Abwärtsspirale

Anton Corbijns bedrückendes Regie-Debüt "Control" revolutionierte das Genre des Biopics - und erinnert eindringlich an den tragischen Werdegang des Joy-Division-Sängers Ian Curtis.

Die meisten biografisch inspirierten Musikfilme sind zu bunt. Sie wirken, als hätte jemand einen Malkasten ausgeleert und dann eine Handvoll Party-Drogen drauf gestreut. Selbst der Abstieg des Stars wird mit glamourösem Pathos aufgeladen. Die Glocken des Schicksals müssen dröhnen, selbst im Scheitern ist der Star noch ein Produkt des Pop.

„Control“ ist da ganz anders. Der Film handelt weniger von der Band Joy Division als von den Leiden des Sängers Ian Curtis. Der Regie-Debütant Anton Corbijn erzählt diese Passionsgeschichte im Stil seiner berühmten Schwarz-Weiß-Fotografien. Bereits das melancholisch düstere Image von Joy Divison wurde seinerzeit von den Bildern des erklärten Fans der Band geprägt. Es ist also ein enormer Glücksfall, dass ausgerechnet dieser Weggefährte und künstlerischer Mitarbeiter eine der wichtigsten Bands des Post-Punk und ihren Sänger porträtiert.

Manchester sieht in „Control“ aus wie das Ruhrgebiet oder der alte Osten – Plattenbauten wohin man schaut. Am Anfang beobachten wir den noch jungenhaft zarten Ian Curtis (Sam Riley), wie er vorm Schminkspiegel versucht, sich in David Bowie zu verwandeln. Es ist 1973 und Bowie hat gerade als Ziggy Stardust gezeigt, dass man sein früheres Selbst abstreifen kann wie eine alte Haut. Bowie-Musik taucht im Film immer wieder auf – vom frühen Glam-Rock bis zur finsteren Berlin-Trilogie – und bildet so eine Art Leitmotiv. Einen Soundtrack der Sehnsucht.

Nach einem Konzert der Sex Pistols wird Curtis von den Freunden Peter Hook (Joe Anderson) und Bernard Sumner (James Anthony Pearson) gefragt, ob er nicht der Sänger ihrer Band werden möchte. „Warum nicht“, ist die Antwort. Danach wird nicht nur die Musik, sondern auch die Erzählweise des Films düsterer. Curtis läuft mit einer Jacke zu seinem Job beim städtischen Arbeitsamt, auf deren Rückseite in großen Lettern HATE geschrieben steht. Eins der ersten gemeinsamen Konzerte eröffnet Sumner mit der bescheuerten Frage „Erinnert sich noch jemand an Rudolf Hess?“. Später erklärt die Band einem Clubbesitzer ihren Namen mit den Worten: „So hieß ein Bordell, das deutsche Soldaten im Krieg aufgesucht haben“. Man hätte diese alberne Faszination für den deutschen Nazismus nicht dokumentieren müssen. Aber die Charaktere der Band bekommen so die notwendige Ambivalenz. Nette Jungs, klar, aber oft halt auch arge Dummköpfe.

Die viel zu früh geschlossene Ehe zwischen Ian Curtis und Debbie bildet einen Kontrapunkt zum Rock’n’Roll-Lifestyle. Die Wohnung eng, trist und spießig, das Paar ohne Geld, aber schon bald ist Nachwuchs auf dem Weg. „Control“ basiert auf „Touching From A Distance“, den Memoiren von Deborah Curtis, sie hat den Film auch koproduziert. Auch deshalb entsteht eine oft beklemmende Intensität, eine Studie des Gefangenseins im eigenen Leben.

Joy Division zeigen schnell ihr Potential, einen dunkel romantischen Nihilismus, der sich deutlich vom blindwütigen Punk absetzt und dennoch dessen Expressivität zu nutzen weiß. Die Stimme des Sängers ist eine Klasse für sich: tief und dunkel, eindringlich und intensiv, halb Vampir, halb Schmerzensmann. Der TV-Moderator Tony Wilson zeigt sich schnell von dieser provokativen Klasse beeindruckt, er holt Joy Division in seine Sendung und nimmt die Band auf seinem noch jungen Factory-Label

unter Vertrag. Schon bald treten Joy Division in großen, zeitgemäß tristen Mehrzweckhallen auf. Der wirklich tolle Curtis-Darsteller Sam Riley zeigt jetzt diese nervös angespannte Bühnen-Intensität, einen manisch eckigen Tanzstil, der einen glauben lässt, der Sänger würde jeden Moment komplett durchdrehen. Bei der Heimfahrt von einem Gig mitten im Winter, in einem Auto mit defekter Heizung, hat Curtis zum ersten mal einen epileptischen Anfall. Die Musiker sind hilflos und irritiert: „Ich dachte, er versucht sich nur aufzuwärmen“, sagt Sumner hinterher.

Curtis muss ab jetzt haufenweise Medikamente nehmen, soll viel schlafen und dem Alkohol abschwören. „Das Ganze ist ein Glücksspiel“, sagt der Arzt über den Erfolg der Behandlung. Die Nebenwirkungen reichen von übermäßigem Furzen bis zu geistiger Verwirrung.

Curtis lernt, mit seiner Behinderung zu leben. Als eine Epileptikerin stirbt, die er als Mitarbeiter des Arbeitsamts betreut hat, schreibt er den Song „She’s Lost Control“. Doch das Stück handelt natürlich auch von seiner eigenen Lebensangst. Später wird er von sich selbst sagen: „Ich habe keine Kontrolle mehr“. Doch soweit ist es noch nicht.

Während der Tour zum ersten Album „Unknown Pleasures“ lernt Ian Annik Honore kennen, eine von Alexandra Maria Lara gespielte Nachwuchs-Journalistin, die für ein belgisches Fanzine ein Interview machen möchte. Die Fragen sind naiv, die Antworten der Musiker dämlich. Doch zwischen Ian und der süßen Annik funkt es. Zu den Klängen von Bowies „Low‘ quatschen sie die ganze Nacht: „Es war ein Fehler zu heiraten“, glaubt der Sänger.

Als er zurück nach Hause kommt, hängt die Küche voller Babywäsche, es ist trist und beim Sex mit seiner Frau bricht Curtis in Tränen aus. Später, als eine Freundin sagt, Ian sei ja nun schon ziemlich berühmt, antwortet Debbie naiv: „Für mich nicht, ich wasche seine Unterhosen“. Doch sie wird misstrauisch. Zu den Klängen von „Love Will Tear Us Apart“ wühlt sie in den Sachen ihres Mannes – und findet: Anniks Telefonnummer. Es folgen Tränen und Treueschwüre, doch Curtis ist unfähig sich zu entscheiden.

Die Kontrolle entgleitet dem Sänger nun zusehends – im Leben wie in der Musik. Gegen Ende dokumentiert „Control“ eine gnadenlose Abwärtsspirale. Dass die erste US-Tour von Joy Division unmittelbar bevorsteht, dass die Band längst Kultstatus hat – all das sieht Ian Curtis nicht mehr. Der Film zeigt ihn, wie er zwischen Hochhäusern durch schmutzige Straßen läuft. „Ist das Dasein sinnlos, was wartet auf der anderen Seite?“ fragt er sich und stellt fest, dass sich seine Krankheit verschlimmert. Bevor er seine endgültige Entscheidung trifft, sieht der Sänger in seiner Wohnung Werner Herzogs Film „Stroszek“. Der Wahnsinn des Films und der Wahnsinn in seiner Seele korrespondieren perfekt. Als Debbie nach Hause kommt, bittet er sie, sich nicht scheiden zu lassen. „Du liebst eine andere“, antwortet sie. „Aber was hat das mit uns zu tun?“, erwidert er. Dann wirft er seine Frau aus der Wohnung. Es folgt ein heftiger epileptischer Anfall, zu den Klängen von Iggy Pops „The Idiot“ liegt Curtis in seinem Erbrochenen.

Mit solchen Bildern trifft Anton Corbijn den Existenzialismus von Joy Division präzise. So erfährt man mehr über die Band als in den meisten anderen musikalischen Biopics. Eben weil das alles sehr dicht und persönlich erzählt ist, aber auch mit einer charmanten Beiläufigkeit. Etwa wenn am Ende Hook, Sumner, Stephen Morris und dessen Freundin Gillian Gilbert traurig zusammen sitzen. Schon bald werden sie zusammen New Order bilden, die mit einer ähnlich bescheuerten Faszination für Nazis benannte Nachfolgeband.

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