Festival-Bericht

A Summer’s Tale: Ein kultiviertes Sommermärchen

Beim A Summer's Tale, dem „Festival für Erwachsene“, traten vom 5. bis 8. August unter anderem Patti Smith und Tori Amos auf – unser Nachbericht.

Im englischsprachigen Raum ist das Prinzip, Open-Airs mit Komfort zu verbinden, schon länger bekannt. Auf dem Campingplatz des Summer’s Tale kann man, je nach Budget, zwischen mehreren Unterkünften wählen, auf dem Gelände gibt es gekachelte Duschen, ein Restaurantzelt mit täglich wechselnden Drei-Gänge-Menüs sowie zahlreiche Food-Trucks mit Bio-Essen, darunter Lachs-Döner und Wild aus dem Umland. Die Liste der Freizeitaktivitäten ist länger als das Line-up: Hatha-Yoga, Handstandkurse, Sommelier-Workshops, Lesungen und vieles mehr ergeben „ein ruhiges Festival für Erwachsene“, wie es jemand im Shuttle-Bus zum „Himmel und Heide – Eventpark“ auf den Punkt bringt.

Keine Bachelor-Rudel mit Biertrichter

Die Wege zu den drei Musikbühnen sind mit kleinen weißen Zäunen und Blumenkübeln dekoriert, alles vermittelt den Eindruck, dass es hier nicht zu den üblichen Eskalationen kommen wird. Die Bachelor-Rudel mit Biertrichter fehlen ebenso wie die Coachella-Fashionistas, die nur auf Festivals gehen, um gesehen zu werden. Stattdessen sieht man viele Paare (darunter viele weibliche) und jede Menge Kinder, die bei der Hitze am Ufer des knöcheltiefen Tümpels zwischen Wald- und Lesebühne umhertollen.

Vielleicht liegt es daran, dass das Festival zum ersten Mal stattfindet, jedenfalls kann man ohne zu drängeln in die ersten Reihen vordringen und sich die Bands trotzdem noch mit geräumiger Comfort-Zone ansehen. Stuart Murdoch von Belle And Sebastian nimmt die familienfreundliche Ausrichtung des Festivals zum Anlass für ein paar ironisch-freundliche Sticheleien: „Wo sind all die Kinder? Wir haben ein Set für Babys vorbereitet!“ Stattdessen spielt er mit seiner Band ein ausgewogenes Best-Of-Set, beim letzten Song lädt er freiwillige Tänzer zu sich auf die Bühne ein, die Jungen folgen dem Aufruf und machen Selfies, die Älteren lächeln gütig.

Danach feiert Damien Rice vor Sternenhimmel-LEDs mit Ziehharmonika und Akustikgitarre eine melancholische Messe, bei Zeilen wie „Cause we can’t take back what is done, what is past, So let us start from here…“ liegen sich auch Langverheiratete wieder knutschend in den Armen.

Deutschrap für Kinder

Der Freitag beginnt mit Blitzen und Regen. Die Gäste flüchten in ihre Zelte oder in einen der vielen Workshops, um zum Beispiel einen Traumfänger aus Holz zu basteln. Gegen Mittag staut sich über dem Gelände dann schon wieder die Hitze.

An der kleinen Waldbühne treten Deine Freunde auf, ein HipHop-Trio das sich auf Deutschrap für Kinder spezialisiert hat. Viele Besucher sind mit ihrem Nachwuchs gekommen, die ganz Kleinen spielen auf Fleece-Decken mit Tannenzapfen, die etwas Älteren stehen pflichtschuldig und etwas ratlos neben den Eltern, die sich bei Zeilen wie „Wer schmiert dir das Brot, wer gibt dir Fernsehverbot?“ selbst feiern.

