Auge der Republik

EINE FOTOGRAFIE WIE ein Schlachtengemälde. Stellungskampf um die Startbahn West. Megafone gegen Polizeiknüppel. Barbara Klemm verewigte den Furor der Frühachtziger mit dem Blick für den Moment. Seit über einem Jahrzehnt arbeitete sie zu diesem Zeitpunkt bereits als Reportage-Fotografin der „F.A.Z.“ und konnte nahtlos von Demos zur hohen Politik und in die Kultur wechseln. Frühe Aufträge führten sie zu Tina Turner oder Mick Jagger – in einer Zeit, als die Konzertfotografie noch weitaus freier möglich war als heute, wo strenge Vorgaben wenig Spielraum lassen. Nach dem Auftritt von Janis Joplin in Frankfurt 1969 etwa konnte sie den entscheidenden Moment abpassen: Die abgekämpfte Sängerin, in sich gekehrt und mit melancholischem Blick, die Whiskeyflasche nebendran. Philosoph Theodor Adorno erwischte sie auf einem Flur der Frankfurter Universität. Einen behelmten Polizisten im Disput mit Studenten. Ein berühmtes Foto zeigt Willy Brandt und Leonid Breshnew beim Gespräch auf dem Sofa. Weltpolitik in Salonatmosphäre. Pop, Politik und der Beat der Straße verdichten sich zum Bilderbogen der alten Bundesrepublik.

In einer von ROLLING STONE präsentierten Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau werden ab 16. November Klemms „Fotografien 1968 – 2013“ gezeigt. Über 300 Exponate in verschiedenen Themenschwerpunkten, die vom bleiernen BRD-Alltag in Offenbach zu den Weltfestspielen der Jugend in Ost-Berlin 1973 führen. Sie dokumentiert die Tristesse des Ostblocks, zieht hinaus in die Welt und wirft nüchterne Blicke auf die Zeit nach dem Mauerfall. In ihren Künstlerporträts trifft sie Hitchcock, Beuys oder Eco, um sie kaum merklich zu inszenieren. Andy Warhol steht wie ein Tourist mit geschultertem Rucksack vor dem berühmten Goethe-in-Italien-Gemälde. Und immer wieder Aufruhr: Bei der Blockade des Raketendepots in Mutlangen wird Heinrich Böll 1983 zum guten Hirten inmitten der Protestierer.

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