Bloß nicht zu viel Niveau

Ein mutiger Krimi wie "Blackout" fällt durch, die immergleichen Event-Movies langweilen. Der deutsche Fernsehfilm hat ein Problem - es fehlt oft der Mut.

Es klang alles nach einer kleinen Sensation. Da kündigte der sonst eher auf familientaugliche Dämlichkeiten aller Art abonnierte Privatsender Sat.1 eine vierteilige Krimiserie an, und schon vorab war trotz des fahrlässig verliehenen Stempels „Event“ zu erkennen, dass dies nichts sein würde, was in den üblichen Kommerzbrei passt. „Blackout“ lautete der Titel, und es sollte um einen Polizisten gehen, der erst die Frau verliert und dann sein Gedächtnis. Auf der Suche nach seinen Erinnerungen stößt er auf Ungeheuerlichkeiten im eigenen Lebenslauf, auf einen mordenden und koksenden Kollegen, auf kriminelle Türkenbanden und eine dubiose Partei. Ein „Event“ ohne das sonst übliche Konstrukt, das eine Frau zwischen zwei Männern hin- und herpendeln lässt, während rundherum die Welt in Schutt und Asche fällt. So gesehen bei der „Sturmflut“, bei „Dresden“, beim „Tornado“. Immer die gleiche Soße, aalglatt durchkomponiert und auf Effekt programmiert. „Blackout“war anders. Härter, schneller, düsterer und vor allem politisch schwer unkorrekt, weil über weite Strecken die Türken die Bösen sind. Durchaus ein Werk, mit dem Regisseur Peter Keglevic die Sehgewohnheiten der Masse auf die Probe stellte – und prompt verlor. Die Quoten der ersten beiden Teile fielen so katastrophal aus, dass Sat.1 Folge drei und vier flugs ins Nachtprogramm verbannte. Schnell hatte die Macher der Mut verlassen. Angst vor der eigenen Courage machte sich breit. Rasch folgte das Eingeständnis, dass man den Start eines solchen Qualitätsstücks wohl besser nicht gegen einen sonntäglichen „Tatort“ programmiert hätte und dass das Publikum mit einer auf vier Spielfilmlängen angelegten Geschichte offenbar nur dann umgehen mag, wenn Veronica Ferres die Hauptrolle spielt. Wie weise die späte Einsicht – und auch das Eingeständnis, dass man solch ein Format von Format offenbar nicht bei Sat.1 erwartet.

Für die Produktionsfirma Typhoon des kurzzeitigen RTL-Chefs Marc Conrad war es die zweite Schlappe in kurzer Zeit. Ein paar Wochen vorher hatte RTL nämlich die überaus ambitionierte und fast durchweg auf höchstem Niveau spielende Polizeiserie „Abschnitt 40“ wegen schlechter Quoten aus dem Programm genommen und durch eine Serie ersetzt, die zur Strafe nur wenig besser lief. Was von den beiden Flops nach Zahlen blieb, war die Erkenntnis, dass Qualität im deutschen Fernsehen immer weniger gefragt ist und dass die Zuschauer mit ihrem fehlenden Anspruch den wenigen ambitionierten Machern noch das letzte Quäntchen Mut aus den Adern saugen.

Zwar schreien alle nach Niveau, nur will sich offenbar keiner drauf begeben, wenn er daheim im Sessel sitzt. Da werden dann doch lieber dusselige Serien über komische Winzer, gut aussehende Ärzte und verfettete Kriminalbeamte bevorzugt. Oder es wird Aufmerksamkeit an schmierige Seife aus dem Hause Pilcher verwendet und das Schicksal unbedarfter Adliger in Cornwall gebannt verfolgt. Alles berechenbare Ware also, die irgendwie immer funktioniert, weil alles so schön in Bahnen läuft, weil Überraschungen lediglich in homöopathischen Dosen im Herz-Schmerz-Bereich zu erwarten sind, und weil am Schluss der Gute der Sieger ist.

Die zunehmende Unmöglichkeit, Qualität und Quote zu paaren, dürfte auch Thema in Baden-Baden sein, wo bis zum 2. Dezember Experten von allen Sendern nach dem besten Fernsehspiel des Jahres suchen.Im Rennen ist dort auch der Film „Wut“, den ein ähnliches Schicksal ereilte wie die beiden Typhoon-Produktionen, allerdings etwas anders verpackt, denn „Wut“ lief im Ersten.

Ganz mutig hatten die öffentlich-rechtlichen Planer das Stück um einen gewalttätigen türkischen Jugendlichen, der eine deutsche Familie terrorisiert, auf einen 20.15-Uhr-Platz an einem Mittwoch gesetzt, nicht ohne brav auch an eine anschließende Diskussion mit Jugendlichen zu denken. Dann aber kam der „Spiegel“ und geiferte in verkniffener Schulmeisterart gegen diesen Film, der durchaus treffend, wenn auch politisch nicht durchweg in der erwünschten Tonart Realität abbildete. So heftig, dass die ARD-Intendanten sich umgehend in die hochherrschaftlichen Hosen machten und „Wut“ ins freitägliche Spätprogramm verfrachteten, was die an Jugendliche adressierte Diskussion danach in die Zeit nach Mitternacht streckte.

„Blackout“, „Abschnitt 40“ und „Wut“ sind drei Beispiele, die belegen, dass es Qualitätsfernsehen in Deutschland durchaus gibt, dass es aber zunehmend chancenlos dasteht. Möglicherweise liegt das aber auch daran, dass dem durchschnittlichen Zuschauer echte Qualität nur noch viel zu selten begegnet. Und wenn es doch passiert, erschrickt er halt. Wer immer nur schnelles Futter vorgesetzt bekommt, wird sich irgendwann schwer tun, ein viergängiges Spitzenmenü zu genießen.

So verwundert es nicht, dass die Jury in Baden-Baden über eine durchaus übersichtliche Auswahl an Qualitätsfilmen zu brüten hat. Wie immer auch das Urteil ausfällt, es sollte berücksichtigen, dass man mit einer Preisverleihung auch ein Signal aussenden kann. An die Produzenten von Filmen, an feige Intendanten und letztlich auch ans träge Publikum. Wer sich filmische Qualität nämlich nicht durch persönlichen Einsatz bewahrt, der verliert sie schneller als ihm lieb ist, und irgendwann gibt es dann nur noch die Telenovelas, die Eistanzshows und die Events mit der Frau zwischen zwei Männern. Sage niemand, er sei nicht gewarnt worden.

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