babylon by bus

Seit ihre dritte LP "Invisible Band" in den Läden steht, sind Travis stets auf Achse. Gefeierte Auftritte bei großen Sommer-Festivals wechselten mit Club-Gigs in der Diaspora. Die Schotten bespielten schon halb Europa, sind in diesen Tagen on the road in Nordamerika und kommen im November zu sechs vom Rolling Stone präsentierten Konzerten nach Deutschland

Wenn es um Konzerte geht, sind Travis Verfechter einer extrem einfachen Philosophie. „Die Bühne ist für uns kein Labor“, meint Dougie Payne, „wir benutzen sie nicht ab Experimentierfeld.“ Travis setzen auf Vertrautheit, auf den Mitsing-Faktor. Er finde Bands langweilig, die sich in Konzerten verzetteln und ihr Material ummodeln. rj)ie spielen doch für sich und nicht für ihr Publikum.“ Give thepeople what they want? „Unbedingt“, tönt es unisono aus der Runde. Auch darüber, was genau es ist, das die Fans glücklich macht, gibt es absolutes Einvernehmen.

„Weil wir wissen, was wir uns wünschen, wenn wir ein Konzert besuchen“, argumentiert Neil Primrose. „Man ist voller Erwartung, freut sich auf seine Lieblingssongs, diese bestimmte magische Stelle, die man von der Platte kennt und schon tausend Mal gehört hat, ein Riff, eine melodische Wendung, was immer es ist, das deinen Adrenalinspiegel in schwindelnde Höhen treibt. Du freust dich also auf ein Fest der Sinne, und dann fummeln da oben ein paar Wichtigtuer an ihren Instrumenten herum, treten ihr Material mit Füßen und zeigen keinen Respekt vor ihren Fans. Das zieht dich runter.“

Er habe Bands früher immer daran gemessen, inwieweit es ihnen gelang, die Musik auf ihren Platten live zu reproduzieren, sagt Fran Healy. „Ich bin da sehr simpel gestrickt“, grinst er, „ich habe kein Interesse, Musikern beim Üben zuzusehen oder beim Versuch, ihren Instrumenten irgendetwas Interessantes zu entlocken. TJiat’sso borine.“

Fragen wir Andy Dunlop, den Musiker der Band. Er als Saitenkünsder müsste doch ein Herz für Improvisationen haben, für Dekonstruktion, für das Prinzip Remake/Remodel. Weit gefehlt. „Das entspringt doch in den meisten Fällen der Unfähigkeit, das abzurufen, was sie mit Studio zusammengefriemelt haben. Sie kriegen’s einfach nicht wieder hin, weil sie es technisch nicht draufhaben. Sie verspielen sich, haben Angst, sich zu blamieren und nehmen Zuflucht abseits ihrer Musik, dort wo keiner kontrollieren kann, ob das, was sie spielen, auch das ist, was sie spielen wollen.“ Selbstredend gebe es auch großartige Musiker, räumt er ein, die aus anderen Gründen von der Norm der Studioversion abweichen. „Aus Langeweile, um sich die Musik frisch zu halten oder um zu zeigen, dass sie mehr können als das, was sie auf der Platte konserviert haben.“ Doch beides treffe auf Travis nicht zu, kein bisschen.

Weder sei man zu virtuos, noch sei man der Songs überdrüssig. „Wir sehen unsere Auftritte als eine Art fntblic serrice“, erklärt Healy. Das sagt auch Bob Dylan, gebe ich zu bedenken, doch besteht dessen Dienstleistung darin, sein Werk einer permanenten Remedur zu unterziehen, unberechenbar zu bleiben. Drei Einwände von Travis werden registriert, zwei davon relativiert. Erstens: Dylan spiele ja auch primär für seine Jünger, die ihn schon zigmal gesehen hätten und deshalb dankbar wären für musikalische Neuerungen. Falsch. Glaubt man nämlich Dylan, spielt er gerade nicht für die konvertierten Bobtouristen, sondern für die Leute hinten im Saal, das lokale Publikum, dessen Stadt er besucht. Travis sind irritiert. Da wäre es doch aber sinnvoller, das Setlist-Karussell nicht allzu schnell zu drehen und die Songs in Fassungen zu spielen, die über den Tag hinaus Gültigkeit haben. Zweiter Dylan-Einwand: Wer so wetterwendisch agiere, was Selektion und Interpretation des Materials angehe, müsse billigend erhebliche Schwankungen in Kauf nehmen, was die Qualität der Auftritte betrifft. Einige Shows seien doch zwangsläufig schlechter als andere, was wiederum unfair sei gegenüber den Leuten, die den kürzeren Strohhalm ziehen. Falsch. Denn die wissen ja nicht, was sie verpassen. Der dritte und freilich unwiderlegbare Einspruch gegen den forbildcharakter Dylan’scher Tour-Politik kommt von Fran Healy: „Yeah, but he’s Bob Dylan.“

Für Travis, da sind sich die Jungs einig, müssen andere Kriterien gelten. „Wir haben so lange im Studio darum gerungen, für unsere Songs die bestmögliche Fassung zu finden“, so Dougie, „da werden wir doch nicht ohne triftigen Grund Abstriche davon machen. Das wäre doch absurd.“

Travis sind bislang gut gefahren mit ihrer Formel Studioversion + Live-Emphase = unvergessliche Gigs. Seit Mai sind sie nun unterwegs, fast nonstop, mit unverminderter Begeisterung. Die Headliner-Auftritte bei diversen Festivals gerieten zu Massengesängen, ganz ohne Animation von der Bühne. Er bekomme jedes Mal eine Gänsehaut am ganzen Körper, gesteht Healy, „wenn die Gesänge der Menge lauter werden als die Monitore. Es ist schon vorgekommen, dass das Publikum sich so in diesen Massengesang steigerte,

dass uns vorübergehend die Regie entglitt. Die wollten einfach nicht mehr aufhören.“

