Wer Musik macht, sollte nicht Milliarden scheffeln
Über die Songs von Beyoncé, Taylor Swift und Jay-Z kann man streiten. Nicht jedoch darüber, dass sie allesamt inzwischen Unternehmer:innen sind.
Vorab: Jedem ist zu gönnen, wenn er mit seinen Fähigkeiten so viel Geld verdient, wie es ihr oder ihm möglich ist. Nicht immer ist das, wie man weiß, abhängig von Talent und Können. Das gilt für die Arbeit in Frisierstuben genauso wie in der Chefabteilung von Apple.
In den Künsten verhält sich die Sache allerdings etwas anders. Gerade erst wurde bekannt, dass auch Beyoncé in den erlauchten Club der Musiker:innen eingetreten ist, die mehr als eine Milliarde auf ihrem Konto haben. Ebenfalls in dieser Liga: Beyoncés Ehemann Jay-Z, Taylor Swift, Rihanna und Bruce Springsteen.
Alle genannten Künstler:innen verdienen ihr Geld. Sie verdienen es, weil sie seit Jahren erfolgreich sind, weil sie als Marke funktionieren, weil sie Alben verkaufen und auf XXL-Tourneen gehen (Beyoncé brachte ihre „Renaissance“-Tour allein 600 Millionen Dollar Umsatz, auch die viel kürzere „Cowboy Carter“-Konzertreise setzte 400 Millionen Dollar um). Sie machen dazu noch Cash mit Produkten, die mit ihrem guten Namen werben können, haben eigene Firmen.
Wenn nur noch der Erfolg zählt
Wer nun aber genau hinschaut, erkennt, dass die Kluft zwischen erfolgreichen und sehr erfolgreichen Musiker:innen von Jahr zu Jahr exponentiell wächst. Newcomern fiel es schon früher schwer, das eigene Mittagessen begleichen zu können. Das hat sich nicht geändert. Vielen bleibt heute aber auch nach ersten Erfolgen nicht viel. Man bekommt den Eindruck, dass die Kunst an sich nicht mehr der entscheidende Faktor ist. Meldungen über Verkäufe und Rekorde bei Taylor Swift sind längst eine eigene journalistische Gattung. Es zeigt sich, dass die Erfolgreichsten ihrer Zunft längst zu Unternehmer:innen geworden sind.
Wenn man künstlerisch etwas zu sagen haben will, dann entsteht dies historisch oft aus Mangel, Risiko und Reibung. Selbst der freischaffende Musiker mit dickem Erbe auf dem Bankkonto muss sich erst beweisen. Faktisch wäre ein Misserfolg für milliardenschwere Musiker:innen egal, tendenziell wird der ökonomische Erfolg aber für sie zur einzigen Währung.
Unternehmertum zielt auf Wiederholbarkeit und Risikominimierung. Kunst will unberechenbar und einzigartig sein. Scheitern ist hier sogar Teil des Programms. Musiker:innen, die Milliardär:in werden, haben objektiv keinen Grund mehr zu scheitern und damit auch weniger Grund, wirklich etwas zu wagen.
Heißt: Musik, so gut sie auch sein mag, ist bei ihnen aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr primär ein individueller Ausdruck, sondern eine Form von Produktpflege mit Zielgruppenbindung. Wenn über Swift, Beyoncé und schwerreiche Rapper gesprochen und geschrieben wird, dann ist ihr intelligentes, selbstreflexives Werk oft nur Nebensache. Im Zentrum des Diskurses steht ein perfekt durchoptimiertes künstlerisches Ökosystem. Taylor, die beste Freundin. Beyoncé, die schwarze Feministin. Jay-Z, der Entertainer und HipHop-Mogul.
Es geht ums Werk und nicht um Produkte
Wenn Beyoncé über Empowerment singt, aber zugleich in Steueroasen investiert oder Arbeiter:innen in Zulieferketten ausblendet, entsteht ein ästhetischer Kurzschluss, der sich mit den magischen Erzählungen der Popkultur zu beißen beginnt. Es ist doch noch immer so, dass Künstler:innen in einem Spannungsverhältnis zur Gesellschaft stehen sollten. Nur so gewinnt ihr Werk an Wert, weil es Gewissheiten in Frage stellt, unbekannte Allianzen eröffnet, verstört, Schönheit umschreibt, Intimes zeigt.
Bruce Springsteen mag zwar mit seinen Songs über (gebrochene) Arbeiter und den zu wenig beachteten Verlierern der amerikanischen Gesellschaft als Ikone des künstlerischen Widerstands längst zu einer National Treasure geworden sein, aber auch bei ihm stellt sich die Frage, ob das, worüber er singt, nicht auch mehr ein Reenactment von Emotionen und Zuständen ist als eine Erfahrung, die er aus dem eigenen Leben schöpfen kann.
Gewiss, das hat einen eigenen Wert, der nicht zu bestreiten ist. Und man muss auch nicht gleich die Rechnung aufmachen, dass der Boss künstlerisch relevanter war, als er noch nicht eine Milliarde zusammen hatte. Aber wenn wir es mit den Begriffen Aura und Authentizität ernst meinen, dann sollten wir uns wenigstens fragen, ob wir in einer Welt leben wollen, in der auch Musiker:innen immer weniger über Dinge nachbrüten (müssen) und vielmehr zu Performance-Aktivisten werden (sollen), die ihre Ideen wie hochemotionalisierte Produkte verkaufen.