Blondie – „Eat To The Beat“

Okay, hier geht es vor allem um Sex. Der Sex ist ein guter Verkäufer, und er hat viele (längst nicht alle) Blondie-Platten verkauft. Das ist komisch, weil auf „Plastic Letters“, „Parallel Lines“ oder „Eat To The Beat“ keine sexy Musik ist. Erst beim Wiederhören merkt man das so richtig, aber schon damals hat sich keiner ernsthaft eingebildet, dass Debbie Harry mit irgendeinem von den Leuten, für die sie sang, echten Sex haben wollte. In der Stimme lag nie Ermutigung, immer nur Ablehnung, Langeweile, das Zischen, wenn jemand durch knapp geschlossene Zähne genervt einatmet. Trotzdem war sie Ende der siebziger Jahre das, was man ein Sexsymbol nennt, und das ist ganz richtig so: Wo ein Symbol steht, ist per Definition die Sache, um die es geht, schmerzlich abwesend.

Eigentlich war Debbie Harry schon Madonna. Sie verkleidete sich gut, nahm dafür am liebsten Rollen an, die schon irgendwie popgeschichtlich tradiert und aufgeladen waren: das Girl-Group-Girl, das Punk-Mädchen (das ging in New York alles schneller als anderswo), die Marilyn (ohne hochgeblasenen Rock), die Marlene Dietrich, die Studio-54-Champagnerfrau mit Daumennagel im Mund.

Dem weiblichen Selbstbewusstsein im Allgemeinen hat das nichts gebracht, denn Debbie Harry war feministisch unbewegt, höchstens auf sehr abstrakte Art. Aber: Sie war früher dran, sie war rasanter. In den späten Siebzigern konnten solche Rollenspiele noch im Rahmen einer einzigen Schallplatte stattfinden, und zur Zeit des vierten Albums „Eat To The Beat“ hatte Debbie Harry so viel gesammelt, dass sie sich in wenigen Studiowochen durch die Bandbreite einer Madonna-Gesamt-retrospektive schlängeln konnte.

Keine Blondie-Platte klingt ungeduldiger und launischer. Wunder-Schlagzeuger Clement Burke spielt viel zu viel: In „Accidents Never Happen“ versechzehnfacht er den Herzrhythmus, Debbie Harry maunzt erst „Now you love me“ (lockend), keift dann „I, yeah, I can tell“ (wegstoßend). Blondie hatten zwei Gitarristen, aber keiner von ihnen spielt Rhythmus-Gitarre – beide nibbeln, das kann New Wave sein oder sehr alter Rock’n’Roll. Die Sängerin kiekst das Wort „Beat“ im punkigen Titelsong wie Ingrid Steeger jedes Mal ein bisschen anders, fängt auf der Motown-Imitation „Slow Motion“ geschickt die Lead-Stimme auf, die der Frauenchor ihr rüberwirft. „Union City Blue“ summt sie kühl verliebt mit den Gitarren und der Orgel zusammen und weiß genau, was dann passiert: Dieses Lied ist eine Nationalhymne.

Genau, eigentlich braucht man gar keine Wie-Wörter, um die 12 Stücke zu beschreiben, nur Substantive: Der Reggae. Der Disco-Song („Atomic“ sagt: „Your hair looks beautiful tonight“). Das ABBA-Lied. Blondie waren inhaltlich eine außerordentlich seichte Gruppe, aber je länger es sie gab, desto mehr wurden sie – während Debbie Harry ihre Methoden ausdifferenzierte – zu Katalysatoren für das ganze Zeug, das im Taxi zum Flughafen aus dem Radio gekommen war. Die einzig formulierbare Absicht bei „Eat To The Beat“ war, ganz viele Exemplare davon zu verkaufen. Wenn eine gesund zusammengewachsene Band mit vier reich beschenkten Songschreibern sowas will, wird das Ergebnis sehr, sehr gut. Mir fallen nicht viele andere Beispiele dafür ein, ehrlich: kein einziges.

Vielleicht war das doch sexy, damals. So sexy wie der Callboy Richard Gere im Film „American Gigolo“, für den Blondie das Titellied machten. Da singt Debbie Harry ein bisschen französisch. So eisekalt. In den letzten 20 Jahren muss uns irgendetwas stark desensibilisert haben.

Chrysalis, 1979

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