähl mal, wie es wirklich ablief: Sie war auf Tournee, als ich mit dem Gedanken spielte, ein neues Mac-Album aufzunehmen. Was ja wirklich keine schlechte Idee war, oder?

Sicher nicht. Seit dem letzten sind ja fast zehn Jahre vergangen.

Es wäre wirklich an der Zeit. Stevie war aber von der Idee nicht sonderlich angetan – um genau zu sein: überhaupt nicht. Also entschloss ich mich, John (McVie) und Mick (Fleetwood) aus Hawaii rüberzuholen und im Alleingang acht neue Songs aufzunehmen, die ich geschrieben hatte. Alle waren sie in der richtigen Tonart für Stevies Stimme, damit sie ihre Vocals nachträglich aufnehmen konnte.

Meine Hoffnung war: Sie kommt rein, hört die Songs, begeistert sich dafür, schreibt noch eigenes Material und schon haben wir ein neues Album. Das ist aber nicht passiert. Ich hatte den Eindruck, dass sie eigentlich kein neues Mac-Album wollte. Ich vermute, dass sie nicht genug eigenes Material hatte – oder sich davon nicht trennen will. Vielleicht war sie aber auch etwas eingeschüchtert, weil die acht neuen Tracks für sie so plötzlich kamen. Ich fand das Material jedenfalls ziemlich eindrucksvoll – John und Mick haben sich den Arsch abgespielt! Ich hatte auch absichtlich nach einem Co-Produzenten gesucht, der keine allzu naheliegende Wahl war, weil ich’s nicht an die große Glocke hängen wollte. Ich wollte, dass Stevie sich in das Projekt einklinkt, solange es sich noch nicht auf dem Radar der Öffentlichkeit befindet. Also holte ich Mitchell Froom, mit dem ich noch nie gearbeitet hatte.

Die Dinge dümpelten dann vor sich hin. Als sie mich nun neulich besuchte, überzeugte ich sie davon, auf zwei meiner Songs zu singen. Wir hatten übrigens eine tolle Zeit miteinander, was ich wirklich als positiv und vielversprechend empfand, weil wir so viel Spaß seit Ewigkeiten nicht mehr hatten. Aber dann entschied sie sich, diesen Track, der eigentlich für Fleetwood Mac bestimmt war, lieber für „Buckingham Nicks“ zurückzuhalten. An diesem Punkt war bei mir etwas die Luft raus. Ich finde, es sollten von ihr schon immer auch ein paar Sachen für Fleetwood Mac rüberkommen. Sie macht gerade Urlaub in Key West oder wo auch immer. Von wo aus hat sie angerufen?

Ich weiß es nicht.

Irgendwo in Florida. Geplant ist, dass sie mit ein paar Tracks zurückkommt, die dem Mac-Album die nötige Balance geben sollen. Wir haben zwei Tracks, die in unserem Set auftauchen sollen. Und wir haben noch genügend Zeit, wenn wir uns doch entscheiden sollten, zum Nordamerika-Tourstart im April eine EP rauszubringen. Ich hoffe sehr, dass das passiert. Aber warten wir’s ab.

Aber Sie sind sich sicher, dass eine Buckingham-Nicks-Tour dieses Jahr nicht mehr stattfinden wird?

Wie sollte das funktionieren? Wir haben schon etwa 40 Konzerttermine für die Tour – und vielleicht kommen noch weitere hinzu. Allein die dauern schon bis zur Sommerpause und danach haben wir, wenn alles nach Plan läuft, Gigs in England, Deutschland, Skandinavien, Australien und Neuseeland – vielleicht sogar an Orten, an denen wir noch nie gespielt haben. Wann soll man bei diesem Zeitplan überhaupt darüber nachdenken, noch mit Buckingham Nicks aufzutreten?

Wird denn „Buckingham Nicks“ wenigstens neu veröffentlicht?

Das liegt Stevie ja sehr am Herzen und auch ich habe damit keinerlei Probleme. Auch wenn ich nicht weiß, wie vielen Leuten es wirklich etwas bedeutet, dass es unser 40-jähriges Jubiläum ist. Aber sie hat es sich in den Kopf gesetzt. Wenn Sie mich fragen, spielt es keine Rolle. Ich finde, wir sollten uns stattdessen Fleetwood Mac widmen, weil ansonsten die Botschaft verloren geht.

Stevie und Sie scheinen in der Tat ein kompliziertes Verhältnis zu haben.

Nachdem Sie mit uns beiden gesprochen haben, müssen Sie sich vermutlich fühlen wie ein Psychiater.

Ein wenig. Ich höre zwei verschiedene Vorstellungen von Ihrer zukünftigen Partnerschaft.

Ich sage Stevie seit Jahren, dass wir wieder auf „Buckingham Nicks“ zurückkommen sollten. Ich weiß, dass es einen Markt dafür gibt, obwohl wir keine riesigen Hallen füllen werden. Aber es gibt genug Leute, die sich für das interessieren, was zwischen uns beiden passiert – man kann’s einfach nicht mit Worten beschreiben. Wenn, dann sollte man es schon richtig anpacken. Ich habe bei Stevie oft den Eindruck, dass sie aus dem Bauch heraus entscheidet, ohne die Sachen zu Ende zu denken. Aber man kann die Logik deshalb ja nicht einfach über Bord werfen. Das Projekt muss auf allen Ebenen Sinn machen. Ich weiß nicht, was wirklich in ihrem Kopf vorgeht. Sie will mit Waddy und all diesen Leuten auf Tour gehen? So einfach ist das nicht. Wir müssen das Thema schon völlig neu aufrollen.

Okay. Eine letzte Frage …

Sie können ruhig weitermachen. Ich hab heute eh nichts anderes zu tun. Werde ich wegen dem Interview Ärger bekommen?

Natürlich nicht.

(lacht) Die ganze Zeit haben wir diese Geschichten unter Verschluss gehalten. Und nun sprechen Sie mit mir und mit Stevie – und alles kommt raus. Es ist fast so wie in alten Tagen, als wir nur über die Songs miteinander sprachen. Und nun kommunizieren wir auf einem Umweg über Sie. Ist das nicht verrückt?

In der Tat. Aber ich kenn mich da aus: Vor ein paar Jahren haben sich die Jungs von Aerosmith über mich gegenseitig angepöbelt.

(lacht) Das ist ja lustig. Sieht so aus, als würden Sie einen guten Job machen.

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