
Meat Loaf und das verlorene Paradies
Wenn die Zeiten düster sind, kann die Nostalgie in Songs von Meat Loaf und anderen uns dann helfen?
Zwischen den Rückblicken auf ein eher düsteres 2025 und den Ausblicken auf 2026, das zumindest global wohl nicht so viel erfreulicher werden wird, stellt sich unweigerlich die Frage: War früher doch alles besser? Und wie viel Nostalgie ist – zum Jahreswechsel und überhaupt – erlaubt? Je dunkler die Zeiten, desto heller scheint die Vergangenheit zu wirken. Wusste Bono natürlich schon, als er „You glorify the past when the future dries up“ sang.
In dem neuen, interessanten Buch „Nostalgie. Geschichte eines gefährlichen Gefühls“ (Reclam) geht die Historikerin Agnes Arnold-Forster unserer Sehnsucht nach der guten alten Zeit auf die Spur. Früher galt Nostalgie als Krankheit, heute ist sie unter anderem auch ein wichtiger Faktor im Marketing. Und machen wir uns nichts vor: Die Popkultur lebt ebenfalls davon. Neues: gut und schön und wichtig – aber manchmal braucht es den alten Kram, um sich richtig wohlzufühlen. Und nicht selten können sich Leute, die einen großen Schatz an Liedern im Gedächtnis haben, gar nicht wehren dagegen, dass sie plötzlich in ihre Gegenwart gespült werden.
Früher galt Nostalgie als Krankheit, heute ist sie Marketing-Tool
Mitten in einer wetterlichen und gesellschaftlichen Eiszeit spielte mein Gehirn also plötzlich „Paradise By The Dashboard Light“ ab – einen der Songs auf Meat Loafs Megaseller „Bat Out Of Hell“ von 1977.
Der Sänger und sein Songwriter Jim Steinman haben alles dafür getan, dass man diese Melodien und Zeilen niemals vergisst: so viel Pathos, so viel Wucht – und ein Gefühl, das kollektiv auf der ganzen Welt verstanden wird. Nostalgie.
„We were doubly blessed/ ’Cause we were barely seventeen/ And we were barely dressed …“
Im Auto, an einem Ufer geparkt, entdeckt der Protagonist mit seiner Angebeteten das Paradies im Armaturenbrettlicht: „Ain’t no doubt about it/ We were doubly blessed/ ’Cause we were barely seventeen/ And we were barely dressed.“ Solche universellen Erinnerungen an amerikanischen Teenager-Sommer lassen sich leicht nach Deutschland übertragen, es braucht bloß andere Autos und Getränke. Golf und Amaretto in meinem Fall.
Und da fängt das Problem mit der Nostalgie an: Wie wahr ist die Erinnerung wirklich? Oft ist sie ja eher eine Fantasie, denn ich zum Beispiel war nie gern am Baggersee, ja nicht mal im Freibad, weil ich zwar gut schwimmen konnte, aber Bikinis niemals Wohlfühlkleidung waren. Ich habe auch nie auf dem Rücksitz eines Autos rumgemacht, weil die meisten Typen, die ich gut fand, gar kein Auto besaßen. Neben einem Fahrrad habe ich mal geknutscht. Gilt das?
Bei Meat Loaf wird aus der Nostalgie plötzlich schreckliche Realität
Das Stärkste an dem Meat-Loaf-Song ist der überraschend einsetzende Realismus: Irgendwann geht alles schief. Sie will von ihm wissen, ob er sie ewig lieben wird. Er erbittet sich Bedenkzeit. (Ganz schlechte Reaktion.) Er verspricht ihr alles Mögliche. (Auch doof.) Zeitsprung ins Heute: Er wünscht sich das Ende der Zeit herbei, weil er sie gar nicht mehr ertragen kann. (Vielleicht überdenken, ob Treue immer unbedingt sinnvoll ist.) Also sehnt er sich wieder zurück: „It was long ago and it was far away/ And it was so much better that it is today.“
Es gibt so viele Lieder, die dieses Gefühl bedienen – von der billigen Variante (Kid Rocks „All Summer Long“) über die massentaugliche (Bryan Adams’ „Summer Of ’69“) bis zur klug-ironischen (John Wesley Hardings „There’s A Starbucks (Where The Starbucks Used To Be)“). Ein bisschen sentimental sein schadet nicht, aber letztlich ist Rückzug keine Lösung. Die heutige Welt hat ja immer noch eine Menge zu bieten – trotz allem. Also Augen auf! Dann geht es einem vielleicht, hoffentlich wie einst Albert Camus: „Mitten im Winter stellte ich fest, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer war.“ Und zwar nicht der von 1969.