…Und ewig brechen die Wellen

Jonny Cash brauchte Rick und Dick Dale brauchte Quentin Tarantino, um von uns Erdjungen als "king of the surf guitar" wiederentdeckt zu werden. Dale ist beinahe 60. Fast so alt wie Johnny Cash. Und fast könnte er dessen Bruder abgeben.

Jedenfalls sieht er ziemlich indianisch aus. Weil sein Vater aus dem Libanon stammt und seine Mutter aus West-Polen. Dale weiß selbst nicht, von wo genau. Aber er redet immer noch mit einem ausgesprochen eckigen Akzent. Vor allem redet er pausenlos. Eine einzige Frage genügt, und er spult sein ganzes Leben herunter, kommt vom Hundertsten ins Tausendste und fängt schließlich sogar an, sich selbst Fragen zu stellen und komplette Lektionen als Antwort zu geben. Und das alles auch noch in der dritten Person. Dick Dale ist ganz offensichtlich völlig durchgeknallt. Aber erstens ist er überaus freundlich, und zweitens gibt es üblere Philosophien als seine Mischung aus Buddhismus und Liebe zu sich selbst. Außerdem würde man sich einiges entgehen lassen, wenn man Dick Dale so einfach stoppen wollte. Mal abgesehen davon, daß er jede Einmischung seines Gegenübers gar nicht erst registrieren würde, brächte man sich um die Chance, einen Menschen zu erleben, der die Fähigkeit besitzt, so tief in sich selbst zu versinken, daß seine Assoziationen allmählich immer tiefer und tiefer aus dem Bauch heraus kommen. So eine Haltung wirkt zuerst vielleicht ziemlich distanziert, aber in Wirklichkeit erzählt Dick Dale sehr viel von sich selbst. Eine geniale Geschichte nach der anderen. „Als Junge wollte ich immer Country-Sänger werden. Dazu brauchte ich natürlich eine Gitarre. Aber wir konnten uns keine leisten. Da fiel mir eine Anzeige auf der Rückseite eines ,Superman‘-Comics auf: ‘Erkaufen sie 1000 Tuben Maxima Gesichtscreme und sie kriegen diese wunderschöne Ukulele!‘ Also ging ich jede Nacht von Tür zu Tür. Bei Wind und Wetter. Ich verkaufte so viel Gesichtscreme, es war unglaublich. Nach sechs Monaten hatte ich dann endlich meine Ukulele. Sie war wirklich wunderschön. Aber leider nur aus Pappe.“ Danach sammelte Dick Dale erst einmal leere Cola-Flaschen. Vom Pfandgeld kaufte er sich eine Ukulele aus Plastik und ein Buch dazu. „In dem Buch stand nur, wo die einzelnen Finger normalerweise liegen müssen. Aber nirgends stand: ,Dreh die verdammte Ukulele herum, Blödmann, du bist Linkshänder!‘ Ich hätte mir fast die Finger abgebrochen. Nach einem Jahr konnte ich gerade mal drei Akkorde.“ Seine erste Gitarre kostete acht Dollar und er zahlte sie in wahrhaft selbstmörderischen 25-Cents-Raten ab. Aber abgesehen davon, daß er immer nur die vier Saiten spielte, die er von seiner Ukulele her kannte, hielt er auch seine steinalte Narional-Klampfe zunächst einmal dauernd falsch herum. Der Gitarrenbauer Leo Fender zeigte sich davon so beeindruckt, daß er diesen verrückten 17jährigen zu seinem Lieblingsversuchskaninchen machte. Er hatte damals gerade die Telecaster perfektioniert und fing nun an, seine Stratocaster zu entwickeln. Fender gab Dick Dale einen goldmetallic lackierten Prototyp. Dick Dale nannte diese Gitarre „The Beast“. Und veränderte mit ihr die Richtung des Rock’n’Roll so nachhaltig, daß ihm heute niemand in die Parade zu fahren wagt, wenn er mal wieder ein Interview ganz alleine bestreitet. Ist Dick Dale der „king of die surf guitar“? Natürlich! Er initiierte eine Musikrichtung, der ganze Scharen folgten. Aber: Inwiefern änderte er die Richtung des Rock’n’Roll? „Nun, in den 50er Jahren waren die Musiker auf den elektrotechnischen Entwicklungsstand dieser Zeit beschränkt Das heißt, wenn du laut spielen wolltest, dann hattest du ein Problem. Niemand wollte laut spielen, denn das ganze Equipment war auf niedrige Lautstärke ausgelegt. Leo gab mir immer seine neuesten Verstärker. Aber wenn ich damit ein bißchen lauter spielen wollte, dann verzogen sich die Lautsprecher-Kalotten wie Kaugummi. Irgendwann machte es dann peng‘, und das ganze Ding fing Feuer. Ich ruinierte mindestens 50 Stück von den Dingern. Doch dann kriegten wir den ersten lauten Verstärker der Welt, den Fender Showman. Das Ding brachte die Schallmauer zum Einsturz. Dick Dale flog durch das schwarze Loch im A1L Er verkabelte sechs Showman miteinander, Wenn er eine Saite berührte, dann hob eine Saturn-V ab. Dick Dale ist der Vater der Lautstärke. Und dadurch änderte er die Richtung des Rock’n’Roll“ Tagsüber tat Dick Dale genau das, was all seine Freunde taten. Er stand auf dem Surfbrett Abends versuchte er dann jedoch nicht, den gleichen Erwachsenen-Mainstream-Kram wie alle anderen zu spielen, sondern eben genau das, was ihm tagsüber im Kopf herumgegangen war. Irgendwas, das dem Adrenalin-Kick des Surfens ähnelte. Mit dieser Idee war er natürlich so dicht an dem dran, was jeden Teenager in Südkalifornien bewegte, daß er bald jeden Abend vor ein paar Tausend Leuten spielte. Seine ersten Singles schafften es in die nationalen Charts. Und zwar ausschließlich durch die Platten, die er in Kalifornien verkaufte. Im Orange County war er der größte Star von allen. Und er bekam vom Major Capitol einen Vorschuß, wie es ihn seit Elvis nicht mehr gegeben hatte. „Diese ganzen kleinen Bands, wie z. B. die Beach Boys, die damals noch gar nicht die Beach Boys waren, sie alle kamen, um Dick Dale zu sehen. Dick Dale war ein Phänomen. Später versuchte man, seinen Erfolg auf den Einsatz von Hallgeräten zu reduzieren. Aber diese Leute wissen nicht, wovon sie reden. Auf ,Miserlou‘ 4 und ‚Let’s Go Trippin‘ gab es noch gar keinen Hall für die Gitarre. Den habe ich erst einige Zeit später erfunden.“ Das stimmt zwar nicht ganz – Dick Dale hat eigentlich nur das erste tragbare Hallgerät mitentwickelt -, aber das sind für ihn nur Haarspaltereien. Fest steht, daß seine Gitarre mit dem Hall erst so richtig „naß“ klang. Als ob er unter Wasser spielen würde. Mit dem Hall war der Surf-Sound erst so richtig perfekt. Dick Dale war der unumstrittene „king of the surf guitar“. Aber was bedeutete dieser Titel? „Es gab eigentlich nur zwei Kings im ganzen Geschäft. Und niemand konnte ihnen den Titel wegnehmen. Dick Dale und Elvis. Wir hatten denselben Karate-Lehrer. Elvis trug seine Auszeichnungen an seiner weißen Gretsch. Ich trug meine am 3east‘. Elvis hatte meine Musik in seiner Musikbox. Und abends fuhren wir dann immer in seinem nagelneuen Studebaker Bearcat den Hollywood Boulevard runter. Mit unseren beiden Bodyguards auf dem Rücksitz. Aber all das war mir nicht wichtig. Ich habe schon damals wie ein Einsiedler gelebt In einem totalen Vakuum. In totaler Stille. Ich bin noch nie mit den Menschen so richtig klargekommen. Ich nannte sie immer nur Erdlinge.“ Danach hält Dick Dale erst einmal eine lange Ansprache darüber, wie Karate ihn zum Buddhismus gebracht hat und was Buddhismus für ihn bedeutet: Stille, Frieden und Toleranz. Gerade deswegen stellt man sich einen Buddhisten aber auch ganz anders als Dick Dale vor. Andererseits gibt es aber speziell im Buddhismus genügend Raum für alle möglichen Temperamente. Und ganz besonders für alte Narren. Was ist das eigentliche Wesen der Musik von Dick Dale? „Nun, Musik nimmt das böse Element aus der Bestie. Musik besänftigt die Bestie. Aber das gilt nur für einfache Musik. Mit komplizierter Musik nämlich kannst du die Bestie nicht verzaubern. Die jungen Musiker denken immer, sie müßten sofort komplizierte Griffe lernen. Dabei kriegen sie überhaupt nicht mit, was ein guter Lehrer ihnen beibringen würde. Das allerwichtigste ist die Atmung. Dick Dale scheißt auf all diese komplizierten Tonleitern. Er weiß nicht einmal, was Tonleitern sind. Wenn Dick Dale spielt, dann tritt er dir gewaltig in den Arsch. Er spielt nicht tick-a-tick-a-tick sondern BAMM-BAMM-POWHHH! Er läßt die Freude, die Wut und den Schmerz aus den Tiefen seiner Seele. Deshalb spielt er auch die allerdicksten Saiten. So dick wie TelefonkabeL Und er spielt sie so hart, daß sie vor Hitze lila anlaufen. Wenn er …Iiiihhh! …YaaahhhL. das Brüllen von wilden Elefanten, Löwen und Tigern im Urwald erschallen läßt, dann schmilzt jedes Plektrum sofort wie Butter dahin!“ Und so weiter, und so fort. Es kann ziemlich unterhaltsam sein, mit Dick Dale eine Kanne Kaffee zu trinken. Und seit dem Erfolg „Pulp Fiction“ kann man davon ausgehen, daß man noch viel von ihm hören wird. Die Rente ist gesichert. Nachdem Dick Dale inzwischen die dritte Platte seit seinem Comeback veröffentlicht hat und jetzt sogar in Snowboarder-Kreisen extrem hip sein soll, weiß er gar nicht mehr; wie er es so lange ohne Musik hatte aushalten können. Und wenn es sich einrichten läßt, dann will er auch nicht profan im Bett sterben. Nein, dann doch lieber auf der Bühne. In einer Explosion von Einzelteilen.

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