Begehbare Lyrik – Aus dem Erfurter Rapper Clueso ist ein kompetenter Songschreiber geworden, der auch noch singen kann

Immer, wenn ich was Neues ausprobier, lauf ich wie barfuß über Glas“, singt Clueso auf dem neuen Album „So sehr dabei“. Es ist bereits sein viertes, dabei ist der Erfurter gerade mal 28 — und fangt jetzt auch schon so was wie eine zweite Karriere an. Früher hat er von „Pizzaschachteln“ und „Kalter Kaffee“ gerappt, heute macht er melancholische Popmusik, die nur noch Spuren von Hip‘ Hop enthält. Clueso war mit Grönemeyer auf Tournee, spielte vor vielen Tausenden, und Herbert lobte seine Songs – spätestens da muss er erkannt haben, dass er auch anders kann, mehr kann als Sprechgesang. Zum Beispiel Texte schreiben, die ans Herz gehen, aber nicht kitschig sind, oder die Gesellschaft beobachten, ohne neunmalklug zu wirken. Möglicherweise konnte er aber auch einfach nicht anders, als sich in eine neue Richtung zu bewegen. „Ich kann nie bei einem Ding bleiben. Bisher waren meine Geschichten ja eher chronologische Erzählungen, aber jetzt bleibt vieles offen, man kann die Texte immer anders interpretieren. Ich wollte das stricken wie so ein Möbiusband, das man selbst zusammenkleben kann – wo man außen entlangläuft und innen ankommt und so weiter.“ Er nennt das „begehbare Lyrik“.

In „Geisterstadt“ kann man ihm folgen, wie er durch verlassene Straßen zieht keine erfundene Geschichte. Clueso musste eines Tages wegen einer Mandelentzündung zur Sonntags-Apotheke an den Stadtrand von Erfurt fahren, wo er einst seine Jugendweihe hatte. „Damals wollte jeder dort leben, da gab’s eine Kegelbahn und fließend Wasser und so. Jetzt ist das die runtergekommenste Gegend, alles verrammelt und vernagelt. Da habe ich gesehen, dass sich das Bild dreht und sich meine Ost-Kindheit schon fast auflöst.“ Wer genau lauscht, kann irgendwann das Geräusch eines Turmfalken hören — Cluesos kleines Symbol, dass es doch noch Leben gibt in den ausblutenden Ost-Städten. Er fühlt sich wohl in Erfurt, doch zum Aufnehmen wurde eine Finca in Spanien gemietet – „eine Glocke, um die Zeit zu vergessen“, und tatsächlich klingt „So sehr dabei“, als hätten er und seine Band alle Sachzwänge verdrängt. Den Songs wird viel Raum gelassen, es gibt ein paar lange Instrumentalpassagen, und dazwischen immer wieder fast unverschämt eingängige Stücke.

„(Niemals) So sein wie du“ hört sich an wie eine Abrechnung mit dem HipHop-Geschäft, bezieht sich aber nur auf diejenigen Kollegen, die es sich zu leicht machen: „HipHop ist oft wie ,Bild‘-Zeitung: große Überschriften, provokante Themen, nichts Beständiges. Traurig.“ Clueso hört jetzt gern Neil Young und trägt David-Bowie-Shirts. „Dass ich von Rap weg bin, liegt vor allem daran, dass ich immer gern gesungen habe. Ich bin ja eher der schmächtige Typ, der sich durch Rappen Respekt erkämpft hat – bis dann die Großen ankamen und sagten: Alter, mach es dir doch zu Nutze, dass du nicht nur rappen kannst. Versuch nicht, den Harten zu machen, wenn du das gar nicht bist. Versuch, die Leute zu berühren. Also habe ich den Style-Gürtel wieder abgeschnallt.“

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