Woodys Welt

Sein neuer Spielfilm "Ich sehe den Mann deiner Träume" läuft morgen in den deutschen Kinos an, heute wird der berühmteste Neurotiker der Welt 75 Jahre alt. Zum Geburtstag gratuliert Arne Willander mit einer kleinen Hommage.

Die kümmerlichen Witzeerzähler, Ventriloquisten und Puppenspieler, die er in „Broadway Danny Rose“ (1983) als umtriebiger Künstleragent vertritt, kennt Woody Allen aus seiner eigenen Vergangenheit: Er selbst hatte sich als junger Mann mit dem Vortragen von Kalauern und Zoten über Wasser gehalten, war in kleinen Varietétheatern aufgetreten und hatte fürs Radio humoristische Programme geschrieben. Schon damals bildete der jüdische Hintergrund seiner Familie, die in Brooklyn lebte, das Material für seine Schelmereien; Gott, Tod und Sex waren von Beginn an seine Themen (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge).

Als Entertainer war Allen schon Anfang der 60er-Jahre etabliert; das Drehbuch zu „What’s New, Pussy Cat?“ verkauft er nach England, wo Clive Donner 1965 den Film drehte: ein Beitrag zum Swinging London von einem amerikanischen Juden. Die von ihm bearbeitete alberne Bond-Persiflage „Casino Royale“ (1967) mit Peter Sellers und David Niven ebnete Allen den Weg zu seiner ersten Regie-Arbeit, „Take The Money And Run“ (1968): Woody spielte selbst mit und verließ sich auf die Slapstick-Szenen, die er aus dem Ärmel schütteln konnte. Auch „Bananas“ mit den Bettszenen neben Diane Keaton ist weitgehend Klamauk, eingebettet in eine Satire auf Despotismus und Militär in Bananenrepubliken. „Was sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ (1972) ist eine ebenso hochnotpeinliche wie komische Studie über die Formen und Abarten der Sexualität. Gene Wilder mietet sich mit einem Schaf ein Hotelzimmer und kleidet das geliebte Tier mit Reizwäsche ein, andere Episoden handeln von öffentlicher Kopulation und Fetischismus. Die Darstellung chemischer Vorgänge bei einem sexuellen Akt im Inneren des menschlichen Körpers (Woody als Spermatozoe) übernahm später Otto Waalkes für einen ähnlichen Sketch. „Der Schläfer“ (1973) untersucht die Liebe im Zeichen des Futurismus, „Die letzte Nacht des Boris Gruschenko“ (1975) ist Allens Version der russischen Epik.

Mit „Annie Hall“ wurde der Komiker dann zu einem Markenzeichen: dem „Stadtneurotiker“. Die Komödie spielt alle Topoi Allens durch: die gescheiterte Ehe, Eifersucht, erfolglose Psychoanalyse, Depression, Hass auf Intellektualismus (obwohl man selbst ein Intellektueller ist) und die Liebe zum Werk von Ingmar Bergman, das alles in endlosen Suaden zum kosmologischen Gebilde aufgeblasen. Diane Keaton ist das perfekte Gegenüber: eine gefühlige Irgendwie-Esoterikerin, die eben doch unwiderstehlich ist. Während der Regisseur und Autor zu Hause in New York schlief, gewann er in Hollywood zwei Oscars. Mit „Innenleben“ (1978) versuchte sich Allen dann erstmals an einem Bergmanschen Kammerspiel. „Manhattan“ (1979), seinen unbedingt schönsten Film, mochte er schon damals nicht – dabei ist seine Liebe zu der enigmatischen Mariel Hemingway so ansteckend und ergreifend wie die Liebeserklärung an seine Stadt. Zur „Rhapsody In Blue“ von George Gershwin explodiert in der Schwarzweiß-Fotografie von Gordon Willis das Feuerwerk über dieser großstädtischen Insel der Träume und Verzweiflungen. Woody, versöhnlich.

„Stardust Memories“ lotete dann die Schrecken des Ruhms und der Kunst aus; Allen bespiegelte sich in schlechter Laune selbst. Neben Charlotte Rampling sieht man immerhin in einer kurzen Sequenz die ganz junge Sharon Stone – und jede Menge Bilder von Bergman und Fellini. „Eine Sommernachts-Sexkomödie“, „Zelig“ „Broadway Danny Rose“, „Purple Rose Of Cairo“: Mit diesen wunderbaren, beschwingten Filmen – allesamt auch Filme über das Kino selbst – konnte Allen nichts falsch machen. Und machte es mit der Tschechow-Hommage „Hannah und ihre Schwestern“ 1986 noch besser. „Radio Days“ ist eine nostalgische Rückschau in die Zeit der Kindheit im Zweiten Weltkrieg. Bei dem sentimentalen Film „Alice“, dem Psycho-Kammerspiel „September“ und dem papierenen Drama „Eine andere Frau“ mit Gena Rowlands wendete sich die Kritik gegen Woody Allen: Seine Welt schien erschöpft zu sein.

Doch das doppelbödig-melancholische „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ (1990) und die furiose Dialogschlacht „Ehemänner und Ehefrauen“(1992) zeigten den Filmemacher wieder auf der Höhe seiner Kunst. Manche Anhänger schwören auch auf das etwas misogyne Potpourri „Deconstructing Harry“; in „Everyone Says I Love You“ betört Woody sogar Julia Roberts. Um die Jahrtausendwende geriet Allen mit dem kindischen „Schmalspurganoven“ und dem biederen „Jade Skorpion“ in die Krise; „Hollywood Ending“, ein übrigens sehr lustiger Film über das Filmemachen, kam gar nicht in die deutschen Kinos. „Anything Else“, in dem Allen nicht mitspielt, restaurierte sein Renommee.

Mit „Match Point“, dem Kriminalfilm (und der ersten Arbeit, die er in England drehte), fand Allen endlich wieder ein größeres Publikum. Längst muss er sich die Finanziers suchen, zahlt den berühmten Schauspielern nur die Tarif-Gage und bemüht sich für jeden Film um größtmögliche Promotion, was bedeutet, dass er alle Interviews selbst geben muss. Noch immer wohnt er in seinem Apartment in Manhattan. Nach der Liaison mit Diane Keaton lebte er mit Mia Farrow zusammen. 1992 gab es einen Skandal, als Nacktfotos von Adoptivkindern in Allens Schreibtischschublade gefunden wurden. Mia Farrow trennte sich von ihm; seitdem lebt er mit der (von Farrow und ihrem Ex-Mann André Previn) adoptierten Soon-Yi zusammen.

Bei aller Aufregung imitierte das Leben hier die Kunst. Wie man in dem Dokumentarfilm „Wild Man Blues“ (1997) über Allens Tournee mit seiner New-Orleans-Jazz-Band sehen kann, entspricht der Alltag genau dem in seinen Filmen: Er ist ängstlich. Er macht Witze. Er fürchtet das Wasser und dass er auf der Duschmatte ausrutschen könnte. Er ist neurotisch, morbid, hysterisch und schwer erträglich.

Und sehr, sehr komisch. Arne Willander

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