Von „I hope I die before I get old“ keine Spur

Als Patti Smith, die Mutter des Punk, um kurz nach acht die Hauptbühne betritt, geht gerade die Sonne unter. Sie trägt weißes Hemd und schwarzes Jackett wie auf dem Cover ihres Debüts, „Horses“, das sie hier zusammen mit den damaligen Bandmitgliedern Jay Dee Daugherty und Lenny Kaye in voller Länge aufführt. Zwischen den Songs mag sie lächeln wie ein Buddha und winken wie die Queen, während der acht Stücke entfesselt die 68-Jährige eine unglaubliche, wütende Energie. Vor „Free Money“ dem letzten Song der ersten Seite, erklärt Smith, das gleich der Moment gekommen sei, den Tonarm hochzunehmen und die Platte umzudrehen. Man sieht sehr viele glückliche Gesichter im Publikum, in einigen Augen stehen Tränen.

Die Band zieht bei den Songs der zweiten Seite das Tempo noch an, so dass die raue Punk-Energie bei den glatten Gesangsparts von Lenny Kaye manchmal ein bisschen nach 80er-Jahre-Hardrock klingt. Den letzten Song, „Elegie“, habe sie in Gedenken an Jimi Hendrix geschrieben, sagt Smith, heute widme sie ihn aber all den Toten, die die Musikwelt zu beklagen hat. Mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen steht sie da und zählt auf: Jim Morrison. Janis Joplin. The Ramones. Joe Strummer. Amy Winehouse. Lou Reed. Jeder Name wird je nach Beliebtheit in unterschiedlicher Lautstärke bejubelt.

Als Zugaben kommen dann die Gassenhauer: „Because The Night“, „People have the power“ und ein rasantes Cover von „My Generation“, bei dem das Publikum endgültig außer Rand und Band gerät, von „I hope I die before I get old“ keine Spur. Über der Bühne kreisen Kamera-Drohnen. Die Zeiten haben sich wirklich geändert, denkt man. Könnte vielleicht in einer nicht allzu fernen Zukunft eine Zeit anbrechen, in der Rock ’n‘ Roll endgültig nicht mehr das Privileg der Jugend ist? In der es normal sein wird, mit 45 eine Band zu gründen, nachdem man sich einen finanziellen Rückhalt geschaffen hat und die Kinder aus dem Gröbsten raus sind? Das Summer’s Tale ist ein guter Ort, um solche Zukunftsvisionen einer alternden Popkultur einmal gedanklich durchzuspielen. Am holzverkleideten BBQ-Stand wird unterdessen auch Nachts noch gesiezt und die Toiletten sind so sauber, dass man schlussfolgern darf, dass die Männer sich an die „Bitte Hinsetzen“-Anweisung gehalten haben.

Tori Amos und die Menopause

Vor im Wind wehenden grünen und roten Stoffbahnen kündigt am Samstag ein großer schwarzer Bösendorfer Flügel den Auftritt von Tori Amos an. Dies sei der letzte Gig für eine lange Zeit, sagt sie, und sie sei froh, ihn an diesem „magischen Ort im Wald“ zu spielen. Über den Abendhimmel zieht ein Schwarm Vögel in Richtung Heide, während sie mit heiliger Ergriffenheit Nirvana und Elton John covert und dabei virtuos ihre Stimme moduliert.

Bei ihrem Hit „Cornflake Girl“ wird sie von aus dem Keyboard blubbernden Drum-Patterns begleitet, der Wind weht ein paar Notenblätter unter den Flügel, Amos klemmt sie umständlich wieder fest. Einmal vergisst sie den Text. Sie sei gerade in der Menopause, und daher etwas zerstreut, sagt sie. Die Frauen lachen, einigen Männern sieht man an, dass sie lieber wieder die Led-Zeppelin-CD hören würden, die während der Umbaupause lief.

Bei Multiinstrumentalist Yann Tiersen ist die Zeltbühne danach so voll wie nie. Heute Abend spielt der Soundtrack-Komponist vor allem psychedelischen Post-Rock, aber keiner brüllt „Amélie“. Stattdessen bejubelt das Publikum minutenlang ein Geigensolo. Ein wirklich relaxtes, kultiviertes Festival.

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