Zeitreise ohne Botschaft

Erinnerung als kuschelige Heimat: Die TV-Sendung Generation Pop schaut - dem Zeitgeist gemäß - lieber zurück als nach vorne

Man muss sich das Leben eines Geschichtsredakteurs in einem öffentlich-rechtlichen Sender vorstellen wie das dauerhafte Wühlen in einer Mottenkiste. Im Geiste sieht man dann eine Gestalt, wie sie tief vorübergebeugt den Kopf in einer riesigen Truhe versenkt und mit den Händen Fakten und Zeitzeugenaussagen nach hinten schaufelt Die ergeben dann ein Häufchen, aus dem irgendeine These destilliert werden muss, die dann wiederum als Wäscheleine dient, an der man das, was man der Mottenkiste entrissen hat, aufhängt, Sendung nennt und darauf hofft, dass es den ein oder anderen Überlebenden interessieren möge.

Guido Knopp hat das beim ZDF perfektioniert und alles veröffentlicht über Hitlers Helfer, Hitlers Husten und Hitlers Haare. Die Erfolge, die er mit der permanenten Rückschau feiern konnte, gingen einher mit imposanten Quoten, die RTL mit den kreuzbraven 70er- und 80er-Jahre-Shows einfuhr.

So etwas funktioniert besonders gut in konjunkturschwachen Zeiten, wenn der Blick in die Zukunft von Depression verhagelt bleibt, wenn Erinnerung eine kuschelige Heimat ist und das aktuell Erreichte aufwertet So etwas wirkt bis in die Werbung, wo man in der Rückblende sieht, wie früher der mit dem Bausparvertrag als uncool verlacht wurde, wie er heute aber besserwisserisch und entsetzlich nachtragend über die traurige Gestalt triumphiert, die einst so cool auf dem Mofa hofhielt, heute aber immer noch bei der Mutti wohnt und nun das bittere Echo seiner juvenilen Überheblichkeit abbekommt: Wie uncool!

In diesem Zusammenhang muss man die vierteilige WDR-Reihe „Generation Pop“ (ab 11. Juni, freitags 23 Uhr, WDR) sehen. Die zeichnet die 70er und 80er Jahre als private Popgeschichte, als Reigen aus leicht verklärten Erinnerungen, aus dem Heldentum, das ein jeder sich aus pubertärer Privatrevolution strickt Viele Menschen, die meisten mit schütterem Haar und Fältchen, blicken zurück und memorieren, wie die Mutter ins Kinderzimmer stürmte und den ultimativen Imperativ absonderte: „Nicht so laut, gelle.“ So laut waren Sweet, T. Rex und Slade, deren Gitarrist Dave Hill sich in der ersten „Krach & Koteletten“ betitelten Folge erinnert, dass es am Start der Band Clubs gab, die Slade partout nicht reinlassen wollten, weil sie eben zu laut waren.

So laut waren natürlich auch die Kids. „Wir haben ordentlich gerockt mit unseren Styroporgitarren“, schwärmt ein Mann – und man sieht im Bild, wie da ein paar Hänflinge so tun, als ob. Es war die Zeit des „Mr. Hit“, jenes Plattenspielers, dem man alles entlockte, was Telefunken ihm an Kraft mitgegeben hatte. Es war die Zeit, in der man noch nicht brannte, sondern mitschnitt Die „Bravo“ veröffentlichte dementsprechend einen „Pannenkurs für Recorderbesitzer“.

„Krach & Koteletten“ erzählt von Mofas und dem Lederanzug einer Suzi Quatro, schlägt den Bogen vom Jeans-Reißverschluss zum Zip-Cover von „Sticky Fingers“ und berichtet von Missverständnissen, weil eine Frau den Quatro-Titel „Can The Can“ als „Can The Man“ missverstand und sich wunderte, warum die britische Ledermieze wohl dafür plädierte, die holde Männlichkeit einzudosen. So etwas gab es, in einer Zeit, da Menschen Schiss vor Alice Cooper hatten.

Auf jeden Fall ist „Krach & Koteletten“ zum Start der Reihe eine flott geschnittene Zeitreise ohne großes Botschaftsanliegen. Die Zeit zeigen, wie sie war, einfach so, will Autor Lothar Schröder, und es gelingt ihm ohne den sonst üblichen Nostalgie-Anflug.

Später geht es noch um „Sanftes & Samtcord“ (18. Juni), um „Poesie & Protest“ (25. Juni) und „Disco & Dauerlutscher“ (2. Juli). „Die Zeit war orange und hormongesteuert“, bilanziert der Schriftsteller Frank Goosen, und es wird die Rede sein von einer Hochzeit, die abgesagt wurde, weil die Liebe zum Partner sich nicht so anfühlte wie das, was man empfand, wenn der aktuelle Lieblingshit lief. Pop war eben der Maßstab fürs persönliche Leben, eine Leitlinie für die emotionale Hausordnung. Pop war wichtig. Keine besonders neue Erkenntnis, aber im Fall dieses Vierteilers immerhin eine, der man sich gerne mal aussetzt.

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