Wolfgang Doebeling über Umwälzungen der Radiolandschaft In Berlin und Brandenburg und ihren Modellcharakter

Wildfremde Menschen fielen einander um den Hals, und kaum einer schämte sich seiner Freudentränen, als dieser Tage SFB und ORB in ihre Kommuniques zur 26. Hörfunk-Struktur-Reform in ebensovielen Monaten allzu lang entbehrte Vokabeln einstreuten wie „Qualität“, ja „Kultur“. Auf dem Ku’damm hißten Hippies eine Flagge mit der Aufschrift „Radio rocks!“, ein Autokorso blockierte den Adenauerplatz, alles Golfs, alle Edition „Rolling Stones„. Das Hupkonzert im Rhythmus von „Start Me Up“ war ohrenbetäubend und noch in Kreuzberg zu hören, wo ganze WGs spontan ihre Empfänger bei der GEZ anmeldeten Einziger Wermutstropfen in dieser Euphorie war der Kollaps eines ältlichen, fast 50jähr jgen Mannes in Jeans und Elvis-T-Shirt, der seither komatös auf der Intensiven liegt, nachdem er immer wieder geschluchzt hatte: „Daß ich das nochmal erleben darf.“

Schon wahr: Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Nach Jahren des beharrlichen Niveau-Abbaus und konsekutiver Anpassungsmanöver an den privaten Rundfunk, nach all der Mimikry und zahllosen Demütigungen des ohnmächtig zürnenden Musikliebhabers muß die bloße Ankündigung eines Umschwungs wirken wie ein Schock. Doch Obacht. Noch ist es nur ein Licht am Ende des Tunnels, noch weiß niemand so recht, ob in absehbarer Zeit wieder gesurft werden kann auf Ultrakurzwelle, ob akustische Abenteuer vor uns liegen oder uns nur Sand in die Ohren gestreut wird. Skepsis scheint mehr als angebracht. Zu fahrlässig gingen die quasi-verbeamteten Programmverweser mit ihrem Kulturauftrag um, zu skrupellos wurde Musik preisgegeben und zum Schmiermittel zwischen belanglosen Wortbeiträgen degradiert.

Nehmen wir SFB 2, einst Flaggschiff des Senders Freies Berlin, prestigeträchtig und obendrein Quotenbringer. Diese früher also äußerst beliebte Welle wurde ohne Not im Laufe weniger Jahre zu Tode formatiert und schließlich in einem ruinösen Verdrängungswettberwerb mit privaten Debilfunkern aufgerieben. Deren naßforschem Gesabber war der SFB-Apparat ebensowenig gewachsen wie den Geldgeschenken und Adoptionsangeboten blaublütiger Lebemänner, mit denen die kommerziellen Betreiber einander die Hörer abjagten. Pure Idiotie. Auf weniger als fünf Prozent Einschaltquote heruntergewitschaftet, besann man sich nun jedoch nicht etwa auf traditionell öffentlich-rechtliehe Stärken, auf das Mehr an Kompetenz und eine gewisse Glaubwürdigkeit. No Sir, man nahm die Herausforderung des Banalen an, holte sich vom niedersächsischen radio ffn einen Mann fürs Grobe, nivellierte die Musik auf „die größten Hits der 70er, 80er, 90er“. ersetzte die letzten Musikmoderatoren durch vegetativ plaudernde Gute-Laune-Automaten und diente gedrechselten Flachsinn als „Comedy“ an, ohne zu registrieren, daß nur einer darüber lachte: der Mann fürs Grobe. Zwei Jahre lang huldigte man so ungestört dem Fetisch Durchhörbarkeit, aus SFB 2 war längst B2 und dann BZwei geworden, jetzt ist die Welle tot. Ganze 1,7 Prozent mochten zuletzt noch einschalten. Ein Debakel.

Traurig, aber wahr ist: Es mußte erst so erbärmlich werden, bevor es einen Ruck gab. Aus der Konkursmasse von BZwei und dem ebenfalls dem Untergang geweihten Radio Brandenburg vom ORB soll nun im Sommer, rechtzeitig zur Internationalen Funkausstellung, das neue, mit viel Vorschußlorbeer bedachte „High Quality Radio“ (prima Name:“Hi-Q“) wie ein Phoenix aus der Asche steigen. Eine fürwahr seltsame Gleichung: Berlin superseicht plus Biedermeier Ost ergibt… High Quality? Höhere Mathematik, so plausibel wie praktikabel. Kündigungen, versichern jedenfalls die Herren Intendanten, werde es nicht geben. Schön für die Kollegen, aber ein gehöriger Dämpfer für hochfliegende Erwartungen. Statt der überfälligen Zäsur wieder nur Zaudern, anstelle von Entwürfen und Spleens lediglich das Management des Machbaren. Es ist geistig eng geworden in dieser Republik. Alan Bangs ist seinerzeit beim WDR über Chopin gestolpert. Das augenscheinlich unausrottbare E für ein U, das Elend mit dem Unverstand. Der gibt auch bei der SFB/ORB-Reform den Ton an. Nicht genug damit, daß dem besagten „High Quality Radio'“ auferlegt wird, Tagesbegleitprogramm zu sein und für Reichweiten (also Quote) zu sorgen, ein Mühlstein, der böse nach unten zieht. Nein, es werden ihm nach „oben“ Grenzen gesetzt, indem gleichzeitig eine „Hochkulturwelle“ zu senden beginnt. Das darf doch nicht wahr sein? Oh doch. Der alte, spießige Feuilletonismus reckt da noch einmal sein Haupt, langsam, zu langsam in Verwesung übergehend. Hochkultur, das sei Klassik, Jazz und Chanson. Bloody hell Chanson! Zitieren wir AI Bundy: „Es ist falsch, Franzose zu sein.“

Ob Modell oder Menetekel, das wird davon abhängen, wie durchlässig die Membran sein wird zwischen „Hochkultur“ und „High Quality“. Abwarten und Tee trinken.

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