Wolfgang Doebeling über die drohende Umsatzkrise auf dem US-Tonträger-Markt und eine bizarre Ursachenforschung

Schon gehört? Die fetten Jahre sind vorbei. Bei uns stagniert es noch, das Musikgeschäft. Nullwachstum nennt man das. Aber in den Vereinigten Staaten, wo doch unsere Zukunft gemacht wird, ist die Branche mächtig ins Trudeln geraten. Den Publishing-Magnaten und anderen Windfall-Profiteuren geht es noch Gold, und Anwälte sind eh wie Aas-Geier: Pleiten sind ihr täglich Brot. Nein, das sorgfaltig gesponnene Net2 aus Copyrights und Vferwertungsrechten hält wohl noch eine Weile. Was da so bedenklich wankt wie ein Schiff kurz vorm Kentern, ist der Tonträgermarkt. Konzertveranstalter kennnen das Gefühl bereits, wenn nichts mehr so recht läuft und die Leute lieber zu Hause bleiben, weil die Rolling Stones wieder mal für ein paar Jahre abgetaucht sind und Pink Floyd noch ihre Pinke-Pinke von der letzten Tournee zählen. Die Plattenfirmen müssen sich an den Gedanken erst noch gewöhnen, daß es sich ausgeboomt hat.

Hiobs-Statistiken künden von einem zweistelligen Minus across the board. Allein der Country-Sektor, bislang vom Wachstum verwöhnt, brach um 17 Prozent ein. Das ist weiß Garth kein Pappenstiel. Kein Wunder, daß man in Nashville das Star Spangled Banner aufHalbmast hängt. Bezeichnend für den allgemeinen Realitätsverlust im „Biz“ ist indes das große Köpfekratzen bei den Machern in der Music Row. Dort fragt man sich doch allen Ernstes, warum die sonst so treue Kundschaft den Plastikschrott nicht mehr will, den man zuverlässig Woche um Woche in die Läden karrt. Man dürfe jetzt nicht am falschen Ende sparen, erklärte mir treuherzig der Manager eines der namhaftesten Studios in der Music City USA, man müsse ordentlich in die Marktforschung investieren. Da bleibt einem schon die Spucke weg und die Antwort im Halse stecken.

Nur drei Voraussetzungen mußte all die Jahre mitbringen, wer in Nashville unter Vertrag genommen werden wollte: das richtige Alter (25), einen Kopf (für den Hut) und eine passable Figur (für das Video). Die Musik wurde angepaßt, maßgeschneidert von der Session-Mafia, je nachdem, ob der Newcomer zum Clint-Black-Clone erkoren wurde oder für die Alan-Jackson-Collection bestimmt war. Nein, sagt der Mann hinter dem Mahagoni-Schreibtisch, auf dieses Mono-Image aus Pudelfrisur und gepflegtem Schnäuzer, hautengen Jeans und steifem Stetson lasse sich diese Krise nun wahrhaftig nicht schieben. Immerhin sei es die repräsentative Quersumme der sündhaft teuren Marktanalysen.

Ratlosigkeit und Panikstimmung allenthalben. Wer keine Reserven hat, geht unter. Kleinere Firmen in Existenznot hyperventilieren und hauen noch mehr Produkte auf den übersättigten Markt, nach der Devise: Viel Kleinvieh macht mehr Mist. Womit sie fraglos recht haben, in more ways than orte. Die meisten Majors reagieren auf die Verluste umgekehrt, eben nach der Art des Großkapitals, durch Kostensenkung. Die Künstlerställe werden ausgemistet, wer sein Rendite-Versprechen nicht schnell einlöst, wird fallengelassen. Die Geduldspanne wird kürzer, an so mancher Karriere brennt bereits die Lunte. Und daß es sich dabei um die Guy Clarks und Nanci Griffiths dieser Welt handelt und nicht um die Michael Boltons und Celine Dions, versteht sich von selbst.

Wenn man nur wüßte, warum den Konsumenten die Lust am Plattenkauf vergangen ist. „What’s Behind The Drastic Slump In Record Sales?“ hieß die heftigst diskutierte Veranstaltung beim Fachkongreß „SxSW“ in Texas. Ein leidenschaftliches Rätselraten hob an im Austin Convention Centre, Gesprächsstoff für Tage. Jeder durfte mitspekulieren. Schuld habe MTV, sagten die einen, weil nur noch uniformer Scheiß aus der Glotze komme. Andere erklärten das Radio zum Verursacher allen Übels, ersatzweise den Handel, insbesondere den US-Discount-Riesen Wal-Mart, der rund 15 Prozent des Tonträger-Umsatzes an sich gerissen hat, mit Dumping-Preisen und stromlinigem Sortiment. Bizarrste Verschwörungstheorien gingen von Mund zu Mund. Der CIA sei schließlich jede Schlechtigkeit zuzutrauen. Nur der Komet Hale-Bopp wurde, man staunt, nicht bemüht.

Die „Baby Boomers“ schon. Durch den zwischenzeitlichen, künstlichen CD-Boom geblendet, hatte man gar nicht bemerkt, daß die älteren Kunden den Konsumtempeln in immer größerer Zahl fernblieben. Die in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg Geborenen fühlten sich von der Musik-Industrie einmal zu oft in den Arsch getreten und verloren das Interessse an diesem Abzockerkarussell. Die ersten waren schon abgesprungen, als man sie mit Erpressung und fiesen Tricks zum Erwerb neuer, digitaler Hardware zwingen wollte. Anderen fiel auf, daß zwischen Herstellungskosten und Endverkaufspreis eine immer gewaltigere Lücke klaffte. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Als „Sleeper“ klassifiziert, führte diese renitente Spezies ein belächeltes Dasein. Wer brauchte schon die alten Zausel, wo Mini-Disc und DCC noch eine rosarote Zukunft verhießen. Genau.

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