Bruce Springsteen

High Hopes

Sony Music

Jenseits der Wohlfühlzone: Springsteen variiert ältere Songs und überrascht mit neuen Tönen

Als man noch in jedem Jahr ein Album aufnehmen konnte, galt Bruce Springsteen als langsamer Arbeiter, als Perfektionist, als Kontroll-Freak. Nun, da die Schatten länger werden, wartet er nicht einmal die Tournee ab, um neue Songs zu schreiben und alte zu überarbeiten. So entstand die seltsame Tracklist dieses Albums: In Australien schlug Tom Morello, der Steve Van Zandt vertrat, den Song „High Hopes“ vor, der zu den Stücken von „Wrecking Ball“ passt und zu denen der „Seeger Sessions“. Man kann sagen: Es wurde ein Folk-Stück mit elementarem Rumpeln und der elektrischen Gitarre als Gewehr. Springsteen schreibt: „We were proceeding to burn the house down with it.“ 

So entwickelte sich aus einigen Stücken, die er überarbeiten wollte, sein radikalstes Album seit dem wenig geliebten „Devils & Dust“ von 2004. Vom typischen Klangbild der E Street Band ist kaum etwas geblieben, obwohl Clarence Clemons und Danny Federici an einigen Aufnahmen noch beteiligt waren. Der drückende, komprimierte Sound von Brendan O’Brien wich einem freien Spiel, in dem Tom Morellos Gitarre das entscheidende Instrument ist; der Keyboarder Ron Aniello gibt den Arrangements auch als Co-Produzent eine andere Prägung. Man kennt „American Skin (41 Shots)“, doch jetzt besticht der für Springsteen typische Hymnus mit den biblischen Bildern von Taufe und Blut und dem höhnischen „Is it a wallet? Is it a knife?“ mit frischer Aggression. „Dream Baby Dream“ von Suicide, das unvergessliche Schlusslied so vieler Solo-Konzerte 2005, verliert leider ohne das unfassbar lange Fade-out. „The Ghost Of Tom Joad“, bekannt in der Folk-Fassung von 1995, wird hier zum Fanal mit lärmender Coda.

Andere Songs verblüffen: „Down In The Hole“ überzeugt als Ballade mit Orgel und Banjo und dem Rhythmus von „I’m On Fire“, die in einen Irish-Folk-Modus wechselt, „Harry’s Place“ als sarkastisches Gauner-Stück. „Heaven’s Wall“ erinnert an „World’s Apart“ und gipfelt in dem Refrain „Raise your hands, raise your hands, raise your hands“, in den ein Chor, Morellos Gitarre und Bongos einfallen. Wirkt irre, klingt aber unwiderstehlich. „Frankie Fell In Love“: ein ironischer, ausgelassener Spaß, wie er auf „The River“ denkbar gewesen wäre. „Just Like Fire Would“ scheint ebenfalls aus dieser über­mütigen Phase zu stammen – geschrieben wurde das Stück von Chris Bailey, der ihn mit der australischen Band The Saints spielte. „This Is Your Sword“ ist ein Erweckungslied samt Dudelsackmelodie, während „Hunter Of Invisible Game“ munter vor einer filmmusikartigen Melodie gesungen wird. „The Wall“ – das Monument für die im Vietnam-Krieg getöteten Soldaten in Washington, D. C. – singt Springsteen als zartes Requiem für Walter Cichon, einen Rocker von der Jersey-Küste, der 1968 starb und über den Springsteen schreibt:

„I still miss him.“

Das drastische Alterswerk wartet gleich um die Ecke.