Robert De Niro zum Siebzigsten: Der König ohne Reich

Robert De Niro spielt heute meistens Nebenrollen in zweifelhaften Filmen, doch seine großen Gestalten bevölkern unsere Erinnerung. Zum 70. Geburtstag des Schauspiel-Genies

Schon 1999 schrieb der britische Autor Giles Smith, zu den verblassten Gewissheiten gehöre die Garantie, dass man jeden Film mit Robert De Niro sehen müsse. Da hatte der Star „Backdraft“ hinter sich, „Mistress“, seine erste Regie-Arbeit „In den Straßen der Bronx“, „Sein Name ist Mad Dog“, „Der Fan“ und „Sleepers“ – allesamt weit unter Niveau, manche Rollen nur noch Gastauftritte. Andererseits fielen auch „Casino“ und „Heat“ in diese Zeit, die seinen Nimbus restaurierten. Und dann, 1997, kamen drei knappe Charakter-Karikaturen in Nebenrollen: „Cop Land“, der unermüdliche Polizeiermittler neben Harvey Keitel, „Wag The Dog“, der zynische Spin Doctor mit Pepita-Hütchen, und „Jackie Brown“, der dumpfe Ex-Knacki, der spektakulär bei Samuel L. Jacksons Coup versagt. Robert De Niro war an den Rand gerückt, aber dort war er noch immer eine Macht.

Dann spielte er in „Reine Nervensache“ von Harold Ramis einen Mafia-Boss, der unter Ängsten und Impotenz leidet und einen Psychotherapeuten aufsucht. Der Mann, der Vito Corleone war, macht sich neben Billy Crystal zum Hanswurst, die Witze sind allenfalls mäßig, und die Absurdität der Konstellation trägt nicht über die Tatsache hinweg, dass De Niro gar nicht komisch ist. In „Men Of Honor“spielt er einen Tauchlehrer, in „The Score“ einen Einbrecher. Dazwischen erschloss sich De Niro sozusagen eine neue Generation von Kinogängern, indem er in „Meet The Parents“ den etwas seltsamen Schwiegervater gab.  Kein Film mit dem Schauspieler war bis dahin erfolgreicher als dieser Klamauk für Halbwüchsige, seine Gage stieg auf 18 Millionen Dollar. Hernach trat De Niro fast nur noch stoisch in albernen Komödien und dümmlichen Action-Filmen auf.

Man kann natürlich behaupten, dass er das Geld für seine Produktionsfirma Tribeca benötigt – aber so teure und langweilige Filme wie „Der gute Hirte“ (2006) rechtfertigen nicht den seriellen Bildermüll. In den seltenen Interviews überrascht De Niro mit der treuherzigen Auskunft, er müsse seine Familie ernähren – aber er gibt auch zu, dass er heute weniger Vorbereitung in seine Rollen investiert als ehedem. Maliziös könnte man fragen: „Worauf soll er sich auch vorbereiten?“. Polizisten, Mafiosi und Priestern kann auch De Niro nichts mehr abgewinnen.

Dass der am 17. August 1943 in Little Italy, New York City, geborene Robert De Niro das Geld zu schätzen weiß, liegt wohl auch an seiner Kindheit in Armut. Die geschiedenen Eltern schlugen sich als Künstler durch. Vater Robert Sr. war Maler und unterstützte die Schauspiel-Ambitionen des Sohnes, der schon mit zehn Jahren seine Bestimmung entdeckt hatte. Nach der Ausbildung bei Stella Adler spielt er in den 60er-Jahren vor allem Theater und kleine Rollen in B-Filmen (immerhin in den ersten beiden Werken von Brian De Palma, der ihn später nur noch in „The Untouchables“ besetzte), bevor ihn Shelley Winters entdeckte und protegierte. Eine Weile gehörte De Niro zum Ensemble von Roger Corman („Bloody Mama“) und sprach vergeblich für „Der Pate“ vor, wahrscheinlich für die Rolle des Michael Corleone, die Francis Ford Coppola unbedingt mit Al Pacino besetzen wollte.

1973 traf De Niro einen jungen Mann wieder, den er aus den Kindertagen in Little Italy flüchtig kannte: Martin Scorsese gab ihm die zweite Hauptrolle in „Mean Streets“. Obwohl die Großkritikerin Pauline Kael fragte, weshalb man einen Film sehen solle, in dem immerzu gebrüllt wird und bei dem man kaum etwas verstehen kann, wurde das Werk ein Triumph und ein Klassiker. De Niros spilleriger Johnny Boy vibriert vor Nervosität und Brutalität und bekommt kaum einen Satz heraus.

