Yoko Ono

Vor dem „Dakota Building“ in Manhattan sind keine trauernden Lennon-Fans mehr zu sehen. An diesem sonnigen Vorfrühlingstag wirkt der mächtige Appartement-Komplex am Central Park fast schon friedvoll und fröhlich. Innen, im Studio One, dem Büro, das Yoko Ono zusammen mit der Wohnung eine Etage höher behalten hat, brummt es vor Geschäftigkeit. Telephone klingeln, Faxgeräte piepsen, und das kleine, verschworene Team wirkt fast gehetzt. Zwar lassen neue Kunstausstellungen, großangelegte Retrospektiven und die Arbeit an einem Off-Broadway-Musical Yoko Ono und ihren Helfern schon seit Jahren wenig Zeit für Verschnaufpausen, aber in der letzten Zeit ist das Pensum noch mal explodiert.

Dennoch sieht Ono unverändert aus, fast alterslos, und, „Rising“, ihr erstes Album seit ’85, ist das überzeugteste und überzeugendste seit den Tagen der Plastic Ono Band. Sie arbeitete daran mit IMA, der Gruppe ihres Sohnes Sean Ono Lennon. Das Bühnen-Debüt fand schon vor einiger Zeit an einer religiösen Stätte im japanischen Hiroshima statt; mittlerweile überlegen Ono und IMA, ob man auch auf Tournee gehen solle.

Von dem Sohn eines John Lennon erwartet man natürlich Großes – hatten Sie Zweifel, bevor Sie sich auf diese Zusammenarbeit einließen?

Ja, ich hab gezögert. Sean und ich verstehen uns sehr gut, und ich wollte nicht, daß da am Ende zwei Musiker über Musik streiten! Und ich wollte weder seinen Einstand ruinieren, noch den Eindruck erwecken, als benutzte ich ihn. Deshalb sagte ich zuerst: „Ich nehme lieber Studiomusiker.“ Aber er blieb hartnäckig, also jammte ich mit IMA und stellte fest, daß wir zusammenpaßten.

In der Vergangenheit haben Ihre Begleitmusiker häufig die Kanten geglättet, die an Ihrer Musik eigentlich das Schönste sind.

Die ersten Worte, die bei der Studio-Arbeit mit IMA aus mir herauskamen, waren: „I’m dying“, und einen Moment lang dachte ich: „Das ist ein bißchen zu heftig.“ Sean erriet meine Gedanken und sagte: „Hör mal, Mama, Du kannst jetzt Du selbst sein.“ Von da an war ich locker. Irgendwie hat mich die Arbeit mit IMA auch an die Plastic Ono Band erinnert: „Warum?“ -„Warum nicht!“ genau dieser Ansatz. Sie hörten zu, sie waren offen; nicht mal mit der Plastic Ono Band wäre „Rising“ so gut geworden.

Ihr improvisatorischer Gesang scheint kontrollierter, musikalischer geworden zu sein. Was hat sich sonst noch verändert seit den Aufnahmen der späten 60er Jahre?

Damals wollte ich alles auf die Spitze treiben. Ich war jung und frech. Jetzt will ich lieber aus einer entspannteren Haltung heraus in die Tiefen meiner Seele tauchen. John und ich glaubten immer, daß wir alles wüßten; wir waren oft sehr idealistisch und manchmal auch arrogant. Dann starb er, und ich mußte mir von Sean sagen lassen: „Du hast doch immer gesagt, es gibt nichts in der Welt, was Du nicht kannst. Aber Daddy können wir nicht zurückholen, oder?“ Er weinte, und ich fühlte mich elend. Vielleicht war es ja verkehrt, so idealistisch zu sein; ihm zu erzählen, wie schön die Welt sei. Sich selbst nach so etwas wieder zu akzeptieren, zu lieben – das ist schwer.

Der Song „Revelation“ handelt offenbar genau davon – mit den eigenen Mängeln leben zu lernen. Eine seltsame Zeile wie „Bless you for your greed“ hab ich noch von niemandem gehört…

Wir empfinden alle oft Schuld für ganz natürliche Gefühle, die wir haben. Wie wenn man nicht aussprechen dürfte, daß man auf die Toilette geht. Ich habe lauter Emotionen in den Song gepackt, die tabu sind, die wir offiziell unterdrücken sollen. Aber ich sage: Man muß sie erkennen und annehmen. Der Song ist radikal – trotz der lieblichen Melodie.

Sie haben verlauten lassen, das Album habe dazu gedient, „Wut und Angst zu verarbeiten“, nannten auch AIDS in diesem Zusammenhang, ebenso den Song „Kurushi“, in dem Sie sich – völlig verzweifelt – bei Ihrer Mutter ausweinen.

(Pause) Wie eine jede Mutter und Tochter kamen wir nicht leicht zusammen. Es gab Mißverständnisse, und Mutter wurde ein rotes Tuch für mich. Deswegen wollte ich zunächst niemandes Mutter sein – nicht einmal, nachdem ich meine Tochter Kyoko bekommen hatte. Vielleicht, weil ich sie dann verlor. Später, als John und ich nach einer Trennung wieder zusammenkamen, wollte ich dieses Kind (Sean) wirklich. Mutter zu sein war trotzdem nie leicht für mich. Na ja, und dann ruf ich nach einem halben Jahrhundert plötzlich meine Mutter an und will wieder Kontakt zu ihr haben. Wenn ich Musik mache, bin ich total offen und verletzlich, und dann kommen solche Sachen eben heraus.

Eine unlängst gesendete TV-Dokumentation über Sie handelte seltsamerweise fast nur von den Beatles. Fragen Sie sich nicht manchmal, wann Ihre eigene Kreativität endlich aus Johns Schatten heraustritt?

Ich hege keinen Groll. Außerdem war das ein wichtiger Teil meines Lebens. Obwohl mich John Cage und der Fluxus-Kreis beeinflußten, denke ich doch, daß ich das meiste John & Sean verdanke.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates