Farin Urlaub – „Ab einem gewissen Erfolg ist Rebellion nur noch Pose.“

Farin Urlaub über Provokation, Rebellion, Engagement und Aktivismus. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.

Du, Farin, wir machen das so: Ich stelle Behauptungen über deine Lieder auf, und du sagst mir in 15-minütigen Monologen, warum ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe.

Vielleicht müssen wir das Interview-Konzept noch überdenken …

Behauptung Nummer eins …

Totaler Quatsch!

Behauptung eins: Farins Lieder haben die Welt verändert.

Das wäre schön, wenn’s denn zum Besseren wäre. Aber sag mal?

Zum einen regst du die Leute zum Denken an, nicht nur durch deine Art von Humor, sondern durch Inhalte …

Würd‘ ich mir total wünschen.

Und zum anderen engagierst du dich viel für Greenpeace oder Ärzte ohne Grenzen. Oder nimm die Blocher-Aktion: Ihr habt das aktuelle Ärzte-Album für „nicht Blocher wählende Schweizer“ gratis angeboten.

Dafür haben wir derbe Kloppe gekriegt. Die, die uns sowieso nicht leiden können, sagten: „Was mischt ihr euch in unsere Politik ein? Ihr habt doch eh Scheiße am Stecken!“ Selbst Fans haben uns nicht verstanden und sagten: „Bis heute war ich Fan, aber das geht viel zu weit, ihr habt euch hier nicht einzumischen.“

Dabei ist deine Formel doch recht einfach: Deine Lieder bringen Geld, und eine bestimmte Summe davon wird gespendet.

Das einzige Mal, wo ich von vornherein gesagt habe, dass alle Einnahmen offiziell gespendet werden, war beim Erscheinen meines Bildbands. Denn ich finde es pervers, wenn ich, nachdem mir die Fans durch Plattenkäufe eine Weltreise ermöglicht haben, dann noch das Geld aus dem wirklich teuren Bildband für mich behalte. Mir geht’s gut genug, also spende ich was. Behauptung Nummer zwei: Farins Lieder sind kleine Rabauken und Rebellen.

Das ist Absicht, denn ich arbeite gern mit dem Mittel der Überzeichnung. Ich fange mit einer Beobachtung an und flippe innerhalb des Liedes völlig aus. Das konnte John Cleese fantastisch – der größte Aufreger der englischen Kultur. Das schönste Beispiel dafür auf dem neuen Album ist „Seltsam“, ein Lied über pelztragende Frauen, das harmlos anfängt, zu einer totalen Hassorgie ausartet und schließlich den Tod dieser Frauen fordert.

Ist Uberzeichnung wichtig, um ein Thema klar zu machen?

Wenn man eine Aussage übersteigert, bleibt der Sinn der Botschaft bestehen. Gleichzeitig schaffe ich auf diese Weise eine Distanz zum Thema, denn ich will diese Frauen ja nicht wirklich umbringen. Zudem möchte ich nicht zu intolerant werden und wie ein schimpfender, alter Mann wirken. Bei Max Goldt fällt mir das manchmal auf: Der fängt einen Text lustig an und schimpft berechtigt, doch irgendwann ist die Grenze überschritten, an der er zum Misanthrop wird.

Inwiefern bist du selbst ein Rabauke und Rebell?

Ich habe definitiv ein Autoritätsproblem. Ich habe ein Problem damit, wenn Leute sagen: „Ich weiß es besser als du.“ Es gibt sicher ganz viele Leute, die ganz viele Sachen besser wissen als ich, aber ich mag es nicht, wenn mir jemand abspricht, dass meine eigenen Gedanken vielleicht auch eine gewisse Gültigkeit haben. Deswegen fand ich Schule immer extrem anstrengend. Aber ehrlich gesagt: Ich habe in meinem täglichen Leben sehr wenig Anlass zur Rebellion, weil ich auf Händen getragen werde. Ich könnte höchstens sagen: „Du, kannst du dir die Hände mal wieder eincremen, die sind nicht weich genug.“ Wogegen sollte ich für mich selbst rebellieren, gegen Hotelzimmer?

Für dich selbst vielleicht nicht, aber für andere?

Was mich heute in Deutschland besonders ankotzt, ist die Erosion unseres Grundrechtes auf Privatsphäre. Ich möchte bitte als Mensch wahrgenommen werden und nicht als Nummer. Aber ich finde keinen Weg, dagegen zu rebellieren, der nicht lächerlich ist. Soll ich mich auf den Kudamm stellen mit einem Transparent um den Hals? Da schließe ich mich lieber der Sammelklage gegen die Zuteilung einer persönlichen Steuernummer an und spende Geld.

Behauptung Nummer drei: Farins Lieder helfen Jugendlichen, sich zu profilieren.

Eher sich einzuordnen und zu orten. Wir haben es bei den Ärzten mit „Du bist nicht allein“ ganz plakativ auf den Punkt gebracht: Als Jugendlicher hatte ich das Gefühl, allein auf der Welt zu sein, weil keiner so dachte wie ich. Und das hat dann ins Punkersein gemündet, denn darin konnte ich zeigen: Ich bin nicht so wie ihr. Damals habe ich ausgiebig gegen mein Umfeld rebelliert. Gerade in der Pubertät will man sich von seinen Eltern abheben, etwas eigenes darstellen und eine Nische finden, mit der man sich identifiziert und definiert. Da frage ich mich: Wie kann man als 15-Jähriger heute überhaupt noch rebellisch sein?

Die meisten Wege sind selbstzerstörerisch. Du kannst gegen deine Vorgesetzten, also Eltern und Lehrer, rebellieren, indem du Drogen nimmst. Das ist eine Rebellion, die ich nicht gut finde. Ich finde Rebellieren mit Kopf immer viel besser. Zum Beispiel wenn man sich Nischen des Wissens schafft.

Was war deine Nische des Wissens?

Ich war ein super Großmaul, aber in mir ziemlich eingekerkert. Meine Insel war Musik, die ich relativ früh entdeckt habe. Und so habe ich mit 16 schon in einer Punkband gespielt. Bingo, besser geht’s nicht! Bitte kanalisieren sie ihre Energien jetzt!

Allein deine Optik muss als anstößig empfunden worden sein!

Damals war das aber auch noch einfacher, denn Punks waren sozial überhaupt nicht akzeptiert. Ich bin in Berlin-Frohnau aufgewachsen und war dort der erste Punker überhaupt! Ich war eine Sensation. Die Leute wussten überhaupt nicht, was das jetzt soll. Ich war wie vom Himmel gefallen! Von skeptischen Blicken über wüsteste Beschimpfungen bis zu Androhungen der örtlichen Rocker, dass ich ihnen bloß nicht im Dunkeln begegnen soll, habe ich alles gekriegt! Das war Wasser auf meine Mühlen. Besonders zu sein ist heute viel schwerer, doch dafür ist es einfacher, Punk zu werden, weil alle wissen: Klar, der hat einen Iro oder zumindest bunte Haare. Dann gehst du einfach in den Laden und holst dir dein Outfit, und der Friseur weiß auch schon Bescheid. Vieles ist zur Mode geworden, aber du kannst dich trotzdem rebellisch fühlen. Es geht mittlerweile mehr um das Innere.

Warum hast du das damals gebraucht?

Punk war das Lebensgefühl, das am unpopulärsten war. Ich war schon relativ autark und stark, aber es ist natürlich toller, wenn man mal eben nach Spandau oder nach Kreuzberg fahren kann und dort Gleichgesinnte trifft. Aber eben nur einen kleinen Stamm. Das ist total geil. Du bist etwas ganz Besonderes und hast dennoch 50 Leute, die dich verstehen. Auch das ist heute anders, weil jemand, der herumläuft wie ein Punk, nicht notwendigerweise Punk gut finden muss. Der findet halt Punk als Outfit gut.

Wenn dem Menschen die Rebellion schwer fällt, wie kann der Künstler Rebellion vormachen?

Ich glaube, ab einem gewissen Erfolg ist Rebellion nur noch Pose. Es sei denn, ich würde mein Geld von der Bank abheben und es öffentlich verbrennen. Das wäre ziemlich dumm, aber echt eine rebellische Aktion. Du hilfst mir dann dabei, oder?

Sag Bescheid.

Genau, so nach dem Motto: „Ich hab’s verbrannt, ehrlich! Ansonsten… Fällt dir eine passende Art zu rebellieren ein?

Tom Morello zum Beispiel tritt als The Nightwatchman und mit Rage Against The Machine teilweise dreimal pro Tag auf und marschiert dann selber auf einer Demo mit…

Aber ist das nicht „preaching to the converted“? Guck, wenn wir bei den Ärzten „Schrei nach Liebe“ spielen und danach Leute anfangen, „Nazis raus“ zu rufen, dann gibt’s eine Ansage von mir: „Hey, wir sind die nicht! Wenn du das rufen willst, dann geh dorthin, wo die sich treffen.“ Wie will Morello auf einer Demo jemanden überzeugen, dass seine Wege bisher falsch waren?

Durch zwei Dinge: Zum einen hat er eine große mediale Präsenz und erreicht Leute, die bisher noch nicht darüber nachgedacht haben und noch nicht konvertiert sind. Und zum anderen startet er Aktionen mit zählbaren Ergebnissen: Zum Beispiel der Erfolg der Bauern, die jahrelang unter sklavenähnlichen Bedingungen für Taco Bell gearbeitet haben.