Der Auftritt beim Festival in Reading war, so das selten einmütige Verdikt der britischen Presse, triumphal. Sogar der sonst nicht eben Travisfreundliche „NME“ stimmte in den medialen Jubel ein: ,Jieally, what a bril-Haut group. What an immense outpouring ofhumanity and wartnth, set to big and beautiful song.“ Hin und wieder bauen Travis ihre Setlist ein wenig um, ändern die Reihenfolge der Songs oder sorgen für Aufsehen bei den Fans, indem sie unerwartete Cover spielen, Britney Spears‘ „… Baby One More Time“, im letzten Jahr noch eine Bank in Sachen Stimmung und Publikumszuspruch, wurde gestrichen. Ein Gag wird nicht besser, wenn man sich an ihn gewöhnt. Dafür wird jetzt ab und zu „Back In Black“ von AC/DC kredenzt, „as ajoke“, wie Healy versichert.

Ein größeres Revirement der Travis-Stageshow ist erst für das nächste Jahr vorgesehen, nach den deutschen Dates. „Was uns vorschwebt, ist ein Konzept, das den Hintergrund der Bühne belebt und doch nicht von der Musik ablenkt“, erzählt Fran, „sondern nur von uns als Personen. Das ist immens schwierig, aber wir waren alle in der Artschool, da wird uns schon etwas einfallen. R.E.M. haben das prima gelöst, finde ich. Ihr Ansatz hat etwas Künstlerisches, wäre für uns aber vielleicht zu vage. Am meisten beeindruckt hat mich bisher die Bühnenpräsentation der Talking Heads, die man in ,Stop Making Sense‘ schön studieren kann. Es gibt eine Menge, was man mit Licht machen kann, subtile Dinge, die sich mit der Musik verblenden lassen. Das wäre für uns das entscheidende Moment. Sichtbar müsste es natürlich sein, ein Eigenleben dürfte es jedoch nicht entfalten. Wir haben schon früher mal mit Dias gearbeitet und dergleichen, aber nur als Spielerei Im nächsten Jahr werden wir hoffentlich Gelegenheit und Zeit haben, eine intelligente Lösung zu finden.“

Er könne sich für die fernere Zukunft sogar vorstellen, ^heatrical elements“‚ in die Show zu integrieren. „Lache jetzt bitte nicht“, sagt er, „aber in letzter Zeit hat mich eine ziemlich wahnwitzige Idee wieder eingeholt, die mich schon seit meiner Kindheit nicht mehr so recht loslässt. Eine meiner ersten Platten war ,Annie’und…“ Stop. Sag bitte, dass das nicht wahr ist, Franny. Ein Musical? „eah“, lacht der Mann, der nicht cool sein will, „warum nicht? Es müsste natürlich eine phantastische Storyline haben und-.“ Stop. Bis dahin werden, wenn alles gut geht, noch viele Ideen über ihn kommen. Ein paar davon, das ist zu hoffen, werden ihn so beschäftigen, dass die Erinnerung an ^4nnie“ langsam verblassen wird.

Am besten, wir bringen ihn gleich auf andere Gedanken. Seen any good bands lately, Fran? „The Stmkes were great, berichtet er, „ich habe sie in Glasgow gesehen und war hin und weg.

Very impressed, you know, a real band.

Und auch persönlich wirklich nett. Wir haben uns ein wenig näher kennengelernt Sie sind sehr höflich, schüchtern fast und absolut anglophiL Es muss toll für sie sien, dass sie gerade in England so positiv aufgenommen werden. Andersherum ist es derzeit freilich sehr viel schwieriger. Für britische Bands ist in Amerika nicht viel zu holen. Wir gehören noch zu den Ausnahmen. Als wir mit Oasis tourten, spielten wir für ein Rock-Publikum, meist Männer. Ganz anders als bei unserer letzten US-Tour mit Dido, wo das Publikum vornehmlich weiblich war. Ach ja, und Paare. Wir sind merkwürdigerweise beide Male ähnlich gut angekommen, können uns also nicht beklagen.“

Das Größte aber überhaupt, so der völlig enthusiasmierte Travis-Sängei; was ihm in jüngster Zeit widerfahren sei, betreffe ihn als Fan. J[ met Bono. Nora und ich, meine Mutter und ein paar Freunde waren beim U2-Konzert in Glasgow. Das, ganz nebenbei, großartig war. Reauy briüiant. Anyway, wir sprachen vor der Show miteinander, sie waren wahnsinnig nett und haben sich richtig Zeit für uns genommen. Ich meine, U2! Als ich zehn oder zwölf war, gab es nichts Größeres für mich. Sie luden uns zu sich ins Hotel ein, nach der Show. Wir gingen hin, dachten aber, es erwarte uns die übliche Aftershow-Party mit hundert Leuten, aber da waren nur wir und U2. Wir unterhielten uns über dies und das, Bono erzählte mir die unwahrscheinlichsten Geschichten. Ich erzählte ihm und Adam Clayton von Nigel (Godrich, der Ttavis-Produzent, Anm. d. Verj.), und am nächsten Tag ruft mich Nigel an, um mir zu sagen, dass er gerade einen Anruf von Bono erhalten habe. Später trafen wir uns alle im Studio, wo ich Zeuge wurde, wie Bono focals aufnahm. Hätte ich mir nie träumen lassen, damals als Teenager. Wie gesagt, ich kann mich nicht beklagen.“

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