Florence + The Machine
Everybody Scream – Schillerndes Hexenwerk
Universal
Zwischen Männern und Monstern feiert Florence Welch mit wilder Popmusik sich selbst – und ja, auch die Liebe.
Angenehm, wie wenig Florence Welch zum Tiefstapeln neigt. Die Britin wird nächstes Jahr 40, falsche Bescheidenheit hat sie hinter sich gelassen – und ihre mal ätherische, mal feierlich-pompöse Popmusik lebt ja von einer Egozentrik, die Selbstbewusstsein voraussetzt.
„Everybody Scream“ ist als Titel schon mal eine Ansage, zumal beim sechsten Album. Da lässt normalerweise die Euphorie ein bisschen nach. Nicht so bei Florence + The Machine. „Witchcraft, folk horror, mysticism, magic, poetry, insanity“ versprach sie vorab, auch „Swans vs. Adele“. Und es gibt hier keine Produktenttäuschung!
Verglichen mit „Dance Fever“ (2022) geht „Everybody Scream“ mehr in die Tiefe, vielleicht ein Resultat aus Welchs Erkenntnis, dass sogar sie nicht unsterblich ist – während der Tournee 2023 musste sie notoperiert werden. Kein Grund allerdings, jetzt auf schillernde Oberflächen und wuchtige Sounds zu verzichten. Reduktion liegt ihr nicht – und drei Co-Produzenten tun ihr Übriges: James Ford (Depeche Mode et al.), der unvermeidliche Aaron Dessner (The National) und Idles-Gitarrist Mark Bowen, der auch als Co-Songwriter fungiert, ebenso wie Mitski.
Wildes Geschrei, krachender Beat
Mit dem Titelsong geht es gleich heftig los – angemessen wildes Geschrei, fetter Chorus, krachender Beat –, dann haut Florence in „One Of The Greats“ wieder mal ein paar Zeilen raus, die (nicht nur) ihre Probleme so auf den Punkt bringen, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Sie erzählt von ihrem „second favourite frontman“ und ätzt: „It must be nice to be a man and make boring music just because you can.“ Sie bleibt sein Fan, muss allerdings feststellen, dass sie ihn wohl nicht mit ihren Talenten bezirzen kann: „You could have me if you weren’t so afraid of me/ It’s funny how men don’t find power very sexy.“ Female power, that is.
Später, in der schwermütigen Ballade „Music By Men“, kommt sie noch einmal darauf zurück, dass sie nicht mehr zurückstecken möchte – aber auch nicht allein dastehen: „We discuss something called compromise/ A brand new concept that I never tried …/ Let me put out a record and not let it ruin my life!“ So soll es sein.
Ob sie den flackernden „Witch Dance“ zwischen Monstern und Menschen zelebriert oder voller Überzeugung die „Sympathy Magic“ ausruft, sich im unwiderstehlichen Fast-Folk-Song „Buckle“ fragt, ob ihre Therapie das Geld wert ist, oder dann doch „You Can Have It All“ behauptet – Florence klingt nie selbstmitleidig oder anklagend, sie feiert sich einfach selbst. Ihre Unzulänglichkeiten, ihre Fähigkeiten, das Komplettpaket. Und die Liebe, trotz allem. Ihre Stimme bleibt dabei ihr stärkstes Mittel, bei aller opulenten Instrumentierung. Sie singt, sie schreit, sie flüstert, sie haucht jedem Stück ihr ganz eigenes Leben ein.
„Sometimes my body seems so alien to me/ I quiet it down by watching TV“, singt sie in „Kraken“. Sind Stimme und Sprachvermögen Teile des Körpers? Dann hoffen wir, dass der Fernseher oft aus bleibt. Florence’ Unruhe hört sich einfach zu spannend an.