Die Bauern kriegen drei Cent mehr pro Kilo, glaub ich – ein toller Erfolg. Hut ab, find ich cool. Die Frage ist: Ist das Rebellion oder das Nutzen der eigenen Popularität, so ähnlich wie Sting es macht, nur einen Hauch konkreter, zum Erreichen eines politischen Ziels?

In dem Moment, wo er gegen Strukturen und für eine Sache kämpft, ist er ein Rebell.

Ich finde, das ist politischer Aktivismus.

Ich kann dir ja mal zwei Stellen deines neuen Albums nennen, an denen mir Texte aufgefallen sind, die mir rebellisch vorkommen. Denn „rebellisch“ kann ja verschiedene Formen annehmen, von politisch bis künstlerisch. Das bemerkenswerteste Textzitat steckt meiner Meinung nach in dem Song „Insel“. Sehr gut erkannt. Wenn du jetzt die richtige Stelle sagst…

„Ich bin hilflos, denn meine Wünsche wachsen in dem Maße, in…“

In dem mein Einkommen steigt, sodass das Glück immer gleich unerreichbar bleibt.

Für mich ist das eine Art von moderner Rebellion, weil sie Leuten den Horizont erweitert.

Im günstigsten Fall, ja. Es kann nicht angehen, dass wir plötzlich ganz viele Dinge brauchen, die es vor zehn Jahren noch nicht gab. Zwei wirklich unverzichtbare Erfindungen der letzten 20 Jahre sind Mobiltelefone und GPS. Aber der ganze andere Kram? Deswegen hat Konsumkritik auf dem Album einen recht prominenten Platz. In diesem Song steckt ja auch noch eine zweite Strophe drin: „Warum haben wir nie Geld, mein Kind, weil wir nicht im Besitz der Produktionsmittel sind, und der Mehrwert, den wir schaffen, macht andere reich. Die bauen sich dann Villen oder kaufen sich gleich eine Insel.“ Sie hörten: „Das Kapital“ in drei Teilen.

Eine weitere wichtige Aussage von dir steckt in „Zu heiß“, die den typischen Farin-Humor hat und trotzdem zum Nachdenken anregt. Diese Ausrede, dass … Wir rebellieren wollen, aber die meteorologischen Umstände es gerade nicht zulassen. Es gibt ja immer irgendwas.

Genau. Ich glaube, dass viele Leute durchaus einen gewissen Revolutionsgedanken in sich tragen und es viele Sachen gibt, die ihnen eigentlich stinken. Aber sie tun nichts!

Lustig sind immer diese Spiegelumfragen. Die Leute echauffieren sich mordsmäßig, aber wo bleibt dieses Echauffieren in den Wahlergebnissen und im Leben? Als Künstler habe ich die wunderbare Möglichkeit, Dinge in die Öffentlichkeit weiterzugeben, wenn sie mich nerven. Aber ich habe ein riesiges Problem damit, mich zu einem Sprachrohr zu machen, weil ich das Gefühl hätte, ich würde meine Popularität ausnutzen, um zwar einerseits was anzuschubsen, aber dadurch andererseits meine Popularität zu vergrößern. Ich bin da bei anderen Künstlern selbst der Erste, der sagt: Das macht der doch jetzt nur, um mal wieder in der Zeitung zu sein. Selbst U2 hinterlassen bei mir ein „Geschmäckle“. Vielleicht bin ich da schizophren, aber ich möchte, dass das Ziel völlig losgelöst von mir wahrgenommen wird – obwohl man dann meine Popularität nicht nutzen kann. Ich bin Greenpeace-Unterstützer, aber hin und wieder hätte ich lieber eine Organisation, die nur eine Sache macht und nicht gelegentlich auf unsinnige Aktionen der Medienpräsenz halber angewiesen ist. Ich verstehe deinen Punkt. Es ist heute ja sogar so, dass Rebellion genutzt wird für …

Zum Verkauf von Produkten! Da hab ich echt Schiss vor!

Oder nimm die Metalszene: Auf Gorgoroth-Konzerten werden Schafsköpfe aufgehängt.

Da ist Bela der Spezialist, aber ich weiß, was du meinst.

Die spielen mit Rebellion und wollen schocken. Aber auch da kann man diskutieren, ob das nicht sogar die Rebellion ist!

Kennst du Surgical Penis Klink? Das war eine Band aus den 80ern, die üble Videos bei ihren Konzerten zeigte, Videos von Kastration, ganz schlecht gemacht, aber eben echt. Und die haben auch Blut und Gedärme ins Publikum geworfen. Das war ganz verstörend.

