Wolfgans Doebeling beklagt den rapiden Verfall der Sitten im Pop-Gewerbe und fühlt mit einem Verwundeten namens Liam

Bei der BBC liefen die Telefone heiß. Tausende entrüsteter Hörer des Popkanals Radio 1 machten ihrem Unmut Luft über diesen unflätigen Flegel, der zur besten Sendezeit dermaßen obszön geflucht hatte, daß Kinder schreiend bei ihren Müttern Schutz suchten und gestandenen Männern die Schamesröte ins Gesicht stieg. Sechzehn Mal, soviel ist verbürgt, hat der Unhold das F-Wort in den Mund genommen, und dann hat er den Beatles Prügel angedroht und den Rolling Stones auch. „I will beat the fucking living daylight shit out of them“, versprach er den Herren Harrison. Richards, Jagger „and that other cunt that gives me shit“. Gemeint war Paul McCartney. „They’re jealous and senile. If they want to fight I’ll beat them up.“ Dann verließ Liam Gallagher das Studio.

Our kid war völlig von der Rolle, nicht zu beschwichtigen, nicht von Bruder Noel, und schon gar nicht von Radio 1-DJ Steve Lamacq. Das war kein Amoklauf wie andere. Hatte Liam nicht gelernt, seine Tiraden zu portionieren und seine Verachtung ruhig und beherrscht zum Ausdruck zu bringen. Und waren die Zielscheiben des Gallagher-Hasses sonst nicht immer ausgemachte Blindgänger oder Blur? Diesmal müssen die Idole dran glauben, das grenzt an Vatermord. Was war passiert?

Nicht viel, bei Licht betrachtet. Die Altvorderen hatten sich abschätzig geäußert über den großmäuligen Nachwuchs. McCartney gab zu Protokoll, die Musik von Oasis sei nicht eben originell. Harrison regte an, doch lieber Dylan zu hören als Oasis oder gar U2, was wiederum Bono und seine Mannen zu exorzistischen Riten bei diversen Gigs veranlaßte, Bono zur Menge: George Harrison findet nicht, daß ihr heute hier sein solltet – Der Rest ging im erbosten „Buuuh!“ der Fans unter. Da scheint es angeraten für den Ex-Beatle im Vorruhestand, die grüne Insel eine Weile zu meiden, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Er weiß ja: All things must pass.

Auch Richards äußerte sich wenig schmeichelhaft über Manchester’s finest. „Obnoxious“ seien Oasis, gehässig und aufsässig. Er, Keef, sei ja nicht eben berühmt für Leisetreterei, aber das Benehmen dieser Buben sei doch ein wenig ärgerlich. Sie müßten doch erst mal beweisen, daß sie Durchhaltevermögen besitzen. Dann mahnte er mehr Gelassenheit an, ein Wort, das Liam wohl erst im Dictionary suchen muß. Mick Jagger schließlich verneinte eine Frage, ob er eifersüchtig sei auf Liam und mit ihm tauschen wollte. Es müsse doch scheußlich sein, so Mick, wenn alles Talent beim Bruder liege. Ein wunder Punkt bei Liam, einer von etlichen.

Da also lag der Hund begraben. Keine Anerkennung von den Leitbildern, so was trifft bis ins Mark. Verschmähte Liebe. Daher der Tobsuchtsanfall der empfindsamen Seele. „We’ve just done a cover of ‚Street Fighting Man'“, verlautbarte Liam noch, bevor er aus dem Studio stürmte, „just to piss Keith Richards off“. Schon wahr: What can apoor boy do, ‚cept to sing in a rock’n’roll band…

Steve Lamacqs Sendung hatte fraglos Unterhaltungswert, ist jedoch ein Indiz für den steten Niedergang der Umgangsformen im dekadenten Reich des Pop. Weniger, weil Liam einmal mehr ausrastete. Auch nicht, weil Noel dortselbst Sir Paul und dessen neues Werk „Standing Stone“ schmähte („Sitting around with a bunch of old lesbians writing doesn’t sound classical to me“). Nein, das ist alles im grünen Bereich. Stutzig macht indes schon, daß die BBC derlei Ausfälle mittlerweile unter „Betriebsunfälle“ abhakt. Bill Grundy war seinerzeit für weitaus weniger gefeuert worden, als er die Sex Pistols dazu ermunterte, doch mal das F-Wort zu sagen. Gerade mal zwanzig Jahre ist das her.

Der Verfall der Sitten scheint unaufhaltsam. Sicher hat es immer Künstler gegeben mit großen Klappen. Mark E. Smith etwa oder lan Mc-Culloch, die so ziemlich jeden Kollegen verbal plattmachten. Doch was früher die Ausnahme war, ist heute die Regel. Kaum eine aufstrebende Band läßt es sich noch nehmen, gleich im ersten Interview Gräben auszuheben und zu dissen, was das Zeug hält Und die Veteranen sind keinen Deut besser, wie sich an der abermals eskalierten Dauerfehde zwischen Keith Richards und Elton John ablesen läßt, eine innige gegenseitige Antipathie, die noch aus den Tagen stammt, als Keef „diese Nervensäge“ bei einem Stones-Konzert von der Bühne jagte. Kein schöner Zug, wo Elton doch Geburtstag hatte und nur ein bißchen jammen wollte. Inzwischen bekriegen sich die beiden mit harten Bandagen. Einen „Schleimer“ nennt Richards den Bebrillten, der im Tränenkanal schwimme und sich an verblichenen Blondinen gesundstoße. Elton holt darauf prompt zum Gegenschlag aus und nennt den Verächter von Englands Rosenschmus einen „arthritischen Affen“, der sich an seiner Gitarre festklammern müsse, um nicht umzukippen.

Kein Wunder, daß die Jugend sich ihre Vorbilder im Sport sucht und findet, in untadeligen Athleten wie Loddar Maddäus etwa oder Schummel Schumacher.

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