Kriegsalbtraum „1917“: Interview mit Regisseur Sam Mendes und den Hauptdarstellern

Mit der Entscheidung, die Schützengräben-Gefechte des Ersten Weltkriegs so zu drehen, als wäre alles in nur einer Einstellung inszeniert, findet „1917“ zu einer atemberaubenden neuen Form für das Genre.

Ein Frühlingstag irgendwo in Flandern. Alles könnte so einfach und schön sein. Aber es ist das Jahr 1917. Der Erste Weltkrieg tobt. Europa ist ein Pulverfass. Zwei britische Soldaten ruhen sich unter einem Baum aus. Doch mit der Ruhe ist es schnell vorbei, als einer der beiden den Befehl erhält, umgehend mit nur einem weiteren Legionär zu einer geheimen Mission aufzubrechen. Eine Gruppe von weit mehr als 1.000 Wehrmännern, die gerade eine Mission vorbereiten, steht kurz davor, in eine gefährliche Falle der Deutschen zu geraten.

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Beide werden zusammen losziehen – den vermeintlich sicheren Schützengraben verlassen, um tief in das feindliche Niemandsland vorzudringen. Der Schrecken vergrößert sich, weil der Bruder von einem der beiden in jenem Heer dient, das möglicherweise dem Tod geweiht ist, wenn beide ihren Auftrag nicht erfüllen können. Ihnen begegnet schon auf den ersten Metern der Tod in Form von unzähligen Leichen und Tierkadavern. Ratten sind überall, sie scheinen diese Welt zu beherrschen. Ein Stacheldraht wird schnell zur Bedrohung, und selbst an den Orten, wo der Gegner längst entschwunden scheint, lauern Fallen. Als ein deutscher Flieger vor ihren Augen abstürzt, müssen die von Todesangst getriebenen Soldaten eine Entscheidung treffen, die ihr Leben für immer verändern und diesem apokalyptischen Kriegsszenario eine neue Richtung geben wird.

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Regisseur Sam Mendes hat den Albtraum der Schützengräben-Gefechte des Ersten Weltkriegs verfilmt. Nach Peter Jacksons Doku „They Shall Not Grow Old“ ist es schon der zweite Film, der mit Aufsehen erregenden Bildern das Trauma einer Generation beschreibt, das sich tief in das Identitätsgewebe des Kontinents eingeschrieben hat. Mendes fand dafür mit seinem Kameramann Roger Deakins (bebilderte eine Vielzahl der Filme der Coen-Brüder, beeindruckte zuletzt mit seiner Arbeit für „Blade Runner 2049“) eine Methode, die das Grauen dieses Krieges für den Zuschauer zu einer nahezu körperlichen Erfahrung werden lässt: Beide zeigen den Krieg in Echtzeit, als Realfiktion, die so aussieht, als wäre sie in nur einer Einstellung gedreht.

Aufbruch zu einem neuen Kino?

Natürlich ist das anders als bei anderen Projekten ähnlicher Art, wie etwa „Russian Ark“ oder „Victoria“, kaum möglich bei einem Dreh dieser Größenordnung. Deswegen wurden die Schnitte technisch „unsichtbar“ gemacht oder Anschlüsse bereits im Drehbuch vorskizziert. Vision und Umsetzung sind so bezwingend, dass sie einen radikalen Bilderfluss ermöglichen, der so bisher noch in keinem Film des Genres zu sehen war.

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Viele Beobachter sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass sich „1917“ dabei auch an einer Videospielästhetik („Battlefield“, „Call Of Duty“) orientiert, die den Spieler direkt hineinwirft ins Kampfgeschehen. In der Tat bleibt die ruhelose Kamera in dem Film bis auf wenige Ausnahmen fast nahtlos am Zipfel der beiden Kämpfer, so dass die unerhörte Erzählung letztlich jeglicher politischer oder historischer Perspektive beraubt wird. Stattdessen zwingen Mendes und Deakins zum Blick auf die reine Gegenwart, auf die Furcht der Protagonisten, auf ihre Sicht auf eine Welt, die in Trümmern liegt und in der sie nur eines wollen: überleben.

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Möglicherweise deutet sich mit „1917“ aber auch ein Kino an, das die Virtuelle Realität der Zukunft mit den technischen Mitteln der Gegenwart inszeniert. So wird das Kameraauge zum Auge des Zuschauers, der wiederum Teil des Geschehens wird. Das würde den Film, der gerade zehnmal für den Oscar nominiert wurde und mit dem Golden Globe für das „Beste Drama“ bedacht wurde, allerdings zu einem Vorreiter. Auch wenn es sich dabei um ein Kino handeln würde, das irritierenderweise zurück in die Vergangenheit schwebt, als die Montage noch nicht einmal als Traumvorstellung existierte.

ROLLING STONE hat vor dem Kinostart mit den Hauptdarstellern Dean-Charles Chapman und George MacKay sowie Regisseur Sam Mendes über die komplizierten Dreharbeiten, Vorbilder für die Handlung, unerwartet viel Spaß am Set und die faszinierende Inszenierung gesprochen.

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