Allet Jode! BAP-Sänger Wolfgang Niedecken wird 60

Joachim Hentschel gratuliert dem BAP-Sänger im Namen des Rolling Stone zum 60. und wirft noch mal einen Blick in und auf das Leben des Wolfgang Niedecken.

Man sollte Wolfgang Niedecken das an seinem 60. Geburtstag eigentlich ersparen, aber es hilft ja nichts: Wer an ihn und seine Band BAP denkt, denkt zuerst an „Verdamp lang her“. An diesen so überaus bitteren, im Kern extrem bruchgefährdeten Song über den Versuch, die Beziehung zum verstorbenen Vater zu klären. Geschrieben in einer Zeit, in der es unter jungen Literaten noch längst nicht so schick wie heute war, Familiendramen poetisch auszuschlachten.

Ein Song, der im Kölschen Liedermacher-Jeansjacken-Strickpulli-Umfeld entstand. Der einem 1981 im Radio erstmal als jüngster Schrei der Neuen Deutschen Welle verkauft wurde. Und der knapp zwölf Monate später, gespielt auf der Rockbühne der Loreley, von Tausenden mitgeschrien wurde. Wie sich deutscher Rock’n’Roll in diesen wenigen Jahren vom Trägerhosendings zum Millionengeschäft wandelte, das kann man anhand von „Verdamp lang her“ gut erklären.

Der Dialekt, in dem Niedecken praktisch alle seine bekannten Stücke schrieb, begrenzte den Zugang nie ernsthaft. Heute feiern BAP ihre größten Konzerte zwar vor allem vor der Kölner Home Crowd, in den 80er-Jahren liefen ihre Platten aber auch auf bayrischen Klassenfeten bestens. Oft hat er die Geschichte erzählt, wie er damals versuchte, am heimischen Küchentisch Neil Youngs „Cowgirl In The Sand“ aus der Erinnerung zu spielen und dabei „Helfe kann dir keiner“ entstand, ein Liebesquallied, sein erster Song auf Kölsch, letztendlich der Impetus für sein Werk als BAP-Stimme. Unruhig hin- und herdriftend zwischen der Sehnsucht nach Amerika und Afrika, nach den Geheimnissen der großen alten Männer, nach der Wahrheit über den weltweiten Kampf kleiner Revoluzzer und Gerechtigkeits-Spinner. Und – auf der anderen Seite – der Verbundenheit mit seiner Geburtsstadt, in der er schon als kleiner Junge mit seinem Vater, einem Kaufmann, die Gemüsekisten ausgefahren hatte. Sogar auf der neuen BAP-Platte „Halv su wild“ ist mit „Choldwigplatz“ wieder ein Song, der die Kölner Straßen als große Erinnerungs- und Gesinnungslandschaft feiert.

Niedecken selbst würde das nicht so sagen, aber darunter hat er sein Künstlerleben lang leiden müssen: unter dem leisen Vorwurf, er wäre doch nur ein Provinzdichter, der Anführer einer Mundart-Band. Er musste am Kleinmut seines Umfelds knabbern, als er mit 19 auf der Kölner Werkschule Malerei zu studieren begann und die meisten seiner Kommilitonen nur die Bilder der Dozenten nachpinselten – während er lieber mit Fluxus-Techniken und Fotorealismus experimentierte und einem Freund zum augenöffnenden Bildungsexil nach New York folgte. (Die schönsten Bilder aus seinem Werk zeigt er im Maiheft des Rolling Stone)

Ein lockerer, gelassener Lebenskünstler, der in der Café-Kuschelecke auf die Inspiration wartet, war Niedecken nie: Malen, Schreiben und alles andere hatte für ihn auch immer mit harter Arbeit zu tun. Mit peniblem Sammeln von Fundstücken und Dokumentarmaterial, mit dem endlosen Fummeln am Detail. Unerträglich waren die Jahre, als BAP-Gitarrist Major Heuser sich zum musikalischen Direktor gemacht hatte, und der Sänger dazu verdammt war, ruhig zu warten, bis die Kassette mit der zu betextenden Musik in der Post war.

Seit der Major vor zwölf Jahren die Band verließ, ist Niedecken der Boss, leitet nicht nur die musikalischen, sondern auch die organisatorischen Geschicke von BAP. Kommt manchmal noch zum Malen, im Atelier seines Kölner Hauses, in dem er mit Ehefrau Tina und den gemeinsamen zwei Töchtern wohnt. Kümmert sich um humanitäre Projekte wie die Reintegration von Kindersoldaten in Uganda. Hat eben seine Autobiografie geschrieben, geht bald wieder auf Tour, wird auch „Verdamp lang her“ singen. Und hat vom Rock’n’Roll auch mit 60 Jahren noch genug Traum übrig, um weiter dranzubleiben.

Allet Jode!

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