Beruhigende Reise

Mit dem dritten Album ist EMBRACE ein homogenes Pop-Werk geglückt, auf das selbst die bescheidenen McNamara-Brüder zu Recht stolz sind

Ein Bild für Götter: Wer Danny McNamara nach den Begebenheiten und Begegnungen fragt, die hinter seinen Texten stecken, kann ihn dabei beobachten, wie er Wort fiir Wort des angesprochenen Songs rezitiert, besonders signifikante Passagen singt und hernach jede einzelne Zeile erklärt.

Fällt ihm etwas nicht ein, hilft Bruder Richard auf die Sprünge. „Alles in allem“, lacht Danny, „wäre ich sicher längst schon im Knast, wenn ich all das wirklich tun würde, was ich in meinen Texten schreibe. Oft gehe ich sie noch mal durch und würde am liebsten Dinge streichen. Aber dann denke ich mir, dass es am wichtigsten ist, zu seinen Ansichten zu stehen.“

Das Quintett aus Bradford/ Huddersfield wurde in Großbritannien naturgemäß bereits nach Veröffentlichung der ersten EPs als „bigger than Oasis“ gefeiert Natürlich war das übertrieben. Und doch waren die ersten Gehversuche, die sich später allesamt auf dem UK-Nr.l-Debüt „The Good WillOut“ fanden, erstaunlich: Die mitreißende Hymne „All bu Good Good People“ ist bis heute ein bei Konzerten vehement geforderter Band-Klassiker geblieben, und auch „Come Back To What qx Know“ war ziemlich nah dran am perfekten Popsong. Doch Danny ist skeptisch: „Kann sein, dass wir ein paar Mal kurz davor waren, eben solchen Song zu schreiben… Aber erst wenn man etwas so Unglaubliches wie „Say A Litde Prayer“ von Bacharach 8C David zustande bekommt oder ein Album aufnimmt wie, The Soft Bulletin‘ Von den Fläming Lips, gibt es wirklich nichts mehr zu verbessern.“

Hier zu Lande fristeten Embrace auch nach dem ausgereifteren „Dratm From Memory“ ein unberechtigtes Schattendasein als eine von vielen Brit-Pop-Bands. Zu unscheinbar, zu unspektakulär fiir den ganz großen Erfolg. Es wäre auch arg verwunderlich gewesen, wenn es Embrace anders ergangen wäre als The Divine Comedy, Space oder Jack, deren cinematographischer Breitwand-Sound seit jeher wie Blei in den deutschen Regalen liegt „Vielleicht ist es so, dass es einfach nichts wirklich Aufregendes über uns zu sagen gibt“, bemerkt Richard McNamara, der vorgibt, sämtliche Songtexte der ersten sechs R.E.M-Alben zu beherrschen. „Die britische Musikpresse schreibt im Grunde nur über Bands, die entweder ganz neu sind, oder über wahnsinnig erfolgreiche Gruppen, die am besten noch einen Haufen Skandale zu bieten haben. Auf uns trifft eben beides nicht zu.“ Dabei hat das ungleiche Brüderpaar gar keinen Grund zu übermäßiger Bescheidenheit: Die Pole Position der britischen Album-Charts dürfte fiir die von Ken Nelson (Badly Drawn Boy, Coldplay) produzierte dritte Embrace-LP „You’re Never Been“, auf der das Gitarrenspiel der beiden Hauptsongschreiber Danny und Richard ausgeprägter und filigraner als in der Vergangenheit ausgefallen ist, zu schaffen sein.

Nachdem sich die McNamaras ausgiebig mit Ken Nelsons Arbeiten beschäftigt hatten, war es offensichtlich, dass er ihr neues Album produzieren sollte. „Wir fanden es großartig, was er mit Gomez gemacht hatte. Und wir mochten es auch, wie die Kings Of ConveniencePlatte klang, fiir die er ebenfalls verantwortlich war. Sein Einfluss auf die Platte war sehr groß.“

JLj You’ve Never Been“ ist dann auch deutlich homogener ausgefallen als die früheren Werke der Band. Sah sich der Hörer bei „The Good Will Out“ und ,JDrumt From Memory“ einem ständigen Y^fechselbad aus herzergreifenden Balladen und herkömmlichen Rock-Songs ausgesetzt, ist bei den Engländern diesmal alles im Fluss. „Stimmt schon“, bemerkt Danny, der auf „If lAu’ve Never Been“ auch noch besser denn je singt „Die neuen Stücke sind alle in der selben Grundstimmung gehalten. Beabsichtigt war das nicht, denn wir hatten auch diesmal wieder rockige Sachen geschrieben, nur passten sie irgendwie nicht zum restlichen Material.“

Jetzt setzt man am besten Kopfhörer auf und lässt sich von der Platte auf eine beruhigende Reise mitnehmen. Rock, Funk und Experimentelleres gibt es dann sicher wieder ein anderes Mal zu hören. Die erste Single-Auskopplung „Wonder“, ein geradezu archetypischer Embrace-Song, liegt Danny besonders am Herzen: „Er handelt davon, wie die Angst dein ganzes Leben zur Hölle machen kann. Wenn dann noch die Angst vor der Angst dazu kommt. Es kommt darauf an, die Sinne für die kleinen Dinge, die kleinen Wunder, die einem jeden Tag begegnen, zu schärfen. Das holt einen jedes Mal aus dem Tief heraus“, berichtet der Romantiker, der mittlerweile klingt wie ein Hobby-Psychologe.

Unerforschte Untiefen loteten Embrace auch aus, als sie 100 ausge-

wählten Fans das neue Werk präsentierten. Das exklusive Konzert wurde in den Hellfire Caves von West Wycombe gegeben, einem unterirdischen Höhlenkomplex, in dem im 18Jahrhundert wilde Opium-Sitzungen veranstaltet wurden. Die ROLLING STONE-Roadshow wäre da sicher unkomplizierter- auf unserer ,.Kandidatenliste“ stehen Embrace auf jeden Fall

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