Für Vito Corleone im „Paten II“ brauchte er dann gerade die Sprache und musste so besonnen wie berechnend agieren; er hatte sich die Manierismen von Marlon Brando abgeschaut und auf den jungen Corleone übertragen, der zum ersten Mal ein Angebot macht, das man nicht ablehnen kann. Zu Unrecht erhielt De Niro den Oscar nur für eine Nebenrolle, weil er lediglich in dem retrospektiven Strang von „Der Pate II“ auftritt – selbstverständlich ist es eine Hauptrolle. Bei Bernardo Bertoluccis „1900“ fremdelte er dann mit dem Regisseur wie mit dem Ko-Darsteller Gérard Depardieu, und Elia Kazans „Der letzte Tycoon“ wurde ein bis heute rätselhaftes Desaster. De Niro konnte wenigstens mit Robert Mitchum spielen, der neben Brando und Montgomery Clift eines seiner erklärten Vorbilder ist. In der Obsession des Film-Moguls Monroe Stahr liegt schon viel von der Verfallenheit Jake La Mottas, der in „Wie ein wilder Stier“ an seiner Eifersucht zugrunde geht.

„Taxi Driver“ machte den 33-Jährigen dann zum Inbegriff des Method actor. Das dreckige, heiße New York, die nächtlichen Straßen, die Einsamkeit der Wohnungen, der sinnlose Wahlkampf und der brutale Nihilismus der Pornokinos brachten Travis Bickle hervor, einen einfältigen Vietnam-Veteranen, in dem Cybill Shepard eine romantische Gestalt sieht. Aber Romantik ist es nicht, die Paul Schrader in seinem Drehbuch zeichnet – es ist die Vorhölle eines Molochs, in dem sich die sozialen Verbindungen ebenso aufgelöst haben wie die Segnungen der öffentlichen Hand. Bickle ist Gottes einsamster Mann – aber auch der einzige, dem eine Erleuchtung zuteil wird und der aus Liebe tötet. Stahr, Bickle, La Motta: Sie alle idealisieren eine Frau und scheitern an dem Bild, das sie sich von ihr gemacht haben.

Auch De Niros Vietnamkämpfer in „The Deer Hunter“ (1978) ist eine zutiefst moralische Figur: Er tötet in der existenziellen, naturgegebenen Auseinandersetzung, kühl bis ans Herz. Von den Männern, die nach Vietnam gingen, kommt er als Einziger unversehrt zurück, doch nicht unverändert. In der Unfähigkeit, mit einer Frau zusammen zu sein, der Ruhelosigkeit und der schweigsamen Melancholie des Davongekommenen liegt die Grausamkeit und Zerstörung des fernen Krieges.

Die ersten Bilder von „Wie ein wilder Stier“ sind ein Schock. Sie zeigen Jake La Motta am Ende seiner Karriere, einen vulgären, schwadronierenden Nachtclubbesitzer. De Niro hatte 30 Kilo für diese Rolle zugenommen; umso drahtiger und viriler ist er als junger Boxer. „Raging Bull“ ist, wie Peter Biskind schreibt, der letzte Film der 70er-Jahre und der erste der 80er-Jahre; er war kein Kassenknüller, aber er veränderte unseren Blick für immer. Wie Wim Wenders und Woody Allen verwendete Scorsese das stilisierte Schwarzweiß, weil es um die verlorene Zeit geht, die Gespenster der Vergangenheit. Und Robert De Niro stürzt sich in La Motta, prügelt, schreit, bricht zusammen.  

In „King Of Comedy“ (1983) brillierte De Niro als Rupert Pumpkin, ein lächerlicher Mann als Stalker, der den gar nicht komischen Jerry Lewis verfolgt und entführt. Der Spaßmacher ist ein Zyniker, sein Bewunderer ein reiner Tor, und am Ende hat keiner mehr was zu lachen. Nach Sergio Leones nicht geglücktem Epos „Es war einmal in Amerika“ (1984) drehte De Niro nur sparsam Filme. Auftritte in „Angel Heart“ und „The Untouchables“ (1987) erweckten den Eindruck, er wolle künftig als Schauspielkönig der Kabinettstückchen die langen Strecken meiden. In „Zeit des Erwachens“ und „Stanley und Iris“ durfte er herzensgut sein, in „Good Fellas“ blieb De Niro nur eine Nebenrolle als wandelnde Legende – was seinem wirklichen Leben allzu gut entsprach. In Scorseses „Kap der Angst“ (1991) übertreibt er seinen Rächer Max Cady arg ins Allegorische.

Zwei letzte große Darstellungen bleiben in Erinnerung: In „Casino“ fliegt De Niro bereits durchs Universum, bevor der Film begonnen hat, und zankt sich ebenbürtig mit Sharon Stone. Und in „Heat“ trifft er schließlich auf Al Pacino, den anderen Giganten des New Hollywood der 70er-Jahre. Und was für Frisuren!

Martin Scorsese hat sich in den letzten Jahren Leonardo Di Caprio zugewandt, nachdem De Niro „Gangs Of New York“ aufgegeben hatte. Den Jesus in Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“ (1987) spielte schließlich Willem Dafoe. Aber De Niro dreht mehr Filme denn je und wurde für „Silver Linings“ endlich wieder für den Oscar nominiert – für die beste Nebenrolle. Heute feiert der große Menschendarsteller Robert De Niro seinen 70. Geburtstag.

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