Bernadette La Hengst: „Ich schwanke zwischen Hoffnung, Euphorie und innerer Leere“

Die Songschreiberin Bernadette La Hengst über Hygienekonzepte und Entschleunigung, den Wert von Kultur und Strategien gegen die Winterdepression.

Wie hat die Krise dich und dein Umfeld wirtschaftlich getroffen?
Ich fühle mich relativ privilegiert, weil ich in Berlin wohne und beim ersten Lockdown gleich die Soforthilfe für Solo-Selbständige in Anspruch nehmen konnte. Danach habe ich dauernd Anträge gestellt, und die meisten haben geklappt, so u.a. das Reload Stipendium für freie Gruppen von der Bundeskulturstiftung. Außerdem habe ich vom Fonds Darstellende Künste eine Förderung für mein Theaterprojekt Mutter*Land bekommen, das ich versuche im Sommer open air umzusetzen. Und ich bekomme ich immer wieder Anfragen für Online-Formate, Videos, etc. Ende Februar sind wir mit der Banda Internationale zum digitalen Brecht-Festival in Augsburg eingeladen, um dort ein zehnminütiges Video zu drehen. Schon 2020 waren wir dort eingeladen, und haben unser Programm Banda, Bernadette & Brecht dann vor kleinem Publikum noch mal in Dresden-Hellerau gespielt und aufgenommen, das ist jetzt als Live-Album bei Trikont erschienen.

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Man hört ja oft, dass viele diese erzwungene Entschleunigung insbesondere während des ersten Lockdowns auch als wohltuend empfunden haben, wie ging es dir?
Ach, die Entschleunigung … Ich habe mich immer gefragt, wann die endlich eintritt. Beim ersten Lockdown war ich die ganze Zeit beschäftigt, es hat mich ziemlich gestresst, nicht auf Tour fahren zu können, deshalb habe ich versucht, möglichst permanent aktiv zu sein. Allerdings haben meine 16-jährige Tochter und ich eine viel bessere Beziehung seitdem, weil wir viel mehr Zeit miteinander verbringen und ich nicht mehr soviel unterwegs bin.

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Bis zu einem normalen Konzertgeschehen zurückgekehrt werden kann, wird es wohl noch eine Weile dauern. Wie denkst du über Übergangskonzepte wie Streaming-Konzerte und solche mit Hygienekonzept?
Ich hatte mir mehr erhofft von Streaming-Konzerten, aber nach der ersten Euphorie, dass man damit viele Leute oder sogar mehr erreichen kann, war es bald vorbei. Kaum jemand schaut noch diese Formate an, vor allem wenn man dafür bezahlen muss. Viele sind übersättigt von Online-Formaten, weil die Leute sowieso schon zu viel Zeit am Computer verbringen. Hygienekonzepte haben ja leider am Ende nichts genützt, die Theater und Clubs wurden trotzdem geschlossen. Ich selbst habe bis Anfang November mit meinem Chor der Statistik im Autoscooter im Innenhof des Haus der Statistik geprobt. Mit 50 Leuten auf Abstand ging das gut, denn der Autoscooter ist überdacht, hat aber keine Wände, so dass Frischluftzufuhr garantiert ist. Dort gab es auch immer wieder kleine Konzerte, und ich hatte gehofft, dass wir so durch den Winter kommen. Aber das hat ja leider nicht geklappt.

„Die Wirtschaft, die Fluggesellschaften, sowie die Fleisch- und Auto-Industrie sind anscheinend wichtiger als Kunst und Kultur und die Solidarität mit Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen“

Wie stehst du zu sogenannten Quarantänealben und -Songs?
Ich selbst habe natürlich auch Songs geschrieben, um die Situation zu verarbeiten, deshalb kann ich diese Frage nicht grundsätzlich beantworten. Ob ein Lied über diese Zeit hinausgeht und auch später noch Gültigkeit hat, wird sich wahrscheinlich erst in einem Jahr herausstellen. Unser Lied „Systemrelevant“, das ich zusammen mit der Banda Internationale aus Dresden geschrieben und als Single/Video rausgebracht habe, bringt ganz gut auf den Punkt, worum es hier geht. Die Wirtschaft, die Fluggesellschaften, sowie die Fleisch- und Auto-Industrie sind anscheinend wichtiger als Kunst und Kultur und die Solidarität mit Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen. Ich glaube nicht, dass diese Krise andere Menschen/Künster*innen aus uns macht, denn die Themen bleiben ja für mich die gleichen: die Welt politisch-poetisch und musikalisch zu beschreiben.

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Stichwort Mental Health: Wie beeinflusst die Situation deine Psyche?
Ich schwanke zwischen Hoffnung, Euphorie und innerer Leere/Sinnlosigkeit. Aber ich frage mich immer wieder, ob es mir ohne Corona tatsächlich besser gehen würde, und die Antwort ist meistens Nein. Wir können Covid nicht für alles die Schuld geben. Und Musik machen hilft gegen dieses Gefühl der Bedeutungslosigkeit. Deshalb machen wir zurzeit unseren Chor der Statistik Proben wöchentlich online auf Jitsi. Das hilft uns allen, über diese Winterdepression hinwegzukommen. Ich nehme die Krise eher als Chance, um mich auf meine Kunst und auf meine Familie und Freund*innen zu konzentrieren.

Die Fragen an die Bernadette La Hengst wurden für die Titelgeschichte des aktuellen ROLLING STONE, BackToLive, schriftlich eingereicht und beantwortet.

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