50 Jahre „Das aktuelle Sportstudio“: der weiche Sound

Die ZDF-Sendung verbindet zu später Stunde bedächtig Didaktik mit Wohlgefühl

Plötzlich war die Erinnerung wieder da: Michael Palme, der eloquente Fußballkritiker, war hinter seinem Pult hervorgekommen und musste sich von Franz Beckenbauer anhören, wie ungerecht seine Mäkeleien seien. Palme hatte damals, wohl Ende der 80er-Jahre, eine Mecker-Ecke im „Aktuellen Sportstudio“, einen Platz für Polemik, den Harry Valérien und Dieter Kürten niemals eingenommen hätten und Michael Steinbrecher und Günther Jauch schon gar nicht. Schreibtisch-Analysen schätzen Spieler, Trainer und Schiedsrichter nicht sehr, das ist schon in der Bezirksliga so, obwohl man auf die Berichterstattung der Lokalzeitung auch stolz ist. Franz Beckenbauer lässt seit Jahrzehnten in seinem Namen meinungsstarke Kommentare in „Bild“ schreiben. Max Merkel lederte dortselbst Saison für Saison die Mannschaften ab. Michael Palme aber gab sich keine Mühe zu verbergen, dass er ein Intellekueller ist, er kommentierte von oben herab. Und das ist die eine Sünde, die beim Reden über Fußball bestraft wird.

50 Jahre Bundesliga sind eine einzigartige Kulturgeschichte, ein Spiegel der Zeiten und Sitten. Und am „Aktuellen Sportstudio“ kann man am schönsten erkennen, wie sich der aufgeregte Ton der „Wochenschau“ im Kino zu einer bedächtigeren, leise humorvollen Kommentierung wandelte, wie die Moderatoren  an Bedeutung gewannen und das Interview den Sportlern ins Herz sehen wollte. Die „Sportschau“ vermeldet die Ergebnisse und zeigt die Tore – das „Sportstudio“, Stunden später am Samstagabend, leistet Analyse und Lagebestimmung. Die Verzögerung durch vorangegangene Sendungen gehörte unbedingt zum Zauber dieses didaktischen, aber undogmatischen Fernsehens, der leichte Jazz der Erkennungsmelodie, das Studiopublikum, die Torwand. So viel ist hier Ritual, dass Experimente fast unmöglich sind. Die Lässigkeit der Präsentation ist aus den 70er-Jahren übrig geblieben, als ja viele Sendungen Werkstatt-Charakter hatten.

Es schnitt mir am Samstag ins Herz, als die glücklose Doris Papperitz und der treue Karl Senne ihre kurzen Auftritte hatten. Dieter Kürten war noch sanfter, noch salbungsvoller als früher, als man immer darüber nachdachte, ob er einen niedrigen Ruhepuls hat, ein betulicher Mensch ist oder einfach sich selbst sehr gut findet. Seit dem Herzinfarkt und der Nahtoderfahrung wissen wir, dass Kürten von Gott geliebt wird. Niemand steht so souverän in den Kulissen, niemand hat die Haare so schön. Aber auch Michael Steinbrecher, der Softie aus den 80er-Jahren, hat diesen Wohlfühl-Habitus drauf und diesen einlullenden Sound. Und die Haare schön.

Wim Thoelke, Harry Valérien und Dieter Kürten waren die gelassenen Gastgeber der Nachkriegsgeneration, damals beinahe junge Männer, die mit je eigener Gestik und rührenden Manierismen die Freiheit des „Sportstudios“ füllten. Der Sound blieb mit Hanns Joachim Friedrichs, Johannes B. Kerner, Rudi Cerne, Norbert König und Wolf-Dieter Poschmann stets ähnlich. Nur Bernd Heller war ein Außenseiter, der angestrengt und profilneurotisch seinen Dienst versah – immerhin von 1980 bis 1993. Katrin Müller-Hohenstein hat Sound und Gestus adaptiert, sie ist die erste Frau, die von dem Männerbund wie vom Zuschauer akzeptiert wird. Carmen Thomas, Sissy de Mas, Christine Reinhardt waren früher oder später gescheitert, weil sie nicht in das Fluidum des „Aktuellen Sportstudios“ passten, diese Atmosphäre von verschachtelten Moderationen, empathischen Fragen und dem Air der Bedeutsamkeit, wenn Spieler oder Trainer des Moments eingeladen sind oder Unsterbliche wie Johnny Weissmüller oder Carl Lewis.

Das „Sportstudio“ sendete 1984, während der Olympischen Spiele in Los Angeles, von einem Schiff. Und an Bord sang Randy Newman „I Love L.A.“. In dieser stolzen Sendung ist also wahrhaft alles möglich.

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