Oasis-Konzertbericht aus London: Und es ist DOCH wieder passiert, Liam
ROLLING STONE war im Londoner Wembley-Stadion, um sich von Liam Gallaghers Maracas segnen zu lassen.
„So etwas wird nie wieder passieren“ – diesen Satz wiederholte Liam Gallagher mehrfach, als ich ihn vor einigen Jahren in Berlin zum Interview für ROLLING STONE traf. Liam meinte damit weniger eine Oasis-Reunion per se, die damals in weiter Ferne lag und ziemlich unrealistisch schien, sondern das Gefühl von Shows wie jenen legendären Oasis-Konzerten in Knebworth im Jahr 1996. Klar, wir reden hier von einer Zeit vor Napster, Streaming und Mobiltelefonen – einer Zeit, in der sich Rockstars noch nicht selbst den Tee brühen mussten. Andere Zeiten. Aber „never gonna happen again“? Mitnichten.
Man möchte ihm heute fast ein Zitat von Bob Dylan (den mag Liam offenbar nur so mittel) entgegnen, der einst – in Anlehnung an „The Great Gatsby“ sang: „You can’t repeat the past? […] What do you mean you can’t, of course you can!“ Denn auch wenn an diesem Abend im Wembley-Stadion unzählige Smartphones leuchteten und Videos und Fotos machten und Cool Britannia längst zur nostalgisch verklärten Erinnerung geworden ist – was, wenn nicht genau das, war dieser Abend am 2. August 2025 im Wembley-Stadion? Mit 90.000 Menschen, die – genau wie an den Vorabenden, den anderen Wembley-Shows sowie den Konzerten in Cardiff und Manchester – massenweise pilgerten, um gemeinsam einen in allen Hinsichten perfekten Abend zu erleben.
Liam Gallagher in Topform
Zu Beginn hält Liam die Maracas hoch, macht eine sakrale Geste, als würde er das Publikum damit segnen. Später bekreuzigt er sich selbst mit Wasser aus seinem Becher. Ein Mann des Volkes, fookin‘ biblical – nur ohne päpstliche Mitra, dafür mit Bucket Hat und mit Parka statt Talar. Er ist der größte lebende Rockstar, wahrscheinlich der einzige, den wir noch haben.
Stimmlich? Topform.
Parka? Sitzt.
Tambourin? Klar.
Über die Setlist brauchen wir nicht viele Worte verlieren – sie ist makellos. Es hagelt Hymne um Hymne, Hit nach Hit. Die Band ist toll eingespielt, die Gitarrenwand (wie schön, dass Bonehead wieder dabei ist) ist amtlich. Noel übernimmt immer wieder die Lead-Parts. Er spielt jede Menge sehr attraktiver Gibson-Gitarren – neben der berühmten roten ES-335 mit Bigsby-Vibrato und einer Les Paul, die ich mal als Burst einordnen würde, hat er auch wieder diese tolle schwarze Les Paul dabei, die metallene P-90-Tonabnehmer hat und hoffentlich ein neues Signature-Modell wird. Joey Waronker am Schlagzeug macht seine Sache absolut solide.
Toll sind auch die Visuals auf den überdimensionalen Monitoren – nur bei „Whatever“ ist’s eher lau: Da schwebt Liams Kopf wie die Teletubby-Sonne über einer Wiese, die an den Windows-95-Hintergrund erinnert. Ansonsten aber: besser geht’s nicht.
Oasis in London: Perfektion
Es sind dieselben zwei Stunden, die Oasis seit Beginn ihrer Tour spielen. Von „Hello“ bis „Champagne Supernova“ Auch diesmal steht Fußballtrainer und Gallagher-Freund Pep Guardiola als Pappfigur auf der Bühne, auch diesmal gibt’s die „Octopus’s Garden“-Interpolation bei „Whatever“, den Zugabenblock mit den argen Hits – als hätt’s davor nicht schon genug arge Hits gegeben. Das Publikum braucht sowieso keine Sekunde zum Warmwerden – ich kann mich nicht erinnern, je ein so enthusiastisches erlebt zu haben. Für Eskalation braucht es kein „Wonderwall“, aber natürlich gibt es auch „Wonderwall“ – und natürlich eskaliert alles noch ein Stück mehr.
Am Ende spielen Oasis wie gewohnt „Champagne Supernova“. Wo wir waren, als sie high waren? Viele waren damals schon staunend und singend dabei, andere erleben Oasis heute zum ersten Mal live. Supernova gibt’s am Himmel keine, dafür ein Feuerwerk zum Abschluss.
Nochmal: Ja, es gab sie, die Mobiltelefone, und es wurden viele Fotos und Selfies gemacht. Aber irgendwie war’s doch fast genauso schön wie früher, Mitte der 1990er-Jahre. Man liegt sich mit Fremden in den Armen – ich etwa mit dem Kollegen aus Manchester neben mir, der mir ganz begeistert und überrascht berichtet, dass der Typ neben ihm ManU-Fan, er aber ManCity-Fan ist – und sie sich unfassbarerweise trotzdem verstehen. Mehr High Fives mit wildfremden Menschen habe ich auf einem Konzert noch nie gemacht. Ein besser organisiertes Stadion als das Wembley? Schwer vorstellbar.
Am Ende, als wir in der ewig langen Menschenschlange vor der Metro feststecken, hält ein Polizist das Megafon an sein Handy und spielt Musik von Oasis. In der Bahn gibt’s dann noch den einen oder anderen schiefen Chor. Oasis, darüber scheinen sich alle Konzertbesucher einig, feiern gerade die perfekte Reunion.
Also, Liam, mal ehrlich jetzt: It DID happen again – und es ist schön, dabei gewesen zu sein.