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Birgit Fuß fragt sich durchKolumne

„Do They Know It’s Christmas“: Weihnachtswunder gesucht

Jetzt läuft wieder überall „Do They Know It’s Christmas?“. Warum stören sich so viele an Bonos berühmter Zeile – obwohl sie einfach wahr ist?

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Es ist wieder so weit. Geschätzt mindestens alle drei Tage hört man entweder „Last Christmas“ oder „Do They Know It’s Christmas?“, das hat sich seit den Achtzigern kaum verändert. So vieles ist nicht mehr, doch diese beiden Songs haben überlebt, ausgerechnet.

Andrew Ridgeley gönnen wir die Tantiemen, die der großzügige George Michael ihm geschenkt hat – wenn das nicht dem Geist der Weihnacht entspricht, was dann? Also reden wir über das andere Stück, das von Band Aid. Was bedeutet Weihnachten für uns in Europa 2025? Seien wir ehrlich: vor allem freie Tage und Familienbesuche – ob das Gründe zur Freude sind oder nicht, hängt von den betroffenen Personen ab (und vielleicht davon, wie gern man isst).

Wir haben wenig zu befürchten, solange wir die Weltlage mal außen vor lassen – die Nachrichten von Kriegen und irren Politikern sorgen für kleine Dämpfer, aber wie lecker sind die Plätzchen? Adventskalender und -kränze, Weihnachtsbäume und all das: dazwischen können wir glatt vergessen, wie desolat alles ist.

Bob Geldof musste handeln

Für Bob Geldof war das 1984 keine Option. Äthiopien war am Rande des Kollapses, er hielt die Horrormeldungen nicht aus. Mit Midge Ure schrieb er einen Song, um Spenden zu sammeln. Sie luden alle ein, die damals in den Charts waren, und die meisten kamen.

Paul Young singt: „It’s Christmas time/ There’s no need to be afraid/ At Christmas time/ We let in light and we banish shade.“ So ist das hier, alles leuchtet und blinkt, und es sind keine Bomben oder Hungersnöte in Sicht. Später unterstellte man den Verantwortlichen gern einen „white saviour complex“, obwohl zumindest Geldof und Bono längst klar war, dass es gar keine sogenannte Wohltätigkeit bräuchte, wenn es Gerechtigkeit gäbe – doch jetzt war gerade mal Notfallhilfe gefragt.

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Später wurde Bonos Zeile geändert

Vielleicht ist es übertrieben, dass das einzige Wasser, das dort fließt, der Tränenfluss ist, aber ist das wirklich wichtig? Und ist es entscheidend, dass die Zeile „Do they know it’s Christmas time at all?“ impliziert, die meisten Afrikaner hätten keine Ahnung vom Rest der Welt? Auf jeden Fall haben sie nicht unseren Reichtum, nicht unsere Chancen – und das wiederholte Mantra „Feed the world“ mag zu schlicht sein, aber wenn es wahr werden würde, wäre das nicht … ein Weihnachtswunder?

Eines, an das Geldof nicht glaubte. Er gab ausgerechnet seinem Weltretterkollegen Bono diese eine Zeile, über die am meisten diskutiert wurde: „Well, tonight thank God it’s them instead of you.“ Vielleicht ärgert sie viele Leute so, weil man sich ertappt fühlt. Bis heute stört es mich, dass sie sich 2014, zu Band Aid 30, einen neuen Text für Bono ausdachten: „Well, tonight we’re reaching out and touching you.“ Wieder schön gesungen, aber: Wie lahm ist das denn?

Die Originalzeile entspricht viel mehr Geldofs Charakter: Sie zeigt all seine Wut über unsere Gleichgültigkeit, die er auch im „Great Song Of Indifference“ so bitter auf den Punkt brachte. Wir können uns all die Katastrophen in Afrika – wie in anderen Erdteilen – relativ unbeteiligt ansehen, weil sie weit genug weg sind. Wir haben wenig damit zu tun. Uns geht es gut. Wir wissen um unsere Privilegiertheit – und natürlich sind wir froh darüber. Das ist nur menschlich.

Die Frage ist: Was machen wir daraus? Ich würde sagen: Lieber ein White Saviour sein als gar nichts retten wollen. Für unsere Hautfarbe können wir nichts, sie ist weder Grund zum Schämen noch zum Stolzsein, aber ein bisschen soziales Engagement im Angesicht all der Ungerechtigkeiten auf dieser Welt sollte für jeden Menschen möglich sein. Dann schmeckt der Glühwein gleich noch besser, versprochen.