Zum 80. Geburtstag von Richard Weize: „Ich kann nicht loslassen“

Richard Weize feiert am 4. August seinen 80. Geburtstag.

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„Ich kann nicht loslassen“, bekennt Richard Weize vor seinem 80. Geburtstag am 04. August. Wer hätte anderes erwartet von diesem Perfektionisten, der auch deshalb oft emotionale Distanz zu 1001er-Ehrung/Auszeichnung hielt, „weil ich wusste, dass es nicht so gut geworden ist, wie ich’s gern gehabt hätte.“ Es gibt ein schönes Foto, welches den Bear Family Records-Gründer 2009 bei der Entgegennahme des „Echo“ für „herausragende Beiträge zur Musik“ zeigt. Weize wirkt da fast erschrocken, als hätte ihm jemand just ein schlecht gemachtes Lefty Frizzell-Boxset in die Hand gedrückt. „Immerhin waren da Leute aus der Industrie, die grob wussten, was ich mache“, kommentiert er rückblickend. Wichtiger waren schon die Würdigungen aus den USA. Etliche Grammy-Nominierungen oder der W.C. Handy-Award, den es schon 1990 für „Howlin Wolf: Memphis Days“ gab.

Richard Weize: Ein Deutscher auf Mission

Der Sohn einer Buchbinder-Familie kann die Geschichte seiner Sippe in Bad Gandersheim bis ins Jahr 1492 zurückverfolgen. Doch anders als damals Christopher Columbus wollte Richard Weize die neue Welt später nicht gleich unterwerfen, sondern nur in diversen Archiven nach alten, unveröffentlichten Aufnahmen kramen für etwa eine schöne Waylon Jennings-Box. Über drei Dekaden war er gut drei Monate pro Jahr in den USA, auch um die Aufnahmen selbst noch überwachen zu können. „Wenn die ersten Bänder Scheiße waren, hab ich sie halt nochmal bestellt, in der Hoffnung, bessere zu bekommen“, sagt der Träger des Bundesverdienstkreuzes. Und wie fanden die Leute vor Ort diesen Deutschen auf seiner Mission? „Es gab Leute auf meiner Linie, weil sie etwas Ähnliches gern gemacht hätten, aber nicht konnten. Und es gab die, die mich gehasst haben, weil ich besser war als sie. Und meine Boxen deshalb nicht zum Grammy angemeldet haben, weil sie sich die Krone dafür nicht selbst aufsetzen konnten.“

Ein Geben und Nehmen

 

So wie sich Weize für Bear Family einst z. B. von Arhoolie Records inspirieren ließ, so stand er später selbst Pate für Reissue-Neugründungen. „Der Typ von Light In The Attic meinte: Du, ohne Dich hätten wir nie angefangen.“ Es sei „immer ein Geben und Nehmen“. Ich war nicht immer gut, aber einfach besser. Diese Perversion, die Sachen vernünftig zu machen, hatten die anderen nicht.“ Im 50. Labeljahr läuft sein Baby Bear Family Records längst ohne den fünffachen Vater. Was dem Eingangsstatement nicht widerspricht, denn Weize hat mit „and more bears“ und dem „Richard Weize Archives Label“ samt YouTube-Kanal neue Spielwiesen auch fürs Internet etabliert, die dort auf, nun, überschaubares Interesse stoßen? „Überschaubar ist geprahlt“, entgegnet Weize und verweist auf ein Werk über die Anfänge des deutschen Rundfunks. „4 CD’s, 70 Seiten Buch. Tolle Bilder, geile Aufnahmen. Aber wen interessiert das noch?“ Wenn er heute in Nashville über den Broadway gehen würde, „mit einem Bild von Hank Snow und ich würde fragen, wer das ist, da wüssten die Meisten, die da jetzt rumlaufen, garnicht worum es geht.“

Obsession? Bestimmt.

„Ich hab ja ne Box gemacht mit 192 Versionen von „Lilli Marleen“, ruft Weize in Erinnerung. Wie könnte man die vergessen!? Oder seine 6 CDs – Fahndung nach den „Memphis Belles“ (Boxtitel), den Frauen im Windschatten von Elvis, die im Sun-Studio oft nur Demos einsangen. „Mich hat Geld nie interessiert“, sagt Weize, „aber ich hab auch Glück gehabt. Weil ich machen konnte, was ich wollte. Das Meiste hat sich gut verkauft und so das gedeckt, was sich nicht gut verkauft hat.“ So eigensinnig Weize sein Werk verfolgte, vergaß er doch die Zu- und Beiträger nicht, die dieses erst ermöglichten. Wie diesen Techniker in London, der aus einem angebrochenen Margot Hielscher-Acetat irgendwie doch noch ein Master mit dem kompletten Lied gemacht hat. „Da hat der ewig dran rumgebastelt. Aber solche Leute braucht man und muss man auch würdigen. Weil sie was Vernünftiges abliefern wollen für ihre 300 Euro und nicht nen Scheiß.“

„Ich war einfach auch an Historie interessiert“

Auf externe Expertise etwa des Jazz-Historikers Rainer Lotz war Weize zumal angewiesen, als er seinen Bären-Park jenseits von Country, Blues, Rock’n Roll immer weiter öffnete. Für eine Box über Vietnam oder den Spanischen Bürgerkrieg, für „Black Europe: The Sounds And Images Of Black People pre 1927“ oder Calypso aus Trinidad („West Indian Rhythm“). ,.Ich war einfach auch an Historie interessiert“, sagt Weize, nicht zuletzt an der des eigenen Landes. „Vorbei – Beyond Recall“, eine Sammlung mit jüdischer Musik aus Nazi-Deutschland, hat im Angesicht eines wiedererweckten Antisemitismus eine traurige Aktualität bekommen…“Da ist mir ganz schlecht geworden beim Recherchieren in Berlin, als ich dieses Spiel entdeckte, für das sie „Mensch ärgere Dich nicht“ umgedeutet hatten in „Menschen raus“. Wenn man sich dann die Entwicklung heute anschaut, da darf ich gar nicht erst drüber nachdenken.“

Muss Richard Weize Ende August auch erstmal nicht, wenn nach der Hauptferienzeit noch ein bisschen größer gefeiert wird. So ein bisschen loslassen zwischendurch kann dem Jubilar ja doch nicht schaden.