Ist das Rebellion?

Es ging darum, in der Kunst mal was ganz anderes zu machen. Bei einem Konzert liefert man dem Publikum normalerweise einen Rahmen, in dem es sich gut fühlt. Doch SPK wollten ihr Publikum quälen. Die sind nicht die erfolgreichste Band der Welt geworden, aber auf jeden Fall war’s ein neuer Ansatz. Das war definitiv Rebellion gegen irgendwelche Strukturen, ob nun eine sinnvolle Rebellion, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall interessant.

Welche Dinge würdest du in Deutschland direkt ändern, jetzt, in diesem Moment, wenn du es könntest?

Ich dachte als Jugendlicher immer: Sobald ich genug Geld habe, wandere ich aus. Jedes Land der Welt muss besser sein als Deutschland. Dieser Meinung bin ich überhaupt nicht mehr. Ich komme immer kleinlauter zurück und denke: Trotz der Scheiße, die hier abläuft, geht’s uns gut. Was mich stört, ist dass die Politiker daran schuld sind, dass wir alle den Glauben in die Politik verloren haben. Das mag jetzt total Stammtisch-mäßig klingen, aber wir haben die Grünen gewählt: Loser. Wir haben alles einmal durchprobiert, und keiner hat eine wirklich positive Veränderung bewirkt, außer in minimalen Details, die in der nächsten Legislaturperiode schon wieder rückgängig gemacht wurden. Das finde ich sehr frustrierend und schade, weil wir zusehen, wie unsere Grundrechte und der Sozialstaat erodiert werden.

Schreib einen Song drüber.

Nein! Das ist Stammtischniveau. Ich weigere mich, so etwas in Songs zu thematisieren. Das wäre ein einziges Ächzen. Und das würde ich mir selber auch nicht abnehmen, denn ich bin ja einer von denen, die vom System so weit profitieren, dass sie ein super glückliches, wohl versorgtes Leben führen. Es wäre total billig, wenn ich mich zum Anwalt des Unterdrückten erklären würde, denn ich bin nicht unterdrückt. Mir wäre das peinlich.

Wo findet die Farin-Rebellion statt?

Das wird immer schwieriger. Ich versuche, zumindest die Dinge in meinem persönlichen Umfeld so zu ändern, dass Fairness regiert. Bei allem, was darüber hinausgeht, steht mir die Ausnutzung der eigenen Popularität im Weg. Deswegen spende ich lieber Geld an Organisationen, damit die gute Sachen machen können.

Das heißt, deine Rebellion steckt in solchen Textzeilen, wie wir sie hier eben zitiert haben?

Ziemlich armselig, oder?

Nicht unbedingt. Wenn sie geistreich sind. Was ich zum Beispiel bei „Seltsam“ stark finde, ist die Wortwahl. Dieses Wort „Kadaver“ ist so schön ekelbehaftet.

Ich fand es bemerkenswert, dass ausgerechnet diese Pelzträgerinnen auch noch Chihuahuas dabei haben. Ich musste im Text das Wort Pudel nehmen, weil Chihuahuas eine Silbe zu lang waren. Dann habe ich das logisch weitergesponnen, mich echauffiert und fand das total lustig. Die Kernaussage ist ernst, aber die Verpackung ist ein bisschen over the top. So mag ich das. Kannst du bei solch einem Song keine Kooperation mit Greenpeace eingehen? Denn der bezieht ja klar Stellung.

Wir haben „Deine Schuld“ für ein paar Sachen freigegeben, etwa für eine Protestaktion gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Aber „Seltsam ist zu konkret, da geht es ja eher um einen Aufruf. Niemand würde sich trauen, ein Lied zu featuren, das zum Verbrennen von Frauen aufruft, die Pelze tragen. Letzte Behauptung: Farins Songs haben keinen Index mehr nötig.

Es ist aber auch so: Heute muss man was total Bizarres machen, etwas Sexuelles oder die Verherrlichung von Nazigrößen, was mir beides nicht so liegt, damit man überhaupt noch auf den Index kommt. Und in Zeiten von YouTube …

Ich weiß nicht, ob ihr den Index einst bewusst genutzt habt.

Wir wussten es ja gar nicht! Wir wurden ja indiziert lange „after the fact“. Wenn ich wollte, könnte ich jetzt einen Song schreiben, der indiziert wird. Aber warum sollte ich das machen? Ich will ja, dass die Songs gehört werden. Und dieses „hey, ich bin indiziert“ habe ich echt nicht mehr nötig. Zumal man sich auch im Laufe der Zeit als Künstler weiterentwickelt. Aber andererseits, wo ich jetzt so darüber nachdenke… Eigentlich könnte ich noch viel rebellischer sein, oder?

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates