Ani DiFranco

Auf der anderen Seite des Großen Teiches hat man für sie bereits alle nur erdenklichen Klischee-Register gezogen: militantfeministischer Folkie, streitbare Indie-Revoluzzerin, männermeuchelnde Erinnye – die New Yorkerin hat sich mit ihren neun Alben und 26 Jahren schon jede Menge Feinde gemacht. In ihren drastischen Texten läßt DiFranco, gleichzeitig auch Gründerin des „Righteous Babe“-Labels, keinen Affront aus. Mit ihren meist akustischen Folk-Alben zwischen offenem Haß und sublimer Liebe zählt sie in den USA zu den wegweisenden Indie-Protagonisten.

Heute aber mimt sie ausnahmsweise mal nicht die trotzige Heldin. Sie ist noch aufgekratzt vom ersten Treffen mit den Eltern ihres derzeitigen Lebensgefährten: „Ich versuche in solchen Fällen Harmonie vorzutäuschen, aber früher oder später fällt die Fassade zusammen – und ich muß wieder einmal die Stadt verlassen.“

DiFranco ist ständig im Aufbruch, immer auf der Flucht. Fast pausenlos auf Tour, hat sie sich ihren Erfolg durch Knochenarbeit erkämpft – und hat heute das am fanatischsten kreischende weibliche Publikum seit den Beatles. Mosert aber trotzdem: „Ich kann das Geschreie nicht ertragen.“ Nach den ’96er Alben „Dilate“ und „Morejoy“ steht nun ihr erstes Live-Album an, das… Halt! Fangen wir lieber von vorne an. DiFranco will zunächst mal einen guten Eindruck machen – bevor sie als scary independent girl wieder aus der Stadt gejagt wird.

Warum bloß haben die Leute so Angst vor Dir?

Ich hatte kürzlich eine Foto-Session, und der Fotograf muß alles Mögliche befürchtet haben, da er ständig fragte: „Ist es in Ordnung, wenn ich jetzt abdrücke? Dürfte ich ’nen Schritt nach links gehen?“ Ich komme wohl rüber als Mischung aus beißwütiger Feministin, cooler Geschäftsfrau und durchgedrehtem Punk-Teufelchen. Die Leute tun so, als hätte ich Fangzähne, mit denen ich die Beute in meine Höhle schleppe. Sehen sie mich dann mit meinen 1 Meter 56 in natura, sagen sie: „Oh, ich dachte, du wärst…, äh, größer.“ Zum Glück lassen sich ja nicht alle Zeitgenossen von Deinen gefletschten Zähnen bluffen. Inzwischen entdeckt man bei Dir sogar zarte Ansätze von Witz und Kommunikationswillen…

Manche Leute begreifen eben, daß ich meine Rolle auch spiele, daß ich übertreibe. Ich habe keine Probleme damit, zum Teil auch eine Cartoon-Figur zu sein.

Gab es da nie den heimlichen Wunsch, sich hinter einem exotisch gestylten Image zu verstecken?

Während meiner qualvollen Jugend glaubte ich, dieser Mumpitz sei nötig, um eine Frau zu werden. Aber ich hatte kein Talent dazu. Ich war immer der Typ Mädel, dem die Leute den Kopf tätscheln.

Um trotzdem mit 20 eine eigene Firma zu gründen. Dein Ruf als Selfmade-Frau ist geradezu legendär…

Mein Gott. Mein surrealstes Erlebnis in dieser Hinsicht hatte ich bei FNN, einer Fernsehstation, die sich primär an Unternehmer und Finanzmakler richtet. Während ich mit meiner Gitarre im Studio saß, quasselten die Moderatoren unentwegt über meine unternehmerische Qeverness und warum ich mit jeder verkauften Platte mehr Tantiemen einstreichen würde als Hootie And The Blowfish. Sie fuchtelten mit Bilanzen und Tabellen herum, bis ich sagte: „Die Gewinnmarge ist überhaupt nicht der Punkt“ – was zu lähmender Stille führte. Dann räusperten sie sich und meinten etwas verunsichert: „Gut, sehen wir uns die nächste Statistik an.“

Noch häufiger als über Geld wirst Du in Interviews zu Deinen sexuellen Vorlieben befragt. Bohren diese Leute tiefer in Deinem Liebesleben herum, weil Du eine Frau bist?

Möglich. Einmal hat mich ein Kerl interviewt, der nur wissen wollte, wen ich gevögelt, geschlagen oder vollgeheult hätte. Es kam mir so vor, als wollte er die ganze Zeit fragen: Das letzte, was die Welt braucht, ist eine weitere Lesbe auf der Bühne, findest Du nicht?

Nervt es nicht, ständig mit derart haarsträubenden Analysen konfrontiert zu werden?

Jeder hat seine Perspektive, die wenig oder gar nichts mit mir zu tun hat. Als Künstler ist man immer auch Projektionsfläche. Ich personifiziere Sehnsüchte, Lügen, das Selbstverständnis der Zuschauer… Uh, klingt reichlich abgedroschen. Sorry.

Offensichtlich hast Du aber keinerlei Probleme, diese öffentliche Vereinnahmung Deiner Person locker wegzustecken?

Es hat in meinem ganzen Leben immer diese Momente gegeben, wo ich sie alle am liebsten auf den Mond geschossen hätte. Wenn ich auf der Bühne stehe, kommt manchmal dieser Moment, wo man sich für den Bruchteil einer Sekunde aus der Perspektive des Zuschauers sieht. Für einen Augenblick bin ich dann komplett von der Rolle. Doch dann sage ich mir: „Weg mit dem Scheiß! Vergiß es.“ Ich mache Musik, und ich liebe nichts mehr als diesen unglaublichen emotionalen Rush, wenn man in einem seiner Songs versinkt. Für diese Momente lebe ich.

Bringt beruflicher Erfolg auch Glück im privaten Leben?

Ich werde weniger herablassend behandelt. Wer so klein ist wie ich, weiblich, pleite und mit einer billigen Gitarre aufkreuzt, bekommt von Club-Inhabern und Zeitungsfritzen nicht einmal das Grundbedürfnis an Respekt. Ist man erfolgreich, bleibt dir zumindest dieser Tiefschlag erspart.

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