Drangsal
„Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen“
Virgin/Universal (VÖ: 13.6.)
Weniger Electro-Pop, mehr eklektische Vielfalt: Max Gruber macht Drangsal zur Band und bleibt auf der Suche.
Alles ist jetzt möglich: „Im Zuge eines Zusammenbruchs hat Max Gruber den Soloartist Drangsal gekillt und die Band Drangsal gegründet“, verrät das Info zum Album. Und dieses Trio, zu dem auch Lukas Korn und Marvin Holley gehören, fliegt tatsächlich mit jedem Song ein Stückchen höher und weiter – auch wenn der Albumtitel mehr oder weniger das Gegenteil behauptet. Vielleicht war es ja zuletzt wirklich etwas viel für den Sänger und Songschreiber, der mit Stella Sommer auch als Die Mausis unterwegs ist und mit Ex-Hans-A-Plast-Frontfrau Annette Benjamin als Die Benjamins. Ach ja, „ein literarisches Debüt zwischen Fakt und Fiktion“ hat Gruber mit „Doch“ auch noch veröffentlicht.
Da ist der Wunsch verständlich, das eigene Ego ein Stück weit zurückzunehmen, zugunsten einer Arbeit im Team, die für Drangsal neue Wege und Möglichkeiten eröffnet. Synthesizer und Electro-Pop sind nun deutlich weniger präsent als noch beim Vorgänger „Exit Strategy“. Dafür gibt es eine von Nerven-Sänger Max Rieger produzierte eklektische Vielfalt: Orgel, Klavier, Clavinet und Cembalo kommen zum Einsatz, dazu Violinen und Celli, Querflöten und Saxofone. „Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen“ ist verschwenderisch großes Entertainment geworden, mit einer gehörigen Portion Drama. Max Gruber geht dabei ganz auf in der Rolle des an sich selbst leidenden Popstars. Lustvoll stürzt er sich in ein Wechselbad der Gefühle, mal auf Englisch, meistens auf Deutsch.
Mit einem charmanten Drall zum Neo-Schlager.
Drangsal sind emotional immer nah dran, ein Angebot anzudocken und einzutauchen. In „Inkomplett“ träumt der Sänger von Vervollkommnung durch einen anderen Menschen, die Stimme ist weich und offen. Fast ein wenig dadaistisch spielt der Text zunächst mit Bedürftigkeit – die der wortspielverliebte Refrain aber bald in eine Hymne auf die gegenseitige Ergänzung verwandelt: „Kannst du etwas für dich behalten? Dann lass es mich sein! Lass es mich sein! Du machst mich fertig, ich bin inkomplett.“ Eine musikalische Umarmung, die an Jochen Distelmeyer und „Tausend Tränen tief“ erinnert – mit einem charmanten Drall zum Neo-Schlager.
Dank einer Gesangsausbildung, die der 31-Jährige vor den Aufnahmen angetreten hat, ist Grubers Stimme inzwischen so vielseitig und wandelbar wie noch nie. „Die satanischen Fersen“, ein kraftstrotzender Rocker, aus dem auch der voluminöse Titel des Albums stammt, lässt einen an die Euphorie von Jens Friebes „Lawinenhund“ denken. In „Rosa“ spricht die Schauspielerin Rosa Lembeck wunderbar intensiv einen von Grubers poetischsten Texten: „Man sagt und man meint/ Worte fallen/ Fallen auf dich ein/ Worte sind Fallen/ Und werden dein Feind.“ Beim im schnellen New-Wave-Rhythmus gehaltenen „Mein Mo(nu)ment“ ist dann Sophia Blenda dabei.
Das Album mit dem Bandwurmtitel präsentiert einen Max Gruber, der ständig auf der Suche ist: nach sich selbst, nach innerem Frieden oder nach dem unauffindbaren ewigen Glück. Er hat gelernt, dass er dabei allein nicht weit kommt, dass es dafür Verbündete braucht – zum Beispiel eine Band namens Drangsal.
Diese Review erschien im Rolling Stone Magazin 